100 Jahre SSV Kästorf

Wir wollen Kindern eine sportliche Heimat bieten - Die Verantwortlichen der JSG Gifhorn Nord setzen auf digitale Talentförderung

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 07.07.2022
Wir wollen Kindern eine sportliche Heimat bieten - Die Verantwortlichen der JSG Gifhorn Nord setzen auf digitale Talentförderung

Stilvoll gekleidet in einen rot-schwarzen Dress – die U15 der JSG Gifhorn Nord gibt ein prächtiges Bild ab. Derzeit spielt sie in der Kreisliga Nord und verzaubert das Publikum mit einem Torreigen nach dem nächsten.

Foto: JSG Gifhorn Nord

„Wir haben uns behaupten können – mit viel harter Arbeit“, sagt Gianni Milano stolz. Der 41-Jährige ist der Vorsitzende der JSG Gifhorn Nord, der Jugend-Spielgemeinschaft des SSV Kästorf, MTV Gamsen und VfR Wilsche-Neubokel. Vor acht Jahren hoben die drei Stadtteil-Vereine die JSG aus der Taufe. Das Konzept, was sich anderswo bewährt hatte, ging auch in Kästorf auf. Die Idee: dem Mitgliederschwund im Jugendbereich mit einer gemeinschaftlichen Kraftanstrengung beizukommen. Inzwischen koordiniert Gianni Milano 15 Mannschaften, obendrein ein Anfängerteam und das Inklusionsteam. Für die Verantwortlichen ist es eine Erfolgsgeschichte, die jedoch nicht nur von der Begeisterung der Kinder und Jugendlichen abhängt, sondern auch von der Bereitschaft der Betreuerinnen und Betreuer und Eltern.

Der deutsche Nachwuchs-Fußball hat ein Konditionsproblem. Man könnte sagen: Er keucht an der Mittellinie, ihm geht die Puste aus. Beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) herrscht Alarmstimmung. Der Grund: Immer weniger Kinder und Jugendliche bleiben beim Fußball. Das hatte der Kicker, eines der größten Sportmedien, vor gut zwei Jahren berichtet: Von 2009 bis 2019 hat der DFB 18 Prozent seiner Nachwuchsmannschaften verloren und neun Prozent seiner jugendlichen Mitglieder. Die Corona-Jahre, eine brutale Periode für die Sportvereine, sind da noch nicht mal erfasst.
Spricht man Jörg Fehlhaber auf das Thema an, hört man ein Seufzen. Der Jugendleiter des SSV Kästorf, gleichzeitig auch Vorstandsmitglied der JSG Gifhorn Nord, weiß um die große Herausforderung der Nachwuchsförderung. Sie ist sein täglich Geschäft. „Da kommt vieles zusammen. Die Kinder haben unheimliche Möglichkeiten, sich auszuprobieren. Drei, vier Hobbys, die von den Eltern gefördert werden. Außerdem sind da die Ganztagsschulen. Früher war man um halb zwei zu Hause, hat dann seine Hausaufgaben gemacht. Danach konnte man zum Training. Welches Kind hat aber noch die Lust, wenn die Schule bis um 17 Uhr geht, zum Training zu fahren? Häufig sind auch beide Eltern berufstätig“, meint er.

Sind sie die Stars von morgen? Die U12 der JSG Gifhorn Nord darf nach den Pandemiejahren endlich wieder regelmäßig auf Torejagd gehen.

Foto: JSG Gifhorn Nord

Die Folgen waren und sind noch immer ganz real spürbar in den Vereinen. So auch in Kästorf. Etwas musste getan werden, schnell. Deshalb setzten sich damals Kästorf, Gamsen und Wilsche an einen Tisch, suchten nach einer Lösung. Und die lautete Spielgemeinschaft. Ein neutraler Vorsitzender wurde benötigt, einer, der die Bedürfnisse und Wünsche aller Vereine auf Augenhöhe zusammenbringt. Die Wahl des Trios fiel auf Gianni Milano. Im Fußball-Kreis Gifhorn kein Unbekannter, schließlich arbeitete er bereits bei der SV Gifhorn, dem MTV Gifhorn, dem TuS Neudorf-Platendorf und bei der Kreisauswahl.

Seit 2014 ist der Zulauf wieder so groß, dass die JSG Gifhorn Nord – und damit eben auch die drei Vereine dahinter – verlässlich Jugendteams für die einzelnen Jahrgänge stellen kann. In der aktuellen Saison spielten bei der JSG Kinder und Jugendliche von der A- bis in die G-Jugend – besser geht’s eigentlich nicht. Ein Ziel sei, so viele Kinder wie möglich in die Herren- und Frauenmannschaften zu bringen, führt Jugendleiter Fehlhaber aus. „Und unsere Hauptaufgabe ist, den Kindern unserer Dörfer eine sportliche Heimat zu bieten.“

Für die Verantwortlichen steht da laut Gianni Milano vor allem auch eine Frage im Raum: Wie bringt man die Kinder weg vom PC und der Konsole? Der große Gegner digitale Welt, ein visuelles Aphrodisiakum, hinter jedem Klick ein zu erforschender Kaninchenbau, nach jedem Herz ein kleines Hoch.

Die überraschende Antwort: Muss man gar nicht. Neben Lattenschießen, Eckspielen und Hochhalten setzt die JSG auf die Sportstation, eine Konsole, die sportliche Aufgaben stellt. Die Fußballerinnen und Fußballer können dabei aus mehreren Spielen wählen, mal geht’s um explosive Schnelligkeit, mal um Präzision beim Dribbling. Ein Armband sendet die Bewegungsabläufe an die Konsole, stellt fest, in welchem Bereich des Parcours gute Ergebnisse und nicht so gute Ergebnisse erzielt wurden. Die Sportstation zu verstehen, ist kinderleicht, und sie kombiniert das Training auf dem Platz mit dem gewohnten Konsolen-Kitzel.

Diese digitale Spielerei ist nur eines unter vielen Beispielen, wie die Trainerinnen und Trainer der JSG den Sport neu denken. Stadionbesuche bei den Profi-Klubs, altersgerechtes Fußballspielen, variable Trainingsbedingungen – „die Kinder wollen erkunden und ausprobieren“, weiß Gianni Milano. Die Spielgemeinschaft gibt ihnen die Möglichkeit dazu. Und sie arbeitet mit den Schulen zusammen. Der Vorsitzende sieht da noch viel ungenutztes Potential, wünscht sich eine Einbindung von Trainerinnen und Trainern in den Schulsport und hofft auf zusätzliche AGs – eine Ausbildungskultur wie in den USA, wo Vereine und Schulen gemeinsam mit einer technisch hochmodernen Ausstattung gezielt Talentförderung betreiben. „Das sind keine Spinnereien, das gibt’s ja anderswo“, erklärt Gianni Milano mit Nachdruck.

Bei all der Bewunderung für fremde Modelle – dass das Konzept Jugend-Spielgemeinschaft aufgeht, hängt auch an den beteiligten Personen. „Das Ehrenamt will heute ja eigentlich keiner mehr machen“, bedauert der Vorsitzende. Der Bedarf an Betreuern und Trainerinnen ist immer da, nimmt sogar zu. Oft ist es so, dass Eltern sich verantwortlich zeigen. „Wir profitieren davon, dass die Eltern das machen“, sagt Gianni Milano anerkennend – und wirbt für das Engagement: „Wir machen das aus Überzeugung und für mich ist es auch eine Herzensangelegenheit.“

www.jsg-gifhornnord.de

Dieser Text ist Teil der von KURT herausgegebenen Sonderausgabe „100 Jahre SSV Kästorf“.


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