Musik

Finstere Geschichten über Liebe und Verlust: Die Lagesbütteler Sonja und Tobias Teubler sind The Kentucky Tragedy

Matthias Bosenick Veröffentlicht am 09.08.2025
Finstere Geschichten über Liebe und Verlust: Die Lagesbütteler Sonja und Tobias Teubler sind The Kentucky Tragedy

Sonja und Tobias Teubler aus Lagesbüttel spielen als The Kentucky Tragedy dunkle Oldtime Music und American Folk.

Foto: Andreas Mros

Nur die wenigsten wissen wohl, was sich in Oldtime Music verbirgt. Die Antwort geben Sonja und Tobias Teubler, die als The Kentucky Tragedy ebenjene Oldtime Music machen. Die stellen sie am Sonntag, 14. September, ab 15 Uhr im Gifhorner Mühlenmuseum vor. Eine Woche davor, Samstag, 6. September, richten sie im Gasthof Zur Post in Vordorf außerdem einen Barn Dance aus. KURT taucht mit den beiden Lagesbüttelern ab in die musikalische Geschichte der US-amerikanischen Appalachen, nimmt an ihren Lion‘s Jams teil und lässt sich über die bandnamensgebende Tragödie aufklären.

Was nun ist überhaupt Oldtime Music? Das fragte Sonja Tobias ebenfalls, als der ihr 2018 vorschlug, ein Projekt für solche Musik zu gründen, und er erklärte es ihr: „Das ist ein Vorläufer von Country Music, von Bluegrass.“ Sonja fügt hinzu: „Das sind alles verschiedene Strömungen von Folk.“ Vor 200, 300 Jahren kamen Balladen und Fiddle Tunes, Instrumentalstücke, mit den Einwanderern aus England, Schottland und Irland nach Nordamerika und entwickelten dort ein Eigenleben. Aber nicht als schlichte Weiterentwicklung, so Sonja: „Das ist uramerikanisch. Auch die Sklaven aus Afrika haben etwas mitgebracht in die Appalachen. Man hört den Unterschied, die Betonung ist anders bei der Oldtime Music, nämlich pulsierend auf der Eins wie die afrikanische Musik und nicht so hüpfend wie irische.“ Tobias nickt: „Und das Banjo kam hinzu.“

Die ersten Aufzeichnungen solcher Lieder entstanden vor rund 100 Jahren, Hillbilly-Musik. Bekannte Vertreter waren Jimmy Rogers und die Carter Family, „bei der auch die Schwiegermutter von Johnny Cash mitgemacht hat“, weiß Tobias. Die ersten Aufnahmen der 20er und 30er Jahre waren große Erfolge, dann kam die Wirtschaftskrise. „Danach ging es wieder los mit Country, später zum Beispiel mit Hank Williams“, erzählt Tobias. Vertraute Namen also.

An diesen ersten Aufnahmen orientieren sich nun The Kentucky Tragedy. „Wir machen Fiddle Tunes und Balladen mit Banjo“, beschreibt Tobias, „mit Einflüssen von Blues, den weiße Jungs bei schwarzen abgeguckt haben.“ Sonja betont, dass diese Musik bereits vor solchen Aufnahmen in den Appalachen auf der Front Porch, also der Veranda gespielt wurde. Konkreter: in Kentucky, North Carolina und Virginia. „Das ist unsere Musik“, so Tobias. „Die gab es woanders auch, aber die klingt anders.“

Diese Musik blieb relativ lokal, dafür bauten die Musikerinnen und Musiker alsbald dank Radio und Grammophon auch Popsongs ihrer Zeit in ihre Sets ein. So verfahren auch The Kentucky Tragedy, mit Banjo, Akustikgitarre und Geige. „Amerikanische Volksmusik, alles akustisch, unverstärkt“, sagt Sonja.

Aber wie kommt man auf die Idee, sich auf eine solch exotische Musik zu spezialisieren? „Ich habe früher in einer Country-Band gespielt, als wir uns kennengelernt haben“, beginnt Tobias. Hog House Picking hieß die, und als deren Sängerin erkrankte, stieg Sonja ein. Bis das Paar erneut Eltern wurde. „Nach der Geburt unseres zweiten Kindes haben wir aufgehört“, sagt Tobias, was dann auch das Aus der Band bedeutete. „Wir haben eine ganze Weile gar nicht Musik gemacht, bis wir bei der Hochzeit einer Freundin drei Songs gespielt haben“, fährt er fort. „Dann haben wir festgestellt: Es macht Spaß!“ Die beiden überlegten, als Duo weiterzumachen, denn dann „können wir zu Hause proben“, so Tobias. Das war 2018, richtig los ging es aber erst 2022.

Dieses Duo brauchte natürlich einen Namen. Zugute kam Tobias‘ Leidenschaft für Geschichte. In einem Buch stolperte er über die Kentucky Tragedy. Diese Tragödie ereignete sich 1825 und war nur oberflächlich ein Mordfall, im Detail ging es noch weit grausiger zu. „Wir haben weder totgeborene Kinder noch eine Fehde mit einem Anwalt“, lacht Sonja. Und ergänzt: „Ich habe früher Indie-Musik gehört und wollte immer in einer The-Band spielen.“ Das erfüllte sich nun, sogar ohne Kompromisse: „Da viele Lieder furchtbar tragische Inhalte haben, passt es auch.“

Sonja und Tobias vertrauen auf Instrumente, die einen authentischen Klang produzieren. Teilweise wurden sie vor dem Zweiten Weltkrieg gebaut. Stilecht ist auch das Großmembran-Kondensatormikrofon.

Foto: Christian Bring

Obschon Sonja und Tobias 100 Jahre alte Musik so originalgetreu wie möglich spielen, ist es nicht ihr Anliegen, auch optisch authentisch zu sein. „Wie bei Reenactments, so weit gehen wir nicht“, winkt Sonja ab: „Es sind Bühnen-Outfits.“ Und Tobias ergänzt: „Es passt schon zum Genre, relativ retro bis zeitgenössischer Country-Chic.“ So ganz in Straßenkleidung würde es zur Musik nicht passen, „wenn man auftritt, muss es auch ein Auftritt sein“, legt sich Sonja fest. Authentischer verhält es sich bei den musikalischen Werkzeugen: „Wir haben teilweise alte Instrumente, Gitarren, ein Banjo“, sagt Tobias, „viele von vor dem Zweiten Weltkrieg.“ Immerhin authentische Anmutung hat auch das Großmembran-Kondensatormikrofon, das die Instrumente und Gesänge der beiden auffängt. „Und um die Rückkopplung zu dämmen, haben wir ein Vorhang dahinter und einen Teppich darunter“, sagt Sonja. Ein Markenzeichen: „Egal, wo wir auftreten, man sieht: Das ist The Kentucky Tragedy.“

Und kaum, dass die beiden als The Kentucky Tragedy starteten, ging es schon überregional los. „Wir sind seit ein paar Jahren weiter in die bundesweite Bluegrass- und Oldtime-Szene reingerutscht“, erzählt Sonja. So nehmen die beiden regelmäßig an bundesweiten Treffen teil und jammen. Auffällig ist zudem, dass sich ihre Konzerte nicht nur in der Region um Gifhorn – etwa in Mr. Barman‘s Bier- und Weinkeller oder im Kleinen Café in Rethen – häufen, sondern auch in Nordrhein-Westfalen. „Ich bin aus Lüdenscheid“, erklärt Sonja. „Wir spielen gerne, ich buche gerne“, zuckt sie mit den Schultern und berichtet, dass sie am liebsten Gigs im Umkreis von einer Stunde bucht, eben von Gifhorn oder Lüdenscheid. So kommt das.

Zurück zu den Treffen mit den Jam-Sessions: Solche veranstalten Sonja und Tobias ebenfalls, nämlich die Lion‘s Jams. „Jams für Irish Folk gab es bereits in Braunschweig“, erklärt Tobias, „aber keine für Bluegrass, da waren Göttingen und Hamburg die nächsten.“ Also buchten die beiden eine Gartenkantine als Austragungsort und schalteten im Januar 2020 eine Zeitungsannonce mit dem Betreff „O Brother, Where Art Thou?“, nach dem Film, in dessen Soundtrack Bluegrass eine wichtige Rolle spielte. Es meldeten sich einige Leute, das Paar richtete einen Verteiler ein, der Termin war für den März angesetzt – und dann machte die Pandemie den Plänen einen Strich durch die Rechnung.

Doch der Verteiler vergrößerte sich und im Juli 2021 fand dann endlich das erste Lion‘s Jam statt, „bei uns unter dem Carport“, erzählt Sonja. „Es kamen sieben Leute – und ohne, dass wir es wussten, kannten die sich alle untereinander“, lacht sie. Denn: „Es gab vor uns ja auch schon Bluegrass in Braunschweig.“ Nur eben keinen Jam. Der findet seitdem jeden Monat in Braunschweig statt, inzwischen im Kufa-Haus. „Auch in Hannover und Peine gibt es Ausgründungen“, freut sich Tobias. Als Krönung der Jams gibt es jetzt außerdem einmal im Jahr das Lion‘s Jam Hootenanny, „einen Konzertabend, bei dem jeder auftreten kann, von der richtigen Band bis zur Scratch Band, die sich nur für einen Abend zusammenfindet“, erklärt Sonja.

Wer The Kentucky Tragedy live genießt, kann mit etwas Glück noch eine Kopie der CD „Live At The Mortuary“ finden, die das Duo in Hannover mitgeschnitten hatte, bei einem Auftritt in einem Café, das in einer früheren Leichenhalle eingerichtet war. „Das passt zur Musik“, grinst Sonja, die den Anlass so erklärt: „Die Leute haben uns gesagt, sie würden was kaufen wollen, wenn wir was hätten. Seitdem tragen wir uns mit dem Plan, CDs zu machen.“

Das eigene Studio im Keller ist dafür schon mal eine ideale Voraussetzung. „Wir haben auch schon Probeaufnahmen gemacht“, sagt sie, „aber die Muse hat uns nicht geküsst und wir haben viel um die Ohren.“ So lässt ein Studioalbum noch auf sich warten. „Deswegen haben wir die Live-Aufnahmen durchgeguckt, das ist auch näher dran an uns“, findet sie. Dennoch ist der Traum nicht vom Tisch: „Aber es wird dauern.“ Und dann am besten „auf Schellack“, lacht sie.

Nach zeitgenössischen Vorbildern gefragt, deutet Sonja auf Tobias: „Ich bewundere ihn.“ Danach folgen das Duo Anna & Elizabeth aus den USA sowie das Album „The Complete Recordings Of Hezekiah Procter“ des Kanadiers Li‘l Andy. „Wir mögen alte Sachen und altmodische Sachen“, erklärt sie. „Wir gucken gerne YouTube-Videos mit solcher Musik, zum Beispiel Sheesham Lotus & ‘Son.“ Diese führten zu eben jenem Li‘l Andy, der Lieder für fiktive Musiker aus den 20ern verfasste. Mit ihm freundeten sich die beiden an. So kommt es, dass er am Sonntag, 31. August, zum zweiten Mal in Braunschweig gastiert, auf der Kulturbühne der Gärtnerei Volk.

Kurz darauf sind The Kentucky Tragedy selbst live in Gifhorn zu erleben, wenn sie am Sonntag, 14. September, ab 15 Uhr im Internationalen Mühlenmuseum aufspielen.

An ein eher ungewöhnliches Projekt wagen sich die beiden in der Woche davor, am Samstag, 6. September, ab 19 Uhr im Gasthof Zur Post in Vordorf: Dann richten sie nämlich erstmals einen Barn Dance aus, einen Scheunentanz. Dabei stehen sich die Tanzenden in zwei Reihen gegenüber. „Es gibt einen Ansager – einen Caller – und eine Live-Band, und dann wird getanzt“, erklärt Sonja. Tobias wirft ein: „Das sind ein Haufen Leute, die so Figuren machen nach Ansage.“ Sonja betont: „Jeder kann kommen, jeder kann tanzen.“ Vorkenntnisse sind also nicht erforderlich. Und: „Wir sind Teil der Band“, so Tobias, „wir suchen uns Leute zusammen.“

Das wird also völlig anders, als man das Paar gewöhnlich erlebt – wie eben in der Folgewoche im Schatten der Mühlenflügel.

Barn Dance:
Samstag, 6. September
19 Uhr, Gasthof Zur Post
Hauptstraße 18, Vordorf

The Kentucky Tragedy – Live:
Sonntag, 14. September
15 Uhr, Mühlenmuseum
Bromer Straße 2, Gifhorn

facebook.com/LionsJamBS
lionsjam.de
facebook.com/KentuckyTragedy
thekentuckytragedy.de


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