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Werde ich nun ausgeraubt – oder vergewaltigt? KURT-Kolumnistin Mia Anna Elisabeth Timmer schreibt über die alltägliche Belästigung von Frauen

Mia Anna Elisabeth Timmer Veröffentlicht am 23.03.2024
Werde ich nun ausgeraubt – oder vergewaltigt? KURT-Kolumnistin Mia Anna Elisabeth Timmer schreibt über die alltägliche Belästigung von Frauen

Von Braunschweig bis Gifhorn verfolgt: KURT-Volontärin Mia Anna Elisabeth Timmer spürt die Angst, die das tägliche Leben als Frau mit sich bringt, als ein Fremder sie durch Bus, Bahn und zu Fuss über 22 Kilometer verfolgt.

Foto: Mia Anna Elisabeth Timmer

„Geh weg“, wiederhole ich immer wieder gegenüber dem Fremden, der mich verfolgt, seitdem ich in den Bus in Braunschweig eingestiegen bin. Auch im Hauptbahnhof hängte ich ihn nicht ab, obwohl ich mein Schritttempo erhöhte und mehrfach falsche Wege andeutete. Jetzt sitze ich in der RB47 nach Gifhorn, es ist nach 23 Uhr. Der Zug ist leer – bis auf den Fremden und mich.

„Ich mag Dich.“

„Geh weg.“

Doch er geht nicht weg, selbst als er auszusteigen scheint. Extra bleibe ich sitzen, als mein eigentlicher Halt, der Bahnhof Gifhorn-Süd, kommt. Ich dachte, er würde aussteigen. Doch er steigt nicht aus; stattdessen kontrolliert er, das erkenne ich in der Spiegelung der Scheiben, ob ich noch am selben Platz sitze – und bleibt im Zug. Es folgt Gifhorn-Stadt. Jetzt muss ich spätestens raus. Und jetzt steigt auch er aus. Zügig geht er voraus, dreht sich aber immer wieder nach mir um. Werde ich nun ausgeraubt? Oder vergewaltigt?

05371-12333 – ich tippe schnell. „Hier ist ein komischer Typ“, spreche ich ins Telefon. Keine zwei Minuten muss ich warten und das Taxi ist da. Der Fremde winkt dem vorbeifahrendem Taxi hinterher. „Solche nehme ich nicht mit“, flucht der Fahrer, als ich die Geschichte erzähle.

Am nächsten Tag berichte ich Bekannten von meinem Erlebnis. Dass ich belästigt wurde, überrascht aber keinen.

Diese Schockstarre der Gleichgültigkeit ist zwar empörend, aber nicht unerwartet – schließlich gehört‘s zu unserem alltäglichen Leben. Zwei von drei Frauen erleben laut dem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben sexuelle Belästigung. Von den Dritten kenn ich keine.

Etwa 20 Kilometer weit verfolgt zu werden – das ist gruselig. Was aber vielen nicht klar ist: Dieser Grusel fängt schon viel früher an. Ein „Hey Flocke“ ist der Anfang solcher Erlebnisse. Denn mit der Duldung eines vorgeblich unschuldigen „Hey Flocke“ signalisieren wir, dass es okay wäre, Frauen grundlegend zu entwürdigen – und so zu unterdrücken. Wenn es okay ist, jemanden verbal zu entrechten, wieso sollte es dann nicht in Ordnung sein, das auch gewalttätig umzusetzen? Wieso sollte mich jemand nicht belästigen dürfen – ich bin nur eine Frau?

Und wenn ich erneut höre „Ich würd‘ ja nie...“ oder „Ich mein‘s ja nicht so“ hole ich mir oder meinem Gegenüber ein One-Way-Ticket in den Teil unserer Galaxie, wo es keine lebenserhaltende Atmosphäre gibt.

Es ist klar, dass nicht alle Männer scheiße sind – trotzdem werden alle Frauen beschissen behandelt. Da helfen auch keine Blumen zum Weltfrauentag.


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