Stadtentwicklung
Unsere Stadt muss eine Schwammstadt werden – Was lehrt uns das aktuelle Hochwasser? KURT stellt 25 Fragen an Gifhorns Stadtverwaltung
Bastian Till Nowak, Malte Schönfeld, Mia Anna Elisabeth Timmer, Ben Weber Veröffentlicht am 18.01.2024
Welche Lehren zieht die Stadt Gifhorn aus den aktuellen Hochwasserereignissen? KURT hat nachgehakt.
Foto: Nicole Rodrigues Frenzel
Gibt‘s Entschädigungszahlungen für Bürger, die Schäden durchs Hochwasser erlitten haben? Wie gut ist unsere Stadt, wie gut sind unsere Feuerwehren gegen die Flut gewappnet? Und was kann unsere Kommune angesichts des Klimawandels tun, um künftige Katastrophen zu verhindern? Bastian Till Nowak, Malte Schönfeld, Mia Anna Elisabeth Timmer und Ben Weber vom KURT-Team haben die Fragen zusammengestellt für eine Sonderepisode unserer Serie „Stadtentwicklung“ aus aktuellem Anlass – Annette Siemer aus dem Büro des Bürgermeisters hat mit Unterstützung des Rathaus-Teams geantwortet.
Welche Schlüsse können Sie jetzt schon aus den aktuellen Hochwasserereignissen in und um Gifhorn ziehen?
Die aktuellen Hochwasserereignisse verdeutlichen einmal mehr wie wichtig es ist, offene Böden als solche zu bewahren und auch in Wohngebieten Maßnahmen für die Rückhaltung von Oberflächenwasser zu planen. Der Verlauf der Wasserlinie am 28. Dezember bildet ungefähr die Grenzen der gesetzlich festgestellten Überschwemmungsgebiete ab.
Wie kommt das aktuelle Hochwasser in der Stadt Gifhorn zustande, wie die Überschwemmungen?
Die über einen so langen Zeitraum viel zu hohen Niederschlagsmengen konnten von den bereits gesättigten Böden nicht mehr aufgenommen werden. Das hat dazu geführt, dass die Wassermassen nicht mehr über Kanäle und Gräben zur Aller und Ise schadlos abgeleitet wurden. So flossen weitere Niederschläge direkt ab und die Pegel stiegen. In der Folge traten die Flüsse über die Ufer und fluteten die durch Rechtsverordnung der Landesregierung für 100-jährige Regenereignisse ausgewiesenen Überschwemmungsgebiete. Überregional betrachtet hat die Regulierung des gesamten Einzugsgebietes durch die Aufleitung auf den Mittellandkanal an Aller- und Mühlenriededüker die Wassermengen für Gifhorn reduziert. Aber die hohen Niederschlagsmengen konnten, wie erwähnt, von den gesättigten Böden nicht mehr aufgenommen werden. Das zeigt einmal mehr, wie wichtig die Themen Hochwasserschutz, Gewässerrenaturierungen und Entsiegelung sind.
Welche Bereiche von Aller und Ise in der Stadt Gifhorn sind besonders überlastet?
Alle Bereiche von Aller und Ise sind gleichermaßen belastet. Der Schlosssee hat Rückhalteleistungen erbracht und Gifhorn vor weiteren Überschwemmungen geschützt. Der Aller-Ohre-Ise-Verband hat mit der Steuerung einzelner Wehre, teils von Hand, den Abfluss der Wassermassen reguliert und so dafür gesorgt, dass es zu keinen größeren Überflutungen kam.
Welche Gegenmaßnahmen hat die Stadtverwaltung für das Hochwasser getroffen?
Kritische Straßen (zum Beispiel Bruno-Kuhn-Straße) und Wege (zum Beispiel Fußweg an der Ise am Parkplatz Schottische Mühle) wurden in Kommunikation mit dem Aller-Ohre-Ise-Verband gesperrt, für die Verwallung im Bereich Wiesenstraße und für den Schlosssee galt ein Betretungsverbot. Als wirksam haben sich die 2003/2004 durchgeführten Hochwasserschutzmaßnahmen im Bereich der Siedlungen Wiesenstraße und Alte Riede sowie im Gewerbegebiet Gifhorn-Süd erwiesen.
Sind Menschen im Stadtgebiet aufgrund von Hochwasser oder Überschwemmung verletzt worden?
Nach unserer Kenntnis ist niemand zu Schaden gekommen.
Wie steht es um die Lage in Gifhorns Ortsteilen? So hoch steht das Wasser nach der Mündung der Ise in die Aller an der Brücke von Gifhorns Allerstraße selten.
Foto: Nicole Rodrigues Frenzel
Am Campingplatz Brenneckenbrück ist es zu Überschwemmungen gekommen. Dort befindet sich der Messpegel Brenneckenbrück des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). Der höchste Pegelstand lag am 27. Dezember auf einem Rekordhoch von 375 Zentimeter. Das sind 13 Zentimeter mehr als der bisherige Höchstwert an diesem Messpegel. Zu diesem Zeitpunkt wurden dort die Verwallungen überspült.
Die Pegelstände werden viertelstündlich gemessen. Die derzeit (5. Januar, 10 Uhr) für die Stadt Gifhorn relevanten Messpunkte in Brenneckenbrück (Aller) und Neudorf-Platendorf (Ise) weisen Meldestufe 2 und 3 aus. Was würde bei Stufe 4 passieren?
Im Bereich der Binnengewässer gibt es keine Meldestufe 4. Stufe 3 ist die höchste Stufe und die wurde stellenweise erreicht. Bei Meldestufe 2 sind die Bürger aufgefordert, ihr Eigentum zu schützen und tiefer gelegene Bereiche, zum Beispiel Keller und Ufer, zu meiden. Wege und Straßen, die zu überfluten drohen, werden gesperrt, instabile Verwallungen werden mit Sandsäcken oder mobilen Deichen verstärkt.
Die Stadt Gifhorn beobachtet kontinuierlich die Wetter- und Hochwasserlage, um gegebenenfalls reagieren zu können. Außerdem besteht ein enger Austausch mit dem Stab für außergewöhnliche Lagen des Landkreises Gifhorn und dem Aller-Ohre-Ise-Verband.
Aller und Ise stehen zurzeit sehr hoch. Wenn die Flüsse noch etwas mehr Wasser führen würden, würden dann zwangsläufig Straßen im Stadtgebiet überflutet? Oder gäbe es noch andere Ausweichmöglichkeiten?
Die Regulierungsmöglichkeiten im Verlauf von Aller und Ise geben der Stadt bislang ein großes Maß an Sicherheit. Insbesondere die Kapazität des Schlosssees trägt zur Sicherheit im Stadtgebiet bei.
In Neudorf-Platendorf und Triangel, genauso in Müden, wurden Bewohnerinnen und Bewohner aufgefordert, kein beziehungsweise kaum mehr Abwasser in die Kanalisation einzuleiten, da diese überlastet war und bei weiteren Duschvorgängen oder Toilettenspülungen das Abwasser drohte in die Häuser zurückgedrückt zu werden. Könnte eine solche Situation auch im Stadtgebiet eintreten?
Es ist verboten, Hochwasser in das Schmutzwasser-Kanalsystem abzuleiten, das überlastet die Pumpwerke und in der Folge überstauen die Kanäle. In Gifhorn sind wir gut durch die Krisenlage gekommen, weil die Infrastruktur funktioniert hat. Der Abwasser- und Straßenreinigungsbetrieb der Stadt Gifhorn (ASG) wird aber punktuell die bekannten Fehleinleitungen ins Kanalnetz aufklären.
Gibt es ein Worst-Case-Szenario für die Stadt Gifhorn?
Für alle außergewöhnlichen Lagen gibt es entsprechende Notfallpläne, die eine enge Zusammenarbeit aller betroffenen Behörden und Hilfsorganisationen vorsehen. Aus Sicherheitsgründen werden keine Details dazu öffentlich gemacht.
Den Bürgerinnen und Bürgern raten wir, sich eigenverantwortlich um Notfallvorsorge und Selbstschutz zu kümmern. Entsprechende Informationen findet man auf der Homepage des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (bbk.bund.de). Dort kann man sich den Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen herunterladen. Dieser ist auch im Rathaus Gifhorn im Bürgerbüro und im Fachbereich Ordnung erhältlich. Darin findet man zum Beispiel Maßnahmen bei auftretendem Hochwasser sowie grundsätzliche Anregungen, um sich auf Notfallsituationen vorzubereiten und Vorsorge zu treffen.
An welchen Stellen und wie arbeitet die Stadtverwaltung in diesen Tagen mit der Landkreisverwaltung zusammen?
Es besteht eine strukturierte und gute Zusammenarbeit zwischen beiden Behörden. Beim täglichen Austausch von Lageinformationen wird auch das gemeinsame Vorgehen von Maßnahmen abgestimmt.
Welche Hilfskräfte – Feuerwehr, Technisches Hilfswerk oder dergleichen mehr – sind im Einsatz? Was sind ihre Aufgaben? Gibt es spezielles Gerät, mit dem sie ausgerüstet sind?
Die Stadt Gifhorn kann nur für die Freiwillige Feuerwehr sprechen. Selbstverständlich stehen wir auch im Austausch mit anderen Hilfsorganisationen. Die Freiwilligen Feuerwehren der Stadt Gifhorn sind für den Schutz von kritischer Infrastruktur im Verbund mit der Kreisfeuerwehr ausgestattet. Sie haben Zugriff auf Sandsackreserven und verfügen über Pumpensysteme und Stromerzeuger.
Was passiert, wenn Material und Fahrzeuge zur Hochwasserbekämpfung anderswo – zum Beispiel im Landkreis Verden – im Einsatz sind, plötzlich aber in der Stadt gebraucht werden? Nach welchen Kriterien wird die Vergabe entschieden? Kritische Stellen – wie der Weg an der Ise am Parkplatz Schottische Mühle – wurden von Gifhorns Stadtverwaltung gesperrt.
Foto: Nicole Rodrigues Frenzel
Es werden immer nur so viel Material und Personen zur Unterstützung in andere Gebiete entsandt, dass die eigenen Schutzmaßnahmen weiterhin durchgeführt werden können.
Was sollten die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Gifhorn tun, um sich selbst vor den Folgen von Hochwasser zu schützen?
Wasser kann oberirdisch über Treppen und Lichtschächte einlaufen. Dagegen kann man baulich vorsorgen oder kurzfristig die Immobilie mit Sandsäcken sichern. Wertvolle Gegenstände sollte man rechtzeitig aus dem Keller fortschaffen oder höher lagern. Nach einiger Zeit drückt auch das Grundwasser durch Fugen und Öffnungen verstärkt in die Keller, so dass abgepumpt werden muss. Hier müssen Hausbesitzer selbst Vorsorge betreiben und sich schützen, auch gegen Rückstau aus dem Schmutzwasserkanal. Die ASG-Satzung schreibt eine Rückstauklappe vor, die regelmäßig gewartet werden muss. Außerdem ist es sinnvoll, sich gegen Elementarschäden zu versichern.
Gibt es Richtlinien, ab wann vom Hochwasser betroffene Bürgerinnen und Bürger die Hilfe von Einsatzkräften dazuziehen oder das Hochwasser auf ihrem Grundstück mit eigenen Mitteln bekämpfen sollten, um die Einsatzkräfte nicht weiter zu belasten?
Grundsätzlich sind die Bürger verpflichtet, selbst vorzubeugen und ihr Hab und Gut zu schützen. Die öffentliche Hand kommt zum Einsatz, wenn die öffentlichen Schutzvorrichtungen gesichert werden müssen, etwa wenn mit Hochwassersituationen zu rechnen ist, die über dem Berechnungshochwasser liegen, für das die Schutzmaßnahmen ausgelegt sind. Dann werden Entlastungsmaßnahmen ergriffen, um das Wasser an unempfindliche Orte zu leiten.
Wie hilft die Stadtverwaltung den Gifhornerinnen und Gifhornern bei vollgelaufenen Kellern? Gibt es Entschädigungszahlungen von öffentlicher Seite?
Es ist wichtig zu wissen, dass die Freiwillige Feuerwehr keine privaten Keller ausspült, auch nicht wenn der Betroffene keine Pumpe hat. Die Feuerwehr unterstützt nur, wenn kritische Infrastruktur gefährdet ist, zum Beispiel wenn ein Öltank aufzutreiben droht. Es gibt auch keine Entschädigungszahlungen von den Kommunen.
Wie sollen Landwirte und Reiterhöfe mit ihren Tieren umgehen? Sind Ihnen tote Tiere bekannt?
In der Stadt sind keine Tiere zu Schaden gekommen. Auf Grund der Vorwarnstufen bestand ausreichend Zeit, alle Tiere in höhere Lagen zu bringen.
Gesperrte Straßen, Rettungsaktionen, Verzögerungen auf Baustellen – welche Kosten verursacht das aktuelle Hochwasser und seine Folgen?
Dazu liegen uns keine Angaben vor.
Sind durch das aktuelle Hochwasser Schäden an städtischem Eigentum entstanden? Wenn ja, welche?
An städtischen Liegenschaften sind keine Schäden entstanden. Allerdings gab es einige vollgelaufene Keller.
Welche konkreten Investitionen sind in den vergangenen Jahren in der Stadt Gifhorn in den Hochwasserschutz geflossen? Welche sind für die Zukunft geplant?
Die Stadt ist Mitglied im Starkregen-Netzwerk und erstellt derzeit eine Starkregenhinweis- sowie eine Starkregen-Gefahrenkarte. Auf dieser Basis soll ein Maßnahmenkatalog für Gifhorn erarbeitet werden, analog zu den Hochwasserschutzmaßnahmen im Bereich Gifhorn-Süd in den Jahren 2004/2005. Außerdem ist die Stadt Gifhorn Mitglied in der 2022 ins Leben gerufenen Flussgebietspartnerschaft Ise.
Welche Schutzmaßnahmen haben sich als hilfreich erwiesen? Welche nicht? „Der Schlosssee als Hochwasserrückhaltemaßnahme und die Wehre zur Regulierung des Wasserabflusses haben wie vorgesehen funktioniert“, teilt Gifhorns Stadtverwaltung mit. „Leider haben nicht alle Bürger die Absperrungen kritischer Bereiche respektiert.“
Foto: Nicole Rodrigues Frenzel
Der Schlosssee als Hochwasserrückhaltemaßnahme und die Wehre zur Regulierung des Wasserabflusses haben wie vorgesehen funktioniert. Leider haben nicht alle Bürger die Absperrungen kritischer Bereiche respektiert.
Sind im zurückliegenden Jahr an Gräben und Flussläufen im Stadtgebiet alle nötigen Pflegemaßnahmen wie geplant erfolgt – oder hat es da aus welchen Gründen auch immer Versäumnisse gegeben?
Der Aller-Ohre-Ise-Verband hat sämtliche Gewässer in diesem krautreichen und feuchten Jahr intensiver als in den Vorjahren unterhalten, wodurch der Wasserabfluss gegeben war. Die Stadt ist für die Gewässer III. Ordnung zuständig und führt jährlich die erforderlichen Gewässerpflege- und Unterhaltungsmaßnahmen durch, um den Wasserabfluss zu gewährleisten. Dazu zählen das Mähen der Böschungen, Beräumen von Grabensohlen, Spülen von Durchlässen und Freischneidearbeiten. Im Rahmen der Gewässerschau wird regelmäßig der Zustand der Gewässer III. Ordnung geprüft, festgestellte Mängel werden beseitigt.
Welche Rolle spielt die Klimakrise bei Hochwasser und Überschwemmungen in der Stadt Gifhorn?
Dieses Regenereignis war extrem. Ob es sich bei dem diesjährigen Hochwasser um das 100-jährige Regenereignis gehandelt hat, werden die Nachrechnungen des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) ergeben. Durchaus möglich, dass es sogar über dem 100-jährigen Hochwasser liegt. Da dies nur ein statistischer Wert ist, muss man mit Blick auf den Klimawandel damit rechnen, dass vergleichbare Niederschlagsereignisse in näherer Zukunft häufiger auftreten können.
Welche Klimaanpassungen können Szenarien wie Hochwasser und Überschwemmungen entschärfen oder sogar verhindern?
Gewässer renaturieren, Auen öffnen und Böden entsiegeln, das sind vordringliche Aufgaben. Städte müssen zu Schwammstädten werden, das heißt im gesamten Stadtgebiet müssen möglichst viele Bereiche geschaffen werden, wo Wasser schadlos hinfließen und/oder versickern kann.
Gibt es Pläne aktuell überflutete Flächen, wie zum Beispiel landwirtschaftliche Flächen, dauerhaft für den Hochwasserschutz umzurüsten – also zum Beispiel Begradigungen rückgängig zu machen und Flussauen zu schaffen, um so einen natürlichen und umweltförderlichen Schutz vor Hochwasser zu erreichen?
Wir müssen über mögliche Renaturierungsmaßnahmen an Aller- oder Ise-Altarmen nachdenken. Auch über Maßnahmen des Ausgleichsflächenpools der Stadt können möglicherweise Verbesserungen erreicht werden.