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Unendlicher Konsum, um die Welt zu retten: KURT-Kolumnist Malte Schönfeld besuchte ein schwedisches Möbelhaus

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 01.09.2022
Unendlicher Konsum, um die Welt zu retten: KURT-Kolumnist Malte Schönfeld besuchte ein schwedisches Möbelhaus

Im Ikea ist alles perfekt ausdesignt. So weit, so bekannt. Doch KURT-Kolumnist Malte Schönfeld hat bei einem schwedischen Möbelhaus noch einiges mehr festgestellt.

Foto: Aantoni Shkraba/Pexels

Bald ziehe ich um. Raus aus der lieb gewonnenen Wohnung, die ich vier Jahre mein Zuhause genannt habe. Ich tausche sie gegen eine viel geilere, größere und gigantischere Wohnung ein, sie liegt an einer prominenten Braunschweiger Straße. Die hat sogar einen Wikipedia-Eintrag, und auf dem Foto kann man meine Fenster sehen. Es ist damit ein berühmtes Zimmer, in etwa so berühmt wie das Bernsteinzimmer im Katharinenpalast, finde ich.

Ein Umzug meint auch: Pinterest-Vintage, Mid-Century-Möbel, mindestens auf dem Level New Yorker Townhouse oder 16. Arrondissement in Paris. Rosa trifft auf Mintgrün, formschöne Bilderrahmen, zeitgenössische Kunst aus Galerien, weißer Stuck, sündhaft teure Vorhänge, Dschungel-Pflanzen, persischer Teppich. So zumindest meine Vorstellung.

Um zu gucken, wie normale Menschen – also arme Schlucker wie ich – das normalerweise machen, fahre ich zu Ikea. Jeder hat diesen Ikea an der Hansestraße besucht, ob man aus Gifhorn, Triangel oder Wasbüttel kommt. Nach der Autobahnabfahrt findet sich das Einrichtungshaus zur Linken, zur Rechten stinkt der Kentucky Fried Chicken, eine Art Hinrichtungshaus. Bäumeschreddern hier, Kükenschreddern dort. Über dem Parkplatz flimmert die Luft, drinnen ist es klimatisiert und beinahe arktisch. An dieser Stelle hätte ich noch die Möglichkeit, ins Kinderparadies Småland abzubiegen.

Bei Ikea wandelt man durch bezugsfertige Zimmer, jeder Quadratmillimeter ist ökonomisiert und durchgerechnet. Bücherregale neben Handtuchhaltern neben Bilderrahmen neben hüfthohen Schränken neben steifen Sesseln neben zotteligen Schafsfellen. Es gibt Sideboards mit Schnapp- und Druckfunktion, die ein völlig geräuschloses Tür-öffne-Erlebnis ermöglichen – auf, zu, auf, zu. Ganz süchtig wird man danach, so geschmeidig funktioniert es. Auf, zu, auf, zu. Mir gefallen: Gardine Sanela, Spindschrank Kolbjörn und Stuhl Tobias. Facepalm im New Yorker Townhouse.

Bei Ikea ist alles fertig designt. Es ergibt gar keinen Sinn, für den Sessel Poäng einen anderen Untersatz als Teppich Bogense zu wählen. Ikea nimmt einem die Entscheidungsfreiheit ab. Es ist wirklich wie in dem tollsten aller tollen Filme, „Fight Club“, da der Protagonist durch den Katalog des schwedischen Möbelhauses blättert und gleichzeitig durch die Einrichtung flaniert. Er hat alles gekauft. Ikea fragt und gebietet: Warum willst Du Dir Gedanken machen, das haben wir doch schon für Dich getan. In den Zimmerbeschreibungen macht‘s Ikea nie unter leben, träumen, entfalten – der ausgedachte Individualismus wurde schablonisiert wie eine Scheibe Käse. Liegen im Småland auch Scheiblettenbabys in Brutkästen?

Doch tatsächlich lerne ich noch etwas. Jahrelang dachte ich, es würde Bockspringbett heißen, dabei heißt es Boxspringbett. Das lese ich hier jetzt klar und deutlich. Und als ich mich auf die Taschenfederkernmatratze Vågstranda fallen lasse, realisiere ich, dass ich zu Hause wohl auf Beton schlafen muss.

Mit einem Ficus inklusive Topf unterm Arm stehe ich an der Kasse. Dahinter die Schlemmermeile, wie im Duty-Free-Shop am Flughafen. Plötzlich kann man bei Ikea neben Betten, Schränken und Stühlen auch zertifizierte Meeresfrüchte, nachverfolgbaren Kaffee und Mineralwasser, das soziale Projekte fördert, kaufen.

Das ist ganz praktisch, denke ich mir und kaue zwei vegetarische Hot Dogs. Selten war es so einfach, durch Konsum etwas richtig Gutes zu tun. Ich ziehe in ein größeres Zimmer in einer größeren Wohnung in eine größere Straße und rette ruckzuck noch die Urwälder, die Fischbestände, die Wasserbrunnen und Löhne der Bäuerinnen. Einfach geil und gigantisch.


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