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Über #justiceforjohnny - KURT-Kolumnist Malte Schönfeld blickt auf den Gerichtsprozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 12.06.2022
Über #justiceforjohnny - KURT-Kolumnist Malte Schönfeld blickt auf den Gerichtsprozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard

Der Hammer ist gefallen: Im Zivilprozess zwischen den ehemaligen Ehepartnern Johnny Depp und Amber Heard wurde eine Entscheidung getroffen. Doch für KURT-Kolumnist lenkte das Gezeigte im Saal vom eigentlichen Thema ab.

Foto: Pexels

Sechs Wochen lang stritten der Schauspieler Johnny Depp und die Schauspielerin Amber Heard, immerhin 15 Monate miteinander verheiratet gewesen, vor einem Geschworenengericht in den USA. Sie klagten gegenseitig auf Verleumdung. 24 Gerichtstage später ist es vollbracht: Johnny Depp wird von einer Jury in den meisten Punkten Recht zugesprochen, Amber Heard in nur wenigen. Es ging um sexualisierte Gewalt und häusliche Gewalt, noch mehr aber um Rufschädigung.

Die vermeintlichen Beweisstücke wurden als Video oder Foto gezeigt, als Audofile abgespielt.

In den vergangenen Wochen schien es wirklich nicht leicht, sich diesem Prozess zu entziehen. Oder meine Algorithmen wollten vielleicht auch einfach, dass ich mir das anschaue – die besoffenen Ausraster, die Selbstverletzungsandrohungen, die Schreiereien, wann und wieso Johnny Depp tablettenabhängig war, wie er mit Marilyn Manson gefeiert hat. Das alles konnte man per Livestream verfolgen, direkt aus dem Gerichtssaal. Wem das zu anstrengend und langweilig war, der konnte sich von den Depp-Fans auch Zusammenfassungen unter dem Hashtag #justiceforjohnny
anschauen. Sie waren einseitig editiert, ließen ihn mal emotional und sensibel, dann charmant und gewitzt wirken.

In meinem Gifhorner Jugendzimmer hing ein Poster von Johnny Depp. Ich mochte ihn damals sehr. Meine erste DVD, die ich mir am Tag meines zwölften Geburtstags kaufte, war „Die neun Pforten“ von Roman Polanski, in der Hauptrolle Johnny Depp. Damals dachte ich, es wäre einer der besten Filme der Welt. Depp und Polanski – was für ein magischer Zirkel. Heute sieht man sich berechtigterweise dazu genötigt, über beide Personalien, ihr Werk und ihr Wirken nachzudenken.

Es scheint da bei vielen diese Verbindung zu geben. Johnny, der Hollywood-Star. Johnny, der Rockstar. Und jetzt plötzlich: Johnny, der Frauenschläger? Schnell bildete sich um den Frauenschwarm ein Schwarm an Frauen, sie reckten vor dem Gericht Pappschilder in die Luft: #justiceforjohnny. Sie hatten ihr Urteil gefällt. Der Schöne und das Biest, wie sollte es auch anders sein? Auf der einen Seite der labile Sexy Johnny mit den Pillen im Drink, auf der anderen Seite die hysterische, hexengleiche Crazy Amber.

Wenn man diesen Prozess verfolgt hat, stellt man an sich vermutlich ganz widerliche Eigenschaften fest: Voyeurismus zum Beispiel, Schadenfreude. Der Gerichtsprozess ist dann gar kein Gerichtsprozess mehr, sondern ein Filmchen, in das man reinschalten kann, wie es einem gerade passt. Eine abgetrennte Fingerkuppe, Kot auf der Bettdecke. So so, klingt ja wie ein Hangover-Drehbuch. Und dann fragt man sich nach sechs Wochen: Sollte es für uns nicht eher um häusliche Gewalt, um sexualisierte Gewalt gehen?

Laut unserem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend „wird jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt“. Das ist kein Scherz, kein Stream, kein Hashtag. Und das passiert auch hier in Gifhorn. Haben Sie schon davon gehört, liebe Leserinnen und Leser? Raus kommt‘s nämlich im schlechtesten Falle gar nicht und im besten Falle spät. Denn die Opfer gehen selten zur Polizei, um sich jemandem anzuvertrauen – die berüchtigte Dunkelziffer.

In Gifhorn gibt es beispielsweise die Beratungs- und Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt und das Frauenhaus des Landkreises Gifhorn. Denn der Weg zu einer echten Gerichtsverhandlung dauert meistens länger als ein Klick auf YouTube. #justiceformommy


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