Kopfüber

Über das Mittelalter-Fest am Tankumsee: KURT-Kolumnist Malte Schönfeld resümiert seinen allerersten Besuch auf einem Mittelaltermarkt

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 17.05.2022
Über das Mittelalter-Fest am Tankumsee: KURT-Kolumnist Malte Schönfeld resümiert seinen allerersten Besuch auf einem Mittelaltermarkt

KURT-Kolumnist Malte Schönfeld (rechts) hatte viel Spaß beim mittelalterlichen Seespektakel am Tankumsee und durfte sogar eine Schandgeige ausprobieren.

Foto: Marieke Eichner

Urin und Kacke auf den matschigen Straßen, Minnesänger und ihre Liebeslieder, Katapulte, die Pestleichen über Stadtmauern werfen, und scheppernde Blech-Ritter, die für irgendeinen Inzest-Fürsten ins Feld ziehen – so stelle ich mir das Mittelalter vor. Wenn man Pech hat, muss man in den Krieg ziehen, wird in einem Thüringer Wald von einem Pfeil getroffen und stirbt ehrenlos mit dem Gesicht im Dreck. Man wird als Idiot geboren und stirbt als Idiot. Was für eine beschissene Zeit.

Dennoch geht von dieser Epoche eine Faszination aus. Bis heute. Denn sonst würde es am Tankumsee nicht das „Mittelalterliche Seespektakel“ geben, zu dem meine Kollegin und ich nun fahren. Drei Tage dickbäuchige Männer mit Glatze und Zöpfen im Bart, drei Tage gestelztes Reden, drei Tage durchkommerzialisierte Mittelaltersimulation – oder doch nicht?

Als wir das Gelände betreten, treffen wir einen Bekannten. Er fragt, wie wir denn da seien, und ich sage: „Mit der Kutsche.“ Vor uns bestimmt 50 weiße, spitz zulaufende Zelte, die sehen aus wie Mützen vom Ku-Klux-Klan. Es dauert nicht lange, bis das erste Böhse-Onkelz-Shirt an mir vorbeiläuft, das einen mit alten Runen zutätowierten Körper bedeckt. Ob da auch die Wolfsangel gestochen ist, die man neuerdings beim Regiment Asow so wirksam wiedersieht? Nicht unbedingt Liebe auf den ersten Blick.

Wir verschaffen uns einen Überblick, drehen mit einer Schale Kartoffelecken eine Runde. Vorbei an einem Hau-den-Lukas und einem Bogenschießstand. Eine Frau in Kluft zielt ganz genau, der Pfeil fällt trotzdem traurig in den Rasen. Doch dahinter verbirgt sich die erste Attraktion: eine Falknerei. Auf ihren Pfosten sitzen sie da, die Falken und Eulen, sogar zwei richtig große Oschis, einer davon ein Seeadler. Ich staune. Was für ein Prachtexemplar.

Man trifft auf so einige Handelsleute. Sie bieten Holzschuhe, Talerbeutel, Rosenkränze, Pilgerseife, Vogelpfeifen und Salze aus Namibia, Japan und dem Iran feil. Die Salze wirken etwas unauthentisch, das reißen dafür die Trinkhörner wieder raus. Zwischen den Zelten sitzen Männer und Frauen in Fellen und schnittlosen Gewändern, über Feuerstellen brodeln Töpfe, es wird Bier getrunken. Ich stelle mich zu einem Sarwürker, der über Kettenhemden aufklärt. „So‘n Ding konnte schon mal 70 Kilo wiegen“, belehrt er uns. Ein Raunen geht durch die Runde, ich raune auch. Eine große, breitschultrige Frau bekommt ein Kettenhemd um, für einen kurzen Moment sackt sie weg, dann steht sie wie eine Eins. Beeindruckend.

Freundliche Menschen überall. Alle sind gut gelaunt, manche reden ein bisschen irre, aber das gehört wohl dazu. Wir schauen uns eine Reitshow an mit Axtwurf und wieder Bogenschießen. Die Kinder im Publikum machen große Augen und klatschen ganz laut mit ihren kleinen Kinderhänden. Sie sind hyperaktiv von diesen Einlagen, einige Mütter mit rotgefärbten Haaren weisen sie sehr schwarzpädagogisch zurecht. Dann stehe ich fünf Minuten vor einem Schmied, der ein Stück Eisen verbiegt. Irgendwie geil. Ein paar Meter weiter lasse ich mich gefesselt von einer Schandgeige über die Wiese ziehen. Meine Kollegin erwischt es nicht so glimpflich: Ihr Kopf liegt jetzt auf einem Baumstupf, der Scharfrichter holt mit der Axt aus, lässt dann aber noch Gnade vor Recht ergehen.

Zum Schluss stehen wir vor der Bühne, es spielt die Familien-Band Bene Vobis mit Dudelsack, Davul und so Instrumenten, zwischendurch gibt‘s eine zähe Theater-Einlage und eine schwungvolle Tanz-Performance mit Flaggen. Wie ich da so stehe, verliebe ich mich in die Tochter, später google ich sie und finde heraus, dass sie Thalea heißt. Leider kein Instagram-Account. Schöner Scheiß mit dem Mittelalter.


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