Kopfüber-Kolumne

Über das Abschiednehmen

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 25.10.2021
Über das Abschiednehmen

Weil Çağla Canıdar (3. von rechts), unsere Fotografin und Social-Media-Managerin, die KURT-Redaktion verlassen hat, denkt KURT-Kolumnist Malte Schönfeld über das Abschiednehmen nach.

Foto: KURT-Redaktion

Anfang September war es so weit: Çağla Canıdar, unsere Fotografin und Social-Media-Managerin, hat die KURT-Redaktion verlassen. Dem Anlass gebührte es, dass unedler Champagner in Ikea-Gläsern gereicht wurde. Das Kollegium stand im Halbkreis und schwenkte vor sich hin. Es gab feine Kuchenhappen der lokalen Bäckerei und vegane Kekse aus dem gelben Supermarkt. Am Buffet gab‘s nichts auszusetzen. Einige Geschichten wurden erzählt, es wurde gelacht. Obendrein bekam Çağla eine riesige Schultüte, ein Verweis auf ihre nächste Karrierestation. Wir sagen tschüss, Çağla, tekrar görüşürüz! Wir werden Dich sicherlich vermissen.

Man sagt, kein Abschied sei für immer. Irgendwie kreuzen sich die Wege schon wieder. Ob man es beabsichtigt oder auch nicht. Genauso wie man auch sagt: Man sieht sich immer zweimal im Leben. Komisch, wie das Vorfreude und Drohung zugleich ist.

Was bedeutet das aber, sich zu verabschieden? Wenn jemand verstirbt, den man gemocht hat, droht wohl der schwerste Abschied. Familie, Freundinnen, Bekannte – sie sind uns so nah, dass ihr Tod uns aus der Bahn wirft wie ein Stück Kosmos-Müll einen Satelliten. Das ist normal und richtig. Trauer und Wut sind Gefühle, die zum (Über-)Leben dazugehören. Es ist ein Irrtum, dass ein Mensch sein Leben lang glücklich ist. Eine Portion hier, eine Dosis da, das ist vorstellbar. Aber ein ganzes Leben lang? Völlig unmöglich.

Es gibt sogar Tode, die betreffen einen, obwohl man mit den Verstorbenen gar nichts zu tun hatte. So verstarb jüngst TV-Sportmoderator Wolf-Dieter Poschmann, er wurde 70 Jahre alt. Ich kannte ihn nicht. Meine erste Erinnerung an ihn liegt dennoch weit zurück und fühlt sich erstaunlich lebhaft an. Sie datiert um die Jahrtausendwende. Meine Erinnerung heißt Fifa 98.

Es war das erste Computer-Spiel, was ich so richtig „gesuchtet“ habe, wie man sagt. Damals bestanden die Fußballer-Figuren aus aufeinandergestapelten Würfeln, und der eigentlich runde Ball im Übrigen auch. Die Kicker hießen Andy Möller und Marc Overmars und konnten, wenn ich mich recht erinnere, schräg laufen. Mega bescheuert. Poschmann kommentierte kongenial zusammen mit Werner Hansch, dieser anderen Kommentatoren-Legende aus der Zeit. Ich habe noch heute die Menü-Musik im Kopf: „Keep Hope Alive“ von Crystal Method.

Mein Abschied von Wolf-Dieter Poschmann ist selbstverständlich kein intimer. Es wäre unangemessen, das zu behaupten. Aber ein Mini-Stück meiner Kindheit ist mit ihm gegangen. Zweifellos fühlt man sich daran erinnert, dass man doch nicht so unsterblich ist, wie man es als Kind immer vermutet hat. Die Welt schien nicht nur unendlich, sie war unendlich! Und vielleicht ist es so, dass man, je älter man wird, mit jedem Abschied der Unendlichkeit mehr misstraut.

Doch weg von Sportmoderator Poschmann. Es gibt noch viele andere Formen des Abschiednehmens. Eine davon: das Loslassen von Träumen. Man räumt dann das Feld, ein bisschen wie ein geprügelter Hund, zurück bleiben unberührte Vorstellungen. Irgendwann hatte man sich mal etwas vorgenommen, einen Plan geschmiedet, der dann nicht in die Tat umgesetzt werden konnte. Das kann viele Gründe haben: eine falsche Entscheidung getroffen, eine Abzweigung nicht genommen, im richtigen Moment nicht den Mut gehabt.

Ab einem bestimmten Punkt auf der Zeitachse gibt es keinen Weg mehr zurück. Dann muss man mit der Konsequenz leben. Von seinen Träumen Abschied nehmen. Aber auch das kann einen Effekt haben: Möglicherweise kann man einen großen Abschied auch an vielen kleinen lernen.

In dem Sinne: Keep Hope Alive.


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