Kopfüber-Kolumne

Über Angela Merkel

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 22.11.2021
Über Angela Merkel

Nach 16 Jahren Kanzlerin Angela Merkel zieht KURT-Kolumnist Malte Schönfeld Bilanz.

Foto: Pixabay

Angela Merkel geht. Doch: Was bleibt, wenn sie geht? Die Antwort ist ernüchternd: wenig Vollständiges. Vor allem für 16 Jahre Amtszeit. Der Nukleus ihrer Kanzlerschaft ist kaum zu erkennen. Um herauszuschälen, wofür Angela Merkel stand – und im besten Falle auch nach ihrer Amtszeit noch steht – hätte es klare Haltungen gebraucht. Doch es fehlte nicht nur an Haltungen. Es fehlt auch eine Maxime.

Angela Merkel war wie alle großen Politikerinnen und Politiker in erster Linie ein Mensch der Macht. Der Machterhalt wird zum Selbstzweck. Es gibt da eine schwer zu beschreibende Verliebtheit, auch eine Abhängigkeit, wenn man ein hohes Amt innehat. Die Kanzlerin hat es verstanden, taktische Positionswechsel vorzunehmen: Atom-Ausstieg, das Aus der Wehrpflicht, der Mindestlohn. Noch in den Wahlkämpfen stellte sie sich gegen Veränderungen, die sie wenig später durchsetzte. Wieder das Problem der Haltungen.

Es lässt sich nun sagen, dass es ihre große Stärke war, keine Haltungen zu haben. In einer sich immer schneller drehenden Welt mag es nicht verkehrt sein, variabel zu bleiben. Auf Eindrücke reagieren zu können. Handlungsfähig zu sein. Auch aus dem Grund, bei der Partnerwahl niemanden auszuschließen.

Ironischerweise war es in einem anderen Punkt dagegen kein Problem, Personen und ihre Partnerwahl zu behindern. Dass Angela Merkel sich lange gegen die gleichgeschlechtliche Ehe stellte, ist kein Versäumnis gewesen. Es war eine bewusste Entscheidung, um den Tonfall der eigenen Partei zu treffen. Wie reaktionär es doch ist, anderen Leuten die Gründung einer Familie zu verweigern. Wie leicht es dagegen gewesen wäre, voranzugehen, um eine liberale Gesellschaft zu fördern. Anscheinend waren auch die eigenen Vorbehalte dafür zu groß.

Wie steht es um die sogenannte Flüchtlingskrise? Auch Jahre nach den großen Migrationsbewegungen steht da nur das Leuchtturm-Zitat „Wir schaffen das“. Doch es sendet keine Signale mehr. Unsere Asylpolitik ist noch immer kein Miteinander, kein Zusammenleben. Der Pakt mit Erdoğan war nicht zufriedenstellend. Die Aufnahme Geflüchteter aus dem brennenden Lager Moria musste man ihr aus den Rippen leiern. Und dass jahrelang Menschen in das angeblich „sichere Herkunftsland“ Afghanistan abgeschoben wurden, ist schon immer unterlassene Hilfeleistung gewesen.

Angela Merkels politisches Vermächtnis lässt sich auch mit Blick in die Zukunft bewerten. Die Union befindet sich in einem Stadium der Erosion. Das mag man gut finden, wenngleich es auch irgendwo konservative Positionen gibt, die sicherlich wichtig

für unser Land wären. Ungleich schwerer wiegt, dass junge Konservative wie Amthor, Klöckner, Scheuer und Spahn für Käuflichkeit, nicht aber für Integrität stehen. Sicher, schon vor Merkel bestand dieser Zusammenhang. Doch die Ausbildung dieser Undemokratie hat sich unter ihrer Führung gefestigt.

Unsere Zukunft, auch die Gifhorns, hält wegweisende Themen parat: die Angst vor dem Verlust der Arbeit, Digitalisierung, Klimawandel, Künstliche Intelligenz, Rente, Einwanderung, Feminismus, Post-Corona-Zeit, Inklusion und so weiter. Und da haben wir noch nicht über die Zersplitterung der Gesellschaft und antidemokratische Tendenzen gesprochen.

Der pampige Helmut-Schmidt-Satz „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“ war schon immer falsch. Ich hätte für die kommenden Jahre gerne eine Vision gehabt. Es hätte mir gefallen, die Leitsätze meiner Kanzlerin zum Vorbild zu nehmen. Da kommt wohl nichts mehr.

Schade, Merkel.


Coole Leute gesucht – wir stellen ein!

Informiere Dich über Jobs in unserem Medienhaus! Wir sind auf der Suche nach tollen Menschen, die bei uns einsteigen möchten.

Mehr erfahren