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Resignation an der Theke: Wann geht‘s wohl weiter? Gifhorns Gastronomie ist bereit zu öffnen, doch ein politischer Fahrplan fehlt

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 25.04.2021
Resignation an der Theke: Wann geht‘s wohl weiter?  Gifhorns Gastronomie ist bereit zu öffnen, doch ein politischer Fahrplan fehlt

KURT-Schleckermaul Malte Schönfeld wünscht sich den Gastro-Test zurück – wie hier im Cappu von Fatih Kilic.

Foto: KURT Media (Archiv)

Ein Jahr Corona. Kaum was hat sich verändert. Die schönen Restaurants, die kantigen Kneipen, die kleinen Cafés in der Innenstadt – überall herrscht gespenstische Stille. Auch in diesem Frühjahr ist Gifhorns Gastronomie teilnahmsloser Beobachter von dem, was auf den Straßen passiert. Wöchentlich ändern sich die Prognosen, wann es wieder losgeht. Mit dem Bierzapfen, dem Drinkshaking, dem Schnitzelservieren. Doch einen echten Plan scheint es nicht zu geben. Und wo kein Restaurant-Besuch stattfinden kann, kann es auch keinen Gastro-Test geben. Im Gegenzug hat sich unser KURT-Gourmet Malte Schönfeld bei denen umgehört, die der monatelange Lockdown mit am härtesten getroffen hat: Gifhorns Gastronominnen und Gastronomen selbst.

Das Telefon klingelt, Sven Wiese hebt ab. Hallo – Hey, wie geht‘s? Gern möchte er mit mir sprechen. Wie seine Kolleginnen und Kollegen hat auch der Chef der Schützen-Wiese seit nunmehr einem halben Jahr dicht. Klar, Außer-Haus-Verkauf geht, aber Kundschaft im Lokal empfangen, no chance. „Wir sind bei 20 Prozent von dem, was möglich wäre“, sagt Sven. Immerhin: Vonseiten der Vermieter sitzt ihm keiner im Nacken, da habe er großes Glück, meint der emsige Wirt-Koch-Chef. „Ich fühle mich wie ein Grizzlybär, der im November zum Winterschlaf in seine Höhle gegangen ist und jetzt so langsam wieder aktiv wird.“ Und dann das Tohuwabohu der Auflagen. Viele Richtlinien seien nachvollziehbar, andere wiederum nicht, meint Sven.

Im vergangenen Jahr durfte Holger Hirsch (Mitte) im Außenbereich 56 Gäste empfangen – vorm H1 war immer gut was los. Diese Zusammentreffen wünscht sich der Rockbar-Chef auch in diesem Sommer.

Foto: Çağla Canıdar (Archiv)

Sven Wiese ist nicht der einzige, den das Regelchaos vor unvollendete Tatsachen stellt. „Langsam zieht‘s einen runter“, seufzt Thomas Hepe am Apparat. „Jeden Morgen lasse ich mir von Alexa die Nachrichten vorlesen, und dann bin ich mal mehr, mal weniger optimistisch.“ Seit Pandemiebeginn wurde im Freizeitzentrum Malibu monatelang nicht mehr gekegelt; angebotene Hygienekonzepte und Vorschläge stoßen laut Thommy bei den Behörden eher auf eingeübte Verständnislosigkeit. Stattdessen Bringdienst und wöchentlich wechselnde Karten. Und so verstreichen die Tage, Wochen, Monate. „Der Lockdown dauert zu lange“, findet er. „Die Leute wollen nicht mehr bestellen, sie wollen wieder essen gehen.“

Cappu-Inhaber Fatih Kilic (rechts) konnte alle aus der Belegschaft halten. Das freut nicht nur ihn, sondern sicherlich auch Papa Duran.

Foto: Çağla Canıdar (Archiv)

Dass der Lockdown light, so zumindest die euphemistische Ankündigung im November, nun mittlerweile ein halbes Jahr andauert und erst nur als Vorsichtsmaßnahme für die Weihnachtsfeiertage galt, sorgt mittlerweile nur noch für abwechselndes Kopfschütteln und -zerbrechen. „Hätte ich gewusst, dass es so lange dauert, hätte ich ganz andere Maßnahmen ergriffen“, sagt Fatih Kilic. Umbauarbeiten im Lokal, die Belegschaft auf eine Barista-Schulung schicken – dem Cappu-Inhaber wäre da sicherlich vieles eingefallen. Doch aus Lockdown light wurde Lockdown long – und jetzt haben die Gastronominnen und Gastronomen den Salat. Nur eben die Gäste nicht.

Sigrid und Jens Wiertz hoffen darauf, ihr Café bei Wiertz Genussvoll wieder öffnen zu dürfen.

Foto: Michael Uhmeyer (Archiv)

Nächster Anruf. Am anderen Ende Sigrid Wiertz. Wollen wir kurz sprechen? Gerne, gerne. Auch das Café von Wiertz Genussvoll hat seit November zu, der Feinkost-Einzelhandel hilft zwar parallel, aber Gewinne sehen anders aus. Mittwochs und samstags, immer wenn Markt ist, verkaufen sie und ihr Mann Jens Getränke to go. Das Verständnis für die Einschränkungen nehme nicht ab, betont sie, aber von oben passiere zu wenig. Stufenplan-Klarheit? Fehlanzeige. Ein echtes Impfkonzept? Kaum zu erkennen. „Das gießt sogar noch Öl ins Feuer der Impfgegner und Corona-Leugner“, meint Sigrid.

Die Frage, die über der Lage wie ein Damoklesschwert schwebt: Wie lange soll das noch so weitergehen? Die erste Bewerbung Gifhorns zur Modellstadt schlug fehl; der Inzidenzwert von 100 wurde weit überschritten. Andere Städte und Landkreise wurden zumindest ausgewählt und durften von Öffnungsszenarien träumen. Zum Redaktionsschluss dieses Artikels bleiben bei uns dagegen Einzelhandel und Kultureinrichtungen – ohne Sicht auf Besserung – geschlossen. Dabei sitzt auch Gifhorns Gastronomie auf heißen Kohlen.

Wann gibt‘s mal wieder Schnitzel mit Bratkartoffeln? Geht es nach Sven Wiese, Inhaber der Schützen-Wiese, muss es bloß einen klaren Öffnungsplan geben: „Das, was von uns gefordert wird, setzen wir um.“

Foto: Çağla Canıdar (Archiv)

„Wir haben die Luca-App installiert, das Hygienekonzept geändert – ich brauche eigentlich nur noch einzukaufen“, erklärt Sigrid Wiertz. Die Luca-App erfasst im Gegensatz zur Corona-Warn-App nicht nur, ob man Kontakt zu einem positiv auf Corona getesteten Menschen hatte, sondern auch, wo der Kontakt stattgefunden hat. Das ermöglicht die Rückverfolgung von Infektionsketten – und könnte der Schlüssel zur Öffnung sein. Ganz nebenbei würde sie auch die Zettelwirtschaft aus dem vergangenen Sommer ablösen.

H1-Inhaber Holger Hirsch stockte sogar extra seinen Telekom-Vertrag auf, auch er könnte jetzt im Lokal auf die Luca-App zurückgreifen. Denn Gifhorns Lokale setzen auf den Außenbereich. Unter freiem Himmel käme die Rock-Bar auf 14 Tische à vier Personen. Holger rechnet vor: „Wir haben so eine große Nachfrage, wir würden die Plätze jeden Tag mit anderen Personen vollbekommen. Dafür lasse ich mich auch gern einmal die Woche vom Ordnungsamt kontrollieren.“

Auch Fatih Kilic setzt auf die klugen, digital umsetzbaren Vorschläge zur Modellstadt. „Das muss alles Hand in Hand gehen. Die Ordnungsämter geben die Regeln vor, wir Gastronomen setzen sie um und die Gäste müssen sie annehmen“, stellt der Cappu-Chef klar. Ähnlich sieht es Sven Wiese, der sich an den vergangenen Sommer erinnert fühlt: „Genau so könnte es wieder starten. Das, was von uns gefordert wird, setzen wir um.“

Auch Malibu-Boss Thomas Hepe möchte seinen Laden und seine Kegelbahn gerne wieder öffnen – sofern die Vorgaben es gestatten.

Foto: Çağla Canıdar (Archiv)

Dass die Gastronomie trotz politischen Versagens hoffnungsfroh in die Zukunft schaut, will gelernt sein. Und doch tut jeder sein Bestes, um den Kopf über Wasser zu halten. Sven Wiese konnte in der Küche und im festen Service alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter beschäftigen und über den Winter sogar neue Kunden für sich gewinnen. Auch Fatih Kilic ist „sehr glücklich, dass ich alle meine Kräfte halten konnte“. Und Thommy Hepe bekommt weiterhin liebevolle E-Mails „von wildfremden Leuten zugeschickt. Ich kriege immer noch positives Feedback – wie toll, wie nett das ist.“

Denn am Endes des Tages geht es um Existenzen – auch auf der anderen Seite der Theke. „Wir wollen auch einfach wieder unsere Stammgäste wiedersehen“, träumt Holger Hirsch. Wie das aussehen wird, muss die Politik entscheiden. Lange Zeit lassen sollte sie sich dafür aber nicht.


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