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Mit dem Daumen auf dem Bier feiern müssen: KURT-Kolumnistin Marieke Eichner denkt über Femizide nach

Marieke Eichner Veröffentlicht am 26.08.2022
Mit dem Daumen auf dem Bier feiern müssen: KURT-Kolumnistin Marieke Eichner denkt über Femizide nach

Häusliche Gewalt und Femizide – für KURT-Kolumnistin Marieke Eichner sind sie nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

Foto: Alex Green/Pexels

Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Und jeden Tag versucht es einer. Das Wort dafür heißt Femizid. Doch es fehlt in Berichterstattung, Justiz und öffentlicher Auseinandersetzung.

In Gerichtsverfahren werden Femizide „Intimpartnertötungen“ genannt. Das Urteil lautet jedoch selten Mord, meist Totschlag. Denn in den Verhandlungen geht es oft mehr um die Beziehung als um die Motive des Täters. Warum kann sich eine Liebesbeziehung als Strafmilderung für den Täter herausstellen? Zu keinem Zeitpunkt ist die Gefahr für Frauen, von sogenannter partnerschaftlicher Gewalt betroffen zu sein, höher, als bei einer durch die Frau initiierten Trennung.

Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied 2008, dass das Mordmerkmal „niedrige Beweggründe“ dann zweifelhaft ist, wenn die Trennung vom Opfer ausgeht und sich der Täter mit der Tötung dessen beraubt, was er haben und nicht verlieren will. Im Jahr 2019 hat der BGH diese Sichtweise erneut bekräftigt. Klingt verworren, meint folgenden erschreckenden Sachverhalt: Diese – opferbeschuldigende und täterentlastende – Argumentation erkennt implizit die patriarchale Besitzkonstruktion des Täters an. Dabei gelten doch übersteigerter Egoismus, Rache und Eifersucht juristisch als niedrige Beweggründe.

Deutschland, was ist da los? Haben wir nicht 2011 die Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen unterzeichnet und uns dafür gefeiert? Eine Konvention, dernach sogenannte partnerschaftliche Gewalt als strafverschärfend berücksichtigt und Gewalt gegen Frauen als strukturelles Problem gesellschaftlich, politisch und juristisch bekämpft werden soll?

Was in unserem gesellschaftlichen Umgang mit dem Problem zum Ausdruck kommt, ist ein Abwerten, ein Bevormunden bis hin zu Hass auf Frauen. Die Frau als eigenständiger, freier, nicht kontrollierter Mensch ist, was offensichtlich viele Männer nicht ertragen können. Und die hohe Zahl und die Kontinuität von Gewalt gegen Frauen – angefangen von sexistischen Bemerkungen bis hin zu Femiziden – zeigt, dass wir immer noch ein Problem haben. Die Gleichberechtigung der Geschlechter steht im Grundgesetz, die Frage ist: Was machen wir daraus?

In der Osterzeit war ich zu Besuch bei der Familie. Als ich erzählte, dass ich abends noch feiern gehen würde, drehte sich meine Mutter zu meinem besten Freund: „Bitte pass auf sie auf!“ Warum muss man auf mich aufpassen? Das „Marieke kann das schon ganz gut alleine“ meiner besten Freundin fiel nicht weiter auf. Warum muss ich auf mich aufpassen? Warum soll ich diejenige sein, die ihr Verhalten ändert? Warum soll ich das Problem sein?

An diesem Abend wird mir klar: Solange meine Freundinnen und ich mit dem Daumen auf dem Bier feiern gehen, sind wir noch lange nicht am Ziel.


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