Literatur

Leipziger Buchmesse: Gifhorner Schreibende, kleine Verlage und Buch-Blogger tummeln sich zwischen den Ständen der großen Verlage und Bestseller-Autorinnen und Autoren

Marieke Eichner Veröffentlicht am 17.05.2023
Leipziger Buchmesse: Gifhorner Schreibende, kleine Verlage und Buch-Blogger tummeln sich zwischen den Ständen der großen Verlage und Bestseller-Autorinnen und Autoren

Von Gifhorn auf die Buchmesse: Die beiden Buchblogger Bärbel und Andreas Zimmer (oben links), Autor Theo Iatridis (unten links, Mitte) und Autorin Nicole Ziemann-Witt (rechts) waren in Leipzig dabei.

Foto: Marieke Eichner

Die Glashalle auf dem Leipziger Messegelände sieht aus wie ein futuristischer Bahnhof – und obwohl hier kein einziger Zug fährt, ist der langgezogene Bau von einem steten Surren erfüllt. Denn vom 27. bis zum 30. April findet hier und in den angrenzenden fünf Hallen die Leipziger Buchmesse statt, außerdem locken die Manga-Comic-Convention und die Antiquariatsmesse in die einwohnerreichste Stadt im Freistaat Sachsen. Obendrein lauschen Besucherinnen und Besucher bei „Leipzig liest“ im Norden der Stadt Lesungen. KURT-Ehemalige Marieke Eichner staunt vor Ort über Menschenmassen, Bücherfunde und die Gifhornerinnen und Gifhorner, die auf der Messe ausstellen, verkaufen, lesen und bloggen.

Süßkram ist ein Must-Have. Wer am Stand den Vorbeischlendernden etwas zu naschen anbieten kann, kommt ins Gespräch mit den Besucherinnen und Besuchern der zweitgrößten Buchmesse Deutschlands. Die nehmen natürlich dankend an, schließlich gibt’s in Leipzig satte fünf riesengroße Hallen zu erkunden, in denen Autorinnen und Autoren, Verlage und Dienstleistungsunternehmen rund ums Thema Medien ausstellen. Außerdem finden zeitgleich die Manga-Comic-Convention und unzählige Lesungen statt.

„Fast hätte ich den Sekt vergessen“, verrät Theodoros Iatridis, Autor aus Gifhorn, und langt in den hinteren Bereich des Standes, der seinen Namen trägt und sein neues Buch „Schau hoch, ich lass mich fallen“ präsentiert. Am ersten Tag der Buchmesse liest er aus selbigem auf einer der vielen Bühnen. „Mittlerweile bin ich das gewohnt“, berichtet er. „Trotzdem werde ich oft emotional.“ Schließlich sei die Handlung zwar fiktiv, „aber alles hat eine Beziehung zu meinem Leben“.

So vereint Theos neuer, knapp 200 Seiten starker Roman Biografisches, die Suche nach Glück und jenen philosophischen Fragen, über die man im Leben früher oder später stolpert. Allen voran: „Hält das Leben mehr für uns bereit, als wir glauben?“ Die ersten Kapitel der Geschichte um Deli Kalos, der – alt, gebrechlich, vom Leben ge- und enttäuscht – mittels einer ordentlichen Dosis LSD Suizid begehen will, machen das Publikum neugierig. Eine junge Frau im Rollstuhl philosophiert im Anschluss mit Theo über das Glück, eine 15-Jährige erkennt in den Motiven des Buches ihr eigenes Schreiben wieder.

Mehr als 2000 Ausstellerinnen und Aussteller aus insgesamt 40 Ländern zeigten sich bei der Leipziger Buchmesse 2023 an vier Tagen den mehr als 270.000 Besucherinnen und Besuchern.

Foto: Marieke Eichner

Auch die Gifhorner Buch-Blogger Bärbel und Andreas Zimmer schauen vorbei – und naschen ein paar Bonbons. „Nächstes Jahr brauchst Du einen größeren Stand“, prophezeit Bärbel. „Mit Kaffee.“ Die beiden Über-60-Jährigen kennen die großen Buchmessen. „Leipzig ist einfach familiär“, findet Bärbel. „Du lernst die Autoren und Blogger kennen.“ In diesem Jahr sind beide zum ersten Mal ganz offiziell mit Presseausweis unterwegs. Früher habe er kein Buch angefasst, erzählt Andreas, bis eine Bekannte vor acht Jahren den E-Book-Reader des Paares bestückte. Heute lesen beide zusammen etwa 200 Bücher im Jahr – und seit August 2020 veröffentlichen sie Rezensionen und Interviews auf ihrem Blog und bei Instagram, mehrere tausend Beiträge sind auf beiden Plattformen zu sehen und zu lesen. Bei der diesjährigen Leipziger Buchmesse haben Bärbel und Andreas „bloß 25“ Bücher gekauft – aber schließlich bekommen sie mittlerweile auch schon Rezensionsanfragen und Exemplare. „Wir nehmen dafür kein Geld“, betont Andreas, denn so wollen sie vor allem Selfpublisher und Veröffentlichungen in kleinen Verlagen unterstützen. Darum meint Bärbel: „Wenn‘s mir gefällt, dann kauf ich‘s mir auch.“

Ob es den Gifhorner Buchbloggern zuzuschreiben ist, dass bereits am zweiten Tag der Messe ein Buch der Gifhornerin Beate Winter ausverkauft ist, ließ sich bis Redaktionsschluss nicht recherchieren. Am Stand des Ein-Mann-Verlags Amrûn von Jürgen Eglseer aus Traunstein ist der zweite Teil der Blauäugig-Reihe jedenfalls nicht mehr zu haben. Zwar kann die Autorin selbst nicht in Leipzig dabei sein – aber die Gifhorner Szene hat sie informiert.

„Frau Ziemann-Witt hatte mir bereits ein Foto geschickt“, schreibt Beate Winter per Textnachricht. „Wenn Aschermittwoch schon ausverkauft ist, dann bin ich baff.“ Solch einen Erfolg habe sie nicht erwartet, da es ja ein Regio-Krimi sei. „Umso mehr freue ich mich, dass unsere Region auch über die Kreisgrenze hinaus bekannt wird.“

Nicole Ziemann-Witt (Mitte) mit ihren Kolleginnen Jana (links) und Laura im Stand der „Märchenspinnerei“, einem Autorinnennetzwerk.

Foto: Marieke Eichner

Apropos Kreisgrenze: Aus Meine reiste der Verleger Andreas Reiffer zum ersten Mal als Aussteller zur Buchmesse. „Da gibt’s gerade so viele Titel, die ich sichtbar machen möchte.“ Darum nutzten er und seine Autoren alle vier Tage voll aus, an jedem gibt’s eine Lesung aus Werken des Verlags. Auch die Frankfurter Buchmesse hat Andreas Reiffer besucht. „Business, business, business“, so sein Fazit. Dagegen sei es in Leipzig viel lebendiger. Und auch wenn die Einnahmen durch den Verkauf nicht die Kosten decken werden: „Es geht um die Sichtbarkeit, die Leute kennenzulernen.“ Und: „Ich freue mich über so viele junge Menschen, die hier reinschnuppern.“

Denn schließlich gehört die Manga-Comic-Convention zur Leipziger Buchmesse. Junge Menschen, viele davon in Kostümen, tummeln sich draußen auf den Grasflächen, in der mittig gelegenen großen Glashalle und den gläsernen Röhren, durch die man in die fünf Ausstellungshallen gelangt. Manche rollen reflektierende Fotoschirme mit sich, einigen sehr ausladenden Kostümen muss man ausweichen. Vor allem am Wochenende gleicht das Messegelände einem Ameisenhaufen, geparkt wird auf dem Acker, zum Festivalfeeling fehlt nur noch der Bierwagen. Imbissstände sind allerdings in großer Zahl vorhanden – zwischen den Hallen gibt’s Fisch und Pommes, in den Hallen Crêpes und Kaffee.

Läuft man vom Crêpes-Stand geradeaus, gelangt man in Halle 4. Da steht ein junger Mann barfuß auf einem Tisch und verrenkt sich die Füße. Einige Umstehende entledigen sich ihres Schuhwerks. Aha, der Kneipp-Verlag. Noch ein, zwei mal abgebogen und die Besucherinnen und Besucher stehen vor dem Stand des A-Verlags aus Wittingen.

Theo Iatridis aus Gifhorn ist überglücklich nach seiner Lesung auf der Leipziger Buchmesse. Hinter ihm in den Regalen steht sein neuestes Werk.

Foto: Marieke Eichner

Und der ist nicht zu übersehen, schließlich sind Autor Christian Wolff und Autorin Sandra Senf in historischen Kostümen vor Ort. Obwohl wohnhaft in Zwickau beziehungsweise Solingen, veröffentlichen sie in dem Gifhorner Verlag. Denn Verlegerin Karola Sauerländer achtet auf Authentizität – auch im Detail. „Von der Interaktion der Figuren“, so Christian Wolff, gekleidet als Handwerksgeselle von 1848, „bis hin zu Schimpfwörtern“, ergänzt Sandra Senf, gekleidet als Ritterin des Fürsten der Wallachei aus dem 15. Jahrhundert. In den Holzregalen hinter den beiden fallen den Vorbeischlendernden nicht nur ihre und andere Werke des Verlags ins Auge, auch Schreibfedern und Tafeln sowie Tintenfässer warten darauf, ausprobiert zu werden.

Gegenüber in Halle 3 atmet Nicole Ziemann-Witt tief durch. „Was für eine intensive Erfahrung“, rekapituliert die Gifhorner Autorin am letzten Tag der diesjährigen Buchmesse. Nach einem Vortrag über den Einfluss Künstlicher Intelligenz auf das Schreiben, einem Krimi-Live-Talk, der Information zur Strukturierung des Schreibtags und der Vorstellung ihrer Werke bei Verlagen steht sie vor dem Stand der Märchenspinnerei, einem Netzwerk für Autorinnen, das auch ihre Bücher präsentiert. „Das Netzwerken mit Verlagen und Autoren steht hier im Vordergrund“, erklärt Nicole Ziemann-Witt. „Es ist zwar anstrengend, aber familiär und macht unheimlich viel Spaß, weil man direkt am Leser ist.“ Darum geht es für die Gifhorner Autorin zum Abschluss genau dorthin: an den Leser, auf die Lesebühne. Denn auch Nicole Ziemann-Witt liest in Leipzig aus einem ihrer Fantasy-Romane vor.

Derweil ist Theo Iatridis ebenfalls platt. „Ich hab so viele spannende Menschen kennengelernt, so viele persönliche Gespräche geführt, die mich bereichert haben.“ Blogger, die Presse, eine Hörbuchsprecherin und viele Bücherwürmer, die nun mit „Schau hoch, ich lass mich fallen“ zurück nach Hause fahren. Neben Theo sitzt sein Verleger Christoph Peter Ehrlich und stützt ermattet die Ellenbogen auf den Holztisch, auf dem Theo normalerweise zu Hause seine Texte schreibt. „Ich bin kaputt. Müde. Aber zufrieden, dass wir das gemacht haben. Nächstes Jahr kommen wir wieder.“ Und nachdem die übrig gebliebenen Bücher in Kisten gepackt sind und der Autoren-Holztisch ebenso verstaut ist, schnappt sich Theo noch ein Exemplar. „Wir haben gestern mit unserer Kellnerin über die Messe, mein Buch, Philosophie, Psychologie und Physik diskutiert“, erzählt er. „Ich hab versprochen, ihr das Buch vorbeizubringen.“


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