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Inklusion in echt: Die Lebenshilfe Gifhorn und die Oberschule Papenteich starten Zusammenarbeit mit Kiosk- und Mensabetrieb

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 31.08.2022
Inklusion in echt: Die Lebenshilfe Gifhorn und die Oberschule Papenteich starten Zusammenarbeit mit Kiosk- und Mensabetrieb

Lebenshilfe-Abteilungsleiter Fred Raupers (links), Lebenshilfe-Geschäftsführerin Dr. Tanja Heitling (zweite von rechts) und Stephan Lindhorst, Schulleiter der Oberschule Papenteich (rechts), stellen die neuen Mensa-Kräfte vor.

Foto: Michael Uhmeyer

Das Pilotprojekt läuft an: Dr. Tanja Heitling, Geschäftsführerin der Lebenshilfe Gifhorn, und Stephan Lindhorst, Schulleiter der Oberschule Papenteich, stellten ihre inklusive Zusammenarbeit offiziell vor. Von nun an werden fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Lebenshilfe mit intellektueller Beeinträchtigung den Schulkiosk und den Mensabetrieb führen. Für Dr. Tanja Heitling ist es eine Möglichkeit, den Leistungsberechtigten zu mehr Freiheit und Identität zu verhelfen und einen weiteren Schritt in Richtung Dezentralisierung der Lebenshilfe zu gehen.

Der erste offizielle Arbeitstag – und schon gab’s für Melanie Dobosch, Michaela Gäde, Veronika Vorderwisch, Christopher Telke und Etjenne Kroll Applaus von der 7b der Oberschule Papenteich. Aufmerksam lauschten die Schülerinnen und Schüler der Vorstellungsrunde, die Lebenshilfe-Abteilungsleiter Fred Raupers moderierte.

In Zukunft können die Kinder und Jugendlichen Getränke, frisches Obst und selbstgemachte Leckereien am Kiosk kaufen. Bedient werden sie dann von den Leistungsberechtigten aus Gifhorn. „Das Besondere ist, dass sie hier mitten in der Gesellschaft arbeiten“, unterstreicht Dr. Tanja Heitling. Christopher Telke jedenfalls sieht das als Chance, schließlich möchte er irgendwann „auf den ersten Arbeitsmarkt kommen“, wie er an seinem ersten Arbeitstag in Groß Schwülper anmerkt.

Etjenne Kroll, Leistungsberechtiger der Lebenshilfe Gifhorn, wird zukünftig im Mensa- und Kiosk-Team der Oberschule Papenteich arbeiten.

Foto: Michael Uhmeyer

Genau diesem Auftrag stellt sich die Lebenshilfe – gemäß des vom Bundesteilhabegesetz geforderten Wunsch- und Wahlrechts. Denn das Ziel sei, so Dr. Tanja Heitling, „dass die Menschen aus unseren exklusiven Einrichtungen, das heißt den Werkstätten, rauskommen, um überall arbeiten zu können“ – wohl wissend, dass die Vermittlungsquote der Werkstätten für beeinträchtigte Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt bundesweit bei um die 1 Prozent liegt. „De facto wird dieser Auftrag auf den Werkstätten nicht erfüllt“, findet die Geschäftsführerin klare Worte. Unternehmen und Firmen würden grundsätzlich zögern, Menschen mit Beeinträchtigungen einzustellen, sagt sie.

Die Oberschule Papenteich geht da aber als gutes Beispiel voran. „Inklusion an den Schulen gibt’s schon lange“, erklärt Schulleiter Stephan Lindhorst. „Für die meisten bedeutet das aber Fahrstühle in den Gebäuden und abgesenkte Bordsteine an der Bushaltestelle.“ Das sei damit aber nicht gemeint, viel mehr ginge es darum, als Schule seiner Vorbildfunktion gerecht zu werden, betont der Schulleiter, der die Idee zur Kooperation initial verfolgte und die Lebenshilfe ansprach.

Insgesamt 450 Schülerinnen und Schüler besuchen die Oberschule Papenteich in Groß Schwülper. Dass die Lebenshilfe nicht alle versorgen wird, darüber ist man sich im Klaren. Die Projektleiter planen hoffnungsfroh mit 30 bis 50 Mensa-Gängerinnen und Gängern pro Tag. Ob Pizza oder Salat, Apfel oder Schoko-Riegel – bei der Auswahl müsse man auf Kompromisse setzen, weiß Schulleiter Stephan Lindhorst.

Geplant ist, täglich mindestens ein vegetarisches Gericht anzubieten. Fred Raupers, immerhin 35 Jahre bei der Lebenshilfe als Koch und Abteilungsleiter beschäftigt und inzwischen in der Koordination tätig, erläutert: „Wo die Reise hingeht, werden wir in einem Jahr sehen. Dann sieht die Karte bestimmt ganz anders aus als wir uns das aktuell vorstellen. Klar ist, dass wir ausschließlich Gerichte anbieten, die wir selbst gern essen würden.“

Auf eine gute Zusammenarbeit: Fred Raupers (vorne von links), Dr. Tanja Heitling, Stephan Lindhorst und Samtgemeindebürgermeisterin Ines Kielhorn freuen sich über den Arbeitsbeginn der Leistungsberechtigten der Lebenshilfe Gifhorn.

Foto: Michael Uhmeyer

Voller Tatendrang, Motivation und Vorfreude – so kann man die Stimmung der Leistungsberechtigen Veronika Vorderwisch beschreiben. Sie ist gelernte Beiköchin, wenngleich der letzte Einsatzort die Montage-Werkstatt der Lebenshilfe war. Nun freut sie sich, zurück in die Küche zu dürfen. „Ich koche und backe ziemlich gern – und alles andere wird mit der Zeit kommen“, so Veronika Vorderwisch.

Allein gelassen werden die Leistungsberechtigten natürlich nicht. Für Zubereitung, Kochen und Verkauf stehen dem Quartett mit Heilerziehungspflegerin und Konditorin Kim Zandbergen und ab Oktober Koch Rico Wilberg zwei weitere Personen unterstützend zur Seite. Sie sollen das Vorhaben in die richtigen Bahnen laufen lassen.

Denn leistungsberechtigte Arbeitskräfte in einer Oberschule – das ist zumindest für unsere Region ein absolutes Novum. „Dafür braucht es Menschen, die uns hören und helfen. Es geht um die Bereitschaft, diese Modellprojekte aufzustellen“, bekräftigt Dr. Tanja Heitling. Einen großen Dank richtet die Geschäftsführerin der Lebenshilfe Gifhorn nicht nur an Schulleiter Stephan Lindhorst, sondern auch an Samtgemeindebürgermeisterin Ines Kielhorn und den Samtgemeinderat, die schnell grünes Licht für das Projekt gaben. Und eine vertrauensvolle Basis könnte der Startschuss für eine lange Zusammenarbeit werden. Denn die Lebenshilfe plant weiterhin mit einer inklusiven Koch-AG und mittelfristig mit einer Kooperationsklasse, die aus der Gifhorner Schule der Zukunft nach Groß Schwülper wandern soll. „Die Lebenshilfe wird dezentral“, formuliert es Dr. Tanja Heitling. „Dadurch werden fließende Übergänge zwischen den Schulen geschaffen.“


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