Kunst

Ich halle nach vorne: Paul Thanasis Lickas zeigt im Mühlenmuseum faszinierende Kunst aus Schrott

Redaktion Veröffentlicht am 20.12.2024
Ich halle  nach vorne: Paul Thanasis Lickas zeigt im Mühlenmuseum faszinierende Kunst aus Schrott

Ob Ikarus mit seinen Schwingen den Künstler Paul Lickas ins Mühlenmuseum gebracht hat? Glauben würden wir es gerne.

Foto: Michael Uhmeyer

Kunst entsteht vor allem dann, wenn dort Momente der Spannung auftreten, wo man sie üblicherweise nicht erwartet. Einen dieser Orte kann man in Gifhorn jetzt besuchen: das Mühlenmuseum. Denn während die Mühlen aus einer feudalen Zeit zu stammen scheinen und die naturbelassene Umgebung still im Winternebel dampft, stehen nur wenige Meter vom Dorfplatz entfernt die phantastischen Metallplastiken aus Schrott von Pawel „Paul“ Thanasis Lickas (43). Diese spannungsgeladene Komposition des in Gifhorn aufgewachsenen Künstlers lässt sich noch bis mindestens Ende Dezember im kostenfreien Bereich des Museums entdecken.

Paul Lickas, Paul Lickas – bei dem einen oder anderen mag da jetzt das Stirnrunzeln beginnen. Und tatsächlich, der Hochbegabte ist in Gifhorn kein Unbekannter, schließlich verbrachte er hier seine Jugend. Später, nach Ausbildungen in der Industrie, lebte er im Harz und arbeitete als eine Art Ranger für den Naturschutz, tourte mit einem Splatter-Straßentheater jahrelang und sogar bis an die russische Grenze und machte sich in der Punkrock-Szene mit der Band Spiceboys einen Namen.

In den 80ern aufgewachsen herrscht in seiner Geburtsstadt Warschau eine schlimme Wirtschaftskrise. „Die Stadt war apokalyptisch mit ihren unfertigen, riesigen Baustellen, die vor sich hin rosteten“, erinnert sich Paul Lickas. Seine Eltern sind Kinogänger und schleppen den Pimpf auch bei Filmen in die Säle, die eventuell noch gar nicht für Kinderaugen gedacht sind. Die Abenteuer von Superman, Wolfgang Petersens „Die Unendliche Geschichte“ und vor allem „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ schaut der junge Pawel mit großen Augen. „Monatelang habe ich davon geträumt“, sagt Paul Lickas. „Die ganzen Monster und Raumschiffe beeinflussen mich bis heute.“

Werke dieses lassen einen bei der Ausstellung im Mühlenmuseum staunen.

Foto: Michael Uhmeyer

Der Umzug nach Gifhorn ist ein einschneidendes Erlebnis. Die deutsche Mittelstadt erscheint ihm als heile Welt im Vergleich zur polnischen Großstadt, in der jahrelang Aufständische interniert und Freiheitsbewegungen mit Panzergewalt unterdrückt wurden. „Es war auch ein Kulturschock.“ Fantasy und Science Fiction bleiben Pawels Bettlektüre, so lernt er Deutsch. Und weil die deutschen Kids sich bei seinem Namen schwertun, wird aus Pawel schnell Paul. „Zusammen mit meinen Freunden habe ich viele Abenteuer in den Gifhorner Wäldern erlebt“, lächelt er.

Heute wohnt Paul Lickas in Salzwedel – auf einem 8000 Quadratmeter großen Hof hat er sich Wohnung und Arbeitsstätte gemietet. Denn der Künstler braucht seinen Platz. Er fertigt auch Designmöbel und Auftragsarbeiten wie den fünf Meter hohen „Kraftwerker“, der wie einer der Titanen aus „Attack on Titan“ wirkt. Seine liebsten Materialien: Metall, egal ob Eisen, Stahl oder Aluminium, Hauptsache Schrott. „Die Nutzlosigkeit beleben“, wie der Künstler es nennt. „Außerdem ist es ein dankbarer Werkstoff.“ Paul Lickas schätzt die Langlebigkeit und den Nachhaltigkeitsgedanken. Und so können die meisten seiner Plastiken problemlos unter freiem Himmel bestaunt werden – so auch im Mühlenmuseum.

Zu staunen ist sowieso eine seiner Fähigkeiten. Paul Lickas staunt vor allem über die Natur, über eine Raupe an der Rinde, Körperformen, Evolution, Mutation, Transformation. „Jeder dumme Junge kann einen Käfer zertreten. Aber alle Professoren der Welt können keinen herstellen“, zitiert der Künstler einen Satz von Arthur Schopenhauer.

In Gifhorn aufgewachsen, inzwischen lebhaft in Salzwedel: Pawel Thanasis Lickas.

Foto: Michael Uhmeyer

Verdammt nahe an diesen Schaffensprozess reichen allerdings seine Metallplastiken, die stark an die brutal-schönen Designs von HR Giger erinnern. Der Schweizer Künstler erreichte mit seinen Biomechanoiden aus Filmen wie „Alien“ Weltruhm. Paul Lickas aber kopiert diese Idee nicht plump, sondern denkt sie weiter und öffnet sie noch mehr für Einflüsse. Das vielleicht großartigste Werk der Ausstellung am Mühlenmuseum: der Ikarus, gerade im Begriff emporzusteigen, dessen Schwingen aussehen wie spitz zulaufende Schilde, die auch töten könnten.
„Stehenbleiben ist doof und langweilig. Es muss etwas fehlen oder einen Mangel geben, den ich ausfüllen kann“, erklärt Paul Lickas seinen Ansporn. „Ich halle nach vorn.“ Und deswegen plant er bereits seine nächste Solo-Ausstellung in Gifhorn – am liebsten in einer Fabrikhalle oder einem alten Supermarkt, wo seine Phantasie besonders viel Leere findet.

Ausstellung: Metallkunst
Bis mindestens 31. Dezember
Mühlenmuseum
Bromer Straße 2, Gifhorn


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