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Ich bin Schiri, lassen Sie mich durch: Tobias Krull vom MTV Gifhorn springt als Vierter Offizieller in der Fußball-Bundesliga ein

Jens Neumann Veröffentlicht am 03.02.2024
Ich bin Schiri, lassen Sie mich durch: Tobias Krull vom MTV Gifhorn springt als Vierter Offizieller in der Fußball-Bundesliga ein

Ist das nicht... ja, das ist er doch: Tobias Krull vom MTV Gifhorn half in der Fußball-Bundesliga als Vierter Offizieller aus.

Foto: Darius Simka

Bis zum Samstag, 27. Januar 2024, 15.44 Uhr, war Tobias „Krulli“ Krull „nur“ der Sportliche Leiter, der Torwart des Fußball-Landesligisten MTV Gifhorn. Einer von 24.525 Zuschauern beim Bundesliga-Spiel zwischen dem VfL Wolfsburg und 1. FC Köln. Doch keine Viertelstunde später war alles anders. Da war Krulli plötzlich der Vierte Offizielle an der Seitenlinie und ging deutschlandweit viral in der Medienlandschaft, wie es so schön heißt. Auf einmal kannte irgendwie jeder den Blondschopf mit VfL-Vergangenheit.

Es lief die 14. Minute, als Kölns Youngster Max Finkgräfe den Ball klären wollte und mit seinem wuchtigen Schuss aus Nahdistanz den Schiedsrichter-Assistenten Thorben Siewer voll im Gesicht erwischte. Der hatte leider gesessen. Siewer sank zu Boden, blieb benommen liegen – und schnell war klar: Für ihn geht es nicht weiter. Und damit stand auch fest: Nicolas Winter, der Vierte Offizielle, wird wie in den Statuten vorgesehen Siewers Rolle übernehmen und Schiedsrichter Sören Storks als Linienrichter unterstützen.

Es war der Moment, als Tobias Krull im Business-Bereich der Volkswagen-Arena – „ich bin viermal im Jahr im Stadion“ – noch scherzhaft zu seiner Begleitung sagte: „Kein Problem, ich habe ja auch einen Schiedsrichter-Schein.“ Acht Minuten später kam über die Stadionlautsprecher dann die Durchsage, ob ein Amateur-Schiedsrichter anwesend sei, der den Posten des Vierten Offiziellen übernehmen könnte. Und Tobias Krull, der direkt an der Treppe hinter der Trainerbank saß, stand auf, gab Schiedsrichter Sören Storks „ein Zeichen“, ging „die sechs Stufen runter“ – und war plötzlich mittendrin im Bundesliga-Geschehen.

Nein, aufgeregt sei er nicht gewesen. „Dafür habe ich ja auch gar keine Zeit gehabt“, erzählt der 32-Jährige schmunzelnd. „Ich habe drei Minuten Zeit gehabt, um mich umzuziehen. Das Spiel sollte ja möglichst schnell fortgesetzt werden. Im Normalfall brauche ich eine Viertelstunde dafür – mindestens“, sagt Krull, der in der Schiedsrichter-Kabine seine Lederschuhe gegen geliehene Sportschuhe tauschte, den Sportdress vom bisherigen Vierten Offiziellen anzog („Ich habe selbst gesagt: Ich sehe ja ganz schön professionell aus.“) und das Headset aufsetzte. „Das hat einen kleinen Wackelkontakt gehabt, da musste ich ein paar Mal nachhelfen.“

Aus den Katakomben der Volkswagen-Arena ging es dann postwendend zurück in Richtung Spielfeld. Dorthin, wo Krull selbst am liebsten mal gespielt hätte – das wusste wenige Zeit später ebenfalls ganz Fußball-Deutschland. Schließlich war er 2004 als Zwölfjähriger von seinem Heimatverein SV Reislingen/Neuhaus zum VfL Wolfsburg gewechselt, für den er bis 2012 zwischen den Pfosten stand und auf dem Sprung zum Profi-Torwart war. Sieben Regionalliga-Spiele bestritt er, trainierte als U23-Spieler unter Meistercoach Felix Magath, mit dem er 2011 gemeinsam den „Hügel der Leiden“ hinaufgerannt war. Krull spielte bei den Wölfen zudem zwei Jahre Seite an Seite mit dem heutigen VfL-Sportdirektor Sebastian Schindzielorz. All das wusste kurze Zeit später gefühlt jeder, der sich mit dem Fußball beschäftigt. „Meine VfL-Vergangenheit hat vorher keinen Menschen interessiert“, meint der 32-Jährige lachend. Da war er ja eben „nur“ der Sportliche Leiter, der Torwart des Sechstligisten aus Gifhorn.

Kein Zeit für Aufregung: Cool wie eh und je managte Aushilfsoffizieller Tobias Krull an der Seitenlinie ein Spiel des VfL Wolfsburg.

Foto: Darius Simka

Als Vierter Offizieller feierte Krull nun seine Bundesliga-Premiere – und verlebte beim 1:1-Unentschieden einen erstaunlich ruhigen Nachmittag zwischen den Bänken. „Kölns Coach Timo Schultz kam direkt zu mir und hat mir viel Spaß gewünscht“, schildert Krulli die Szenerie, die er gegen 15.58 Uhr nun aus einem völlig anderen Blickwinkel erleben durfte. „Zu VfL-Trainer Niko Kovac habe ich im Spiel fast gar keinen Kontakt gehabt. Er hat auch nicht mit dem Schiedsrichter, sondern nur mit seinen Spielern gemeckert.“ Die Aufregung auf Kölner Seite im Abstiegskampf war da schon deutlich größer. „Es ist aber alles im Rahmen geblieben“, berichtet der Vierte Offizielle, für den das alles „komplettes Neuland“ war.

Nach der Partie kam es in der Schiedsrichter-Kabine zum Wiedersehen mit Kölns Trainer Schultz. „Er ist zu mir gekommen und hat mir das Trikot seines Torschützen geschenkt“, verrät Krull, der das Jersey von Faride Alidou als Erinnerung an ein einmaliges Erlebnis mit nach Hause nahm. „Ich habe mit den Schiedsrichtern noch zwei Stunden in der Schiedsrichter-Kabine zusammengesessen, den Spielbericht ausgefüllt – das geht wie bei den Amateuren auch über das DFB-Net“, gewährt der Schiedsrichter des MTV Gifhorn seltene Einblicke.

DFB-Schiedsrichter Storks ging früh als Erster raus in die Mixed-Zone, „um alles zu moderieren“, so Krull. „Als er wiederkam, sagte er: Die warten alle auf Krull...“ Und genau das bekam der Sportliche Leiter des MTV Gifhorn auch zu spüren, als er in den Business-Bereich zurückkehren wollte. Es begann ein regelrechter Interview-Marathon für den 32-Jährigen, der noch tagelang andauern sollte.

„Im ZDF-Sportstudio habe ich mich dann selbst zum ersten Mal im Fernsehen gesehen“, verdeutlicht Krull. Rund siebeneinhalb Stunden, nachdem sein unerwarteter Aushilfsjob in der Fußball-Bundesliga begonnen hatte. „Ich habe dann noch ein paar Nachrichten beantwortet, ein paar Termine vereinbart – und bin gegen 2 Uhr ins Bett gegangen“, berichtet er. „Nach dem Spiel ist es auf meinem Handy eskaliert. Alle wollten ein Statement von mir haben – sogar die Süddeutsche Zeitung.“

Ausschlafen war nicht am Folgetag – aus doppeltem Grund. Schließlich war der MTV-Torwart Krull in Vorsfelde gefragt, wo der Landesligist um 12 Uhr sein erstes Testspiel des Jahres bestritt und der Keeper wie gewohnt den Platz zwischen den Pfosten einnahm. Bereits vier Stunden zuvor hatte sich Krulli aber schon im GWG-Stadion an der Flutmulde mit Ingo Rohrbach getroffen, der für die Deutsche Fußball-Liga (DFL) und Sky einen Imagefilm drehte. Um 9.20 Uhr stand eine Liveschalte zu Sky Sport News auf dem Programm, die mit dem Krull-Foto auf dem „Hügel der Leiden“ eröffnet wurde. „Auf dem Weg zum Spiel habe ich dann mit dem Spiegel telefoniert“, sagt der 32-Jährige, der beim Spiel in Vorsfelde von einem Kamerateam aus Magdeburg sowie einem NDR-Team gefilmt und auch interviewt wurde. Lustigerweise im MTV-Pullover, den ein riesengroßes VW-Logo auf der Vorderseite ziert – ebenso wie das Trikot des VfL Wolfsburg eben.

Meistertrainer Felix Magath (rechts) ließ Tobias Krull (im Hintergrund), 2011 noch Keeper bei der U23 des VfL Wolfsburg, auch den berühmten „Hügel der Leiden“ erproben.

Foto: Joachim Thies

14.30 Uhr, rund 40 Minuten nach dem Abpfiff in Vorsfelde, folgte der nächste Termin, 15.30 Uhr war Bild-TV an der Reihe, und so weiter. Der Montagmorgen gehörte dann den Radiosendern, „mit denen ich telefoniert habe. Die wollten mich alle in den Morgenmagazinen haben“, erzählt der einmalige Vierte Offizielle. Für Dienstag kündigte sich RTL an, um mit Krull an der Flutmulde in Gifhorn zu drehen, und auch Sat 1, um mit ihm an der VW-Arena zu filmen. „Ich habe schon vorher immer nur kurze Ausschnitte gesehen – mehr nicht.“

Er selbst hatte das, was am Samstag, 27. Januar 2024, nach 15.44 Uhr passierte, „noch gar nicht realisieren können“, so Krull. „Da hatte ich bislang auch gar keine Zeit für.“ Die wird der Blondschopf mit der VfL-Vergangenheit erst in den kommenden Tagen haben. Wenn aus dem Vierten Offiziellen des Bundesliga-Spiels zwischen dem VfL Wolfsburg und dem 1. FC Köln wieder „nur“ der Sportliche Leiter, der Torwart des Fußball-Landesligisten MTV Gifhorn wird. Der 32-Jährige, der mit seinem Verein im Sommer 2024 den Klassenerhalt feiern will.


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