Glauben & Zweifeln

…halte mich – wenn nach der Flut fast nichts mehr hält

Martin Wrasmann Veröffentlicht am 26.08.2021
…halte mich – wenn nach der Flut fast nichts mehr hält

Anerkennung und besonderer Dank gilt all jenen, die in den Hochwassergebieten im Einsatz sind – so wie die Ehrenamtlichen des Technischen Hilfswerks in Gifhorn. Das findet auch Martin Wrasmann.

Foto: Michael Uhmeyer

Sprachlos, ohne Worte, voller Angst und Sorge, angezweifelt in meinem Glauben, schaue ich auf die unbeschreibliche Not der Menschen in Stolberg und Schuld, in Ahrweiler und Rech und all die anderen Orte. Mich beeindrucken schweigende Helferinnen, helfende Hände, spontane Macherinnen, die, die Tag und Nacht das Elend aushalten und nicht verzagen in ihrer Hilfsbereitschaft, wie die Ehrenamtlichen des Gifhorner THW, die wie viele andere im Einsatz sind. Ihnen gilt meine besondere Anerkennung und mein Dank.

Oft haben Menschen in Interviews gesagt, in der Stunde der Ausweglosigkeit, des völligen Ausgeliefertseins hätten sie gebetet. Auch ich habe gebetet, oftmals mit Worten, die ich von Pater Stefan Wahl in Teilen übernommen habe. Er macht sich in seinem Ahr-Psalm den Klagepsalm des Alten Testaments zu eigen und bringt so stellvertretend die schrecklichen Erfahrungen ins
Wort, die so viele durch die Katastrophe machen mussten.

Beeindruckend und bewegend, wie er das Geschehene umschreibt. Zugleich verbindet er dies mit der Klage an Gott, mit der bedrängenden Frage nach dem Warum. Doch lesen – und beten – Sie selbst:

Schreien will ich zu Dir, Gott, mit verwundeter Seele,
doch meine Worte gefrieren mir auf der Zunge.
Es ist kalt in mir, wie gestorben sind alle Gefühle,
starr blicken meine Augen auf meine zerbrochene Welt.

Auf den Bach, sein plätscherndes Rauschen war wie Musik,
zum todbringenden Ungeheuer wurde er,
seine gefräßigen Fluten verschlangen ohne Erbarmen.
Alles wurde mir genommen. Alles!
Weggespült das, was ich mein Leben nannte.
Mir blieb nur das Hemd, nasskalt am Körper,
ohne Schuhe kauerte ich auf dem Dach.
Stundenlang schrie ich um Hilfe,
um mich herum die reißenden Wasser.
Wo warst Du Gott, Ewiger, hast Du uns endgültig verlassen?
Mit tödlichem Tempo füllten schlammige Wasser die Häuser,
grausig ertranken Menschen in ihren eigenen Zimmern.
Ist Dir das alles völlig egal, Unbegreiflicher?
Du bist doch allmächtig, Dein Fingerschnippen hätte genügt.
Die Eifernden, die Dich zu kennen glauben, sagen,
eine Lektion hättest Du uns erteilen wollen, eine deutliche,
eine Portion Sintflut als Strafe für unsere Vergehen,
für unsere Verbrechen an der Natur, an Deiner Schöpfung.
Ihre geschwätzigen Mäuler mögen für immer verschlossen sein,
nie wieder sollen sie Deinen Namen missbrauchen,
für ihr törichtes Besserwissen, ihr bissiges Urteil
mit erhobenem Zeigefinger, bigott kaschiert.
Niemals will ich das glauben, niemals,
Du bist kein grausamer Götze des Elends,
Du sendest kein Leid, kein gnadenloses Unheil
und hast kein Gefallen an unseren Schmerzen.
Doch Du machst es mir schwer, das wirklich zu glauben.
Ich weiß, wir sind nicht schuldlos an manchem Elend,
zu leichtfertig missbrauchen wir oft unsere Freiheit.
Doch warum siehst Du dann zu, fährst nicht dazwischen,
bewahrst uns nicht vor uns selbst und denen, die uns
verführen wollen auf der Schleimspur grenzenloser Liberalität,
und denen, die leugnen, dass wir Deine großartige Schöpfung
so gnadenlos ramponiert haben.

Dein Schweigen quält meine Seele, ich halte es fast nicht mehr aus.
Wie sich Schlamm und Schutt meterhoch türmen,
in den zerstörten Straßen und Gassen
und deren Schönheit sich nicht mehr erkennen lässt,
so sehr vermisst meine Seele Dein Licht.
Meine gewohnten Gebete verstummen, meine Hände zu falten, gelingt mir nicht.
So werfe ich meine Tränen in den Himmel,
meine Wut schleudere ich Dir vor die Füße.
Hörst Du mein Klagen, mein verzweifeltes Stammeln,
ist das auch ein Beten in Deinen Augen?
Dann bin ich so fromm wie nie,
mein Herz quillt über von solchen Gebeten.
Doch lass mich nicht versinken in meinen dunklen Gedanken,
erinnere mich an Deine Nähe in früheren Zeiten.
Ich will dankbar sein für die Hilfe, die mir zuteilwird,
für die tröstende Schulter, an die ich mich anlehne.
Ich schaue auf und sehe helfende Hände,
die jetzt da sind, ohne Applaus, einfach so.
Die vielen, die jetzt kommen und bleiben,
die Schmerzen lindern, Wunden heilen,
die des Leibes, wie die der Seele,
mit langem Atem und sehr viel Geduld.
Und hoffentlich bleiben sie noch lange,
doch bleibt die bange Frage, wie lange?

Auch wenn Du mir rätselhaft bist, Gott,
noch unbegreiflicher jetzt, unendlich fern,
so will ich dennoch glauben an Dich,
widerständig, trotzig, egal, was dagegenspricht.
Sollen die Spötter mich zynisch belächeln,
ich will hoffen auf Deine Nähe an meiner Seite.
Würdest Du doch nur endlich Dein Schweigen beenden,
doch ich halte es aus und halte Dich aus, oh Gott.
Halte Du mich aus! Und halte mich, Ewiger! Halte mich!

Damit wir es aushalten und andere halten können, unterstützen wir von der Gifhorner Pfarrei St. Altfrid die Spendenaktion des heilpädagogischen Bauernhofs „Der Hof“ in Isenbüttel. Alle Spenden gehen direkt an das Haus der Lebenshilfe in Sinzig, in dem zwölf Menschen qualvoll getötet wurden. Helfen auch Sie mit Ihren Spenden. Wir danken für jeden Euro und jeden Cent.

Spendenkonto: St. Altfrid
IBAN: DE47 2695 1311 0037 0014 43
Stichwort: Sinzig

Martin Wrasmann, Pastoralreferent emeritus der St. Altfrid-Gemeinde in Gifhorn, schreibt die monatliche KURT-Kolumne „Glauben & Zweifeln“. Beipflichtungen wie auch Widerworte sind stets willkommen. Leserbriefe gerne an redaktion@kurt-gifhorn.de.


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