KURT vor Ort

Freie Fahrt fürs Fahrrad – oder eben auch nicht: KURT wirft einen kritischen Blick auf Gifhorns Radwege

Solveig Böhme Veröffentlicht am 20.10.2020
Freie Fahrt fürs Fahrrad – oder eben auch nicht: KURT wirft einen kritischen Blick auf Gifhorns Radwege

Mit dem „Leitbild Mobilität 2030“ möchte unsere Stadt dem Radverkehr besondere Aufmerksamkeit schenken. Grund genug für KURT-Mitarbeiterin Solveig Böhme, die vorhandenen Wege in Gifhorn genau zu inspizieren.

Foto: Çağla Canıdar

Annähernd 200.000 Kilometer kamen zusammen, seit Mitte September ist die Aktion Stadtradeln in Gifhorn zu Ende. Vergessen ist das Ziel einer fahrradfreundlichen Stadt deshalb aber keineswegs – das neue „Leitbild Mobilität 2030“ unserer Stadt soll den Fokus vor allem aufs Rad richten. KURT-Mitarbeiterin Solveig Böhme ist nicht nur überzeugte Radfahrerin und berichtet von ihren Stadtradel-Erlebnissen, sondern hat auch einen kritischen Blick auf den Radverkehr und die vorhandene Infrastruktur in Gifhorn geworfen.

Selbstverständlich ist auch bei mir jeder Morgen anders: Manchmal dümpele ich müde und gemütlich vor mich hin, während ich gedanklich noch halb im Bett liege. An anderen Tagen wiederum sprinte ich in letzter Sekunde aus der Haustür, wobei ich mir selbst eine Prognose zusammenrechne, wie viel Glück ich haben muss, um noch pünktlich zu sein. Eines gehört aber an nahezu jedem Morgen für mich dazu – egal ob in der Woche, am Wochenende oder in den Ferien: Sobald ich aus der Tür gestolpert bin, schwinge ich mich aufs Rad.

Meine alltäglichen Wege kann ich inzwischen vermutlich im Schlaf, so oft bin ich sie gefahren. Eintönig? Auf keinen Fall! Ein Tag fängt für mich nämlich erst so richtig an, wenn ich meine morgendliche Dosis frische Luft abbekomme. Das Wetter und die Jahreszeiten sorgen zusätzlich immer ganz gut für Abwechslung. Nichts macht wacher als im tiefsten Gifhorner Winter dick eingepackt dem roten Sonnenaufgang entgegenzuradeln oder im Sommer die letzten kühlen Stunden am Morgen auszukosten, bevor es brütend heiß wird.

Das Fahrrad ist mein Ticket von A nach B in Gifhorn und Umgebung – nicht nur morgens auf dem Weg zur Schule, sondern den ganzen Tag über und für alle Strecken – vom Besuch am Tankumsee bis zum Einkaufen.

Für mich war es also keine Frage, dass ich auch beim Stadtradeln mitmachte. Vom 28. August bis zum 17. September waren alle Gifhornerinnen und Gifhorner dazu aufgerufen, sich in Teams zusammenzuschließen und zu radeln, was das Zeug hält. Wer gemeinsam die meisten Kilometer sammelte, durfte sich über Ruhm, Ehre und den goldenen Fahrradsattel freuen.

Die Übergänge zwischen Bordstein und Straße sind leider oft eine holprige Angelegenheit.

Foto: Çağla Canıdar

Annähernd 200.000 Kilometer kamen so in den drei Wochen in Gifhorn und Umgebung zusammen. Meine erstrampelten 192 Kilometer waren am Ende nur ein kleiner Teil davon. Doch es bleibt ein super Gefühl, dass unsere Stadt klimafreundlich, sportlich und vor allem gemeinsam unterwegs ist. Davon gerne mehr!

Der einzige Gute-Laune-Dämpfer beim Stadtradeln war nur, dass mein Team gnadenlos von den Lehrkräften meiner Schule abgehängt wurde. Doch persönliche Niederlage hin oder her – die Aktion war für mich kein Kampf um den letzten Kilometer. Vielmehr war‘s ein Zeitraum, in dem ich viel bewusster unterwegs war und sich in meinem Alltag noch mehr als ohnehin schon ums Rad drehte. Dabei wurde ich an einigen Stellen von Gifhorn angenehm überrascht – an anderen aber leider auch ziemlich vom Radwegenetz unserer Stadt enttäuscht.

Klar, es gibt Wege, auf denen wir Radfahrer mit unserem Rad fahren dürfen. Allerdings sind dies oft nur Gehwege, auf denen das Radfahren gestattet ist – viel zu schmal, um einen echten Fahrradweg herzugeben. Ein eigener Radweg braucht eben in erster Linie einiges an Platz, den in einer Stadt aber auch andere gerne in Anspruch nehmen möchten.

Wenn aber entlang der Celler Straße ausreichend Platz für etliche Parkplätze ist, nicht jedoch für einen Fahrradweg, dann dürfen die Prioritäten bei der Platzvergabe durchaus mal hinterfragt werden. Während die einen nämlich gemütlich ihr Auto abstellen, laufen andere Gefahr, als Fußgänger oder Radfahrer, die den engen Weg auch noch in beide Richtungen nutzen dürfen, unglücklich zusammenzustoßen – oder beim dichten Vorbeiradeln an einer schlecht einsehbaren Ausfahrt auch noch übersehen zu werden. Fährt man mit dem Rad dort hingegen auf der eng gebauten und vielbefahrenen Straße, staut sich dahinter der Verkehr – oder man wird gefährlich überholt. Radfahrspaß und Verkehrssicherheit gehen anders! Vor allem, wenn man bedenkt, dass es sich hier um einen direkten Weg zum Humboldt-Gymnasium und in die Gifhorner Innenstadt handelt.

Wer die Benachteiligung von Radfahrern bei der innerstädtischen Platzvergabe einmal im Selbstversuch austesten möchte, braucht nur die Konrad-Adenauer-Straße herunterzuradeln. So schnell wie dort kommt fast nirgendwo sonst der Wunsch nach Fahrradvorrang-Routen oder einfach nur nach mehr reinen Radwegen auf. Ein nicht sonderlich breiter Bürgersteig für den Radverkehr beider Richtungen und die Fußgänger einer Straßenseite ist schlichtweg eng. Zu eng!

Noch schlimmer wird es aber, wenn der Radweg mit Autos und Lastwagen geteilt wird. Sei es wie auf der Fallerslebener Straße ein Fahrradschutzstreifen oder wie an etlichen anderen Stellen in Gifhorn ein lediglich für den Radverkehr freigegebener Fußweg, der das Befahren der Straße für Radfahrer ausdrücklich erlaubt; das Problem bleibt gleich: Die innerorts vorgeschriebenen 1,50 Meter Abstand, die von Autos zu Fahrrädern einzuhalten sind, werden nicht selten recht kreativ interpretiert.

Trotz Fahrradschutzstreifen wird der Abstand auf der Fallerslebener Straße oft nicht eingehalten.

Foto: Çağla Canıdar

Was ich damit sagen will: Ich fühle mich auf der Straße oft nicht sicher. Fahrradschutzstreifen und viele Straßenränder sind unsere Wege; wird auf ihnen gehalten oder gefahren, ist das bloß nervig. Riskantes Überholen ist aber schlichtweg gefährlich. An dieser Stelle deshalb der Appell an alle Autofahrer, das doch bitte einfach zu lassen. Wenn Ihr mit dem Rad unterwegs seid, ergeht es Euch doch sicher genauso. Und wirklich schneller kommt man im Stadtverkehr ja auch nicht voran, wenn man mit seinem Auto ein paar Momente früher oder später überholt. Spätestens an der nächsten Ampel sehen wir uns ja ohnehin wieder...

Fahrradfahrer sind gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer – oder sollten es sein. Denn es sind nicht nur gelegentliche Aufeinandertreffen mit unaufmerksamen Autofahrern oder denen, die einfach
nicht wissen, weshalb wir auf vermeintlich ihren Straßen fahren dürfen, die einem manchmal das Gefühl geben, ein Verkehrsteilnehmer zweiter Klasse zu sein.

All diese Konflikte wären vermeidbar – denn Gleichberechtigung fängt in der Verkehrsplanung schon weit vor der Platzvergabe an. Fahrradwege dürfen nicht einfach hingeklatscht werden, sondern sollten auch mit Bedacht attraktiv gestaltet sein. Ist eine grüne Welle für Radfahrer überhaupt möglich? Gibt es eine Art „Cityring“ um die Innenstadt? Haben Wurzeln an einigen Stellen schon das Pflaster zu einer hügeligen Angelegenheit gemacht oder ist noch alles gut befahrbar?

Solche Fragen sollten regelmäßig gestellt werden – und einige davon hat sich unsere Stadtverwaltung in der Vergangenheit wohl auch schon gestellt. Denn mancherorts in Gifhorn wurden bereits wohlüberlegte Dinge ergänzt: Etwa entlang der Braunschweiger Straße – dort gibt es nämlich inzwischen mehrere Radfahrerampeln, die vom Fahrrad aus besser zu sehen sind. Und vor der Ampel an der Bergstraße gibt es einen Haltestreifen, der es Fahrradfahrern gestattet, sich vor die ebenfalls wartenden Autos zu stellen. Radele ich hier noch durch Gifhorn? Oder bin ich schon in Münster, Kopenhagen oder Amsterdam?

Gute Sache: Entlang der Braunschweiger Straße sorgen zusätzliche Fahrradampeln für freie Fahrt.

Foto: Çağla Canıdar

Mit Kleinigkeiten anzufangen ist eine gute Idee. Denn genau diese sind es doch, die einem Radfahrer den sonst so schönen alltäglichen Weg immer ein bisschen vermiesen, wenn sie nicht endlich behoben werden. Wo in Gifhorn ein Bürgersteig auf eine Straße trifft, macht es nicht selten rumms. Grund dafür sind viele eigentlich abgesenkte Bordsteinkanten, die dennoch zu hoch sind. Das größte Negativbeispiel ist hier ausgerechnet der schicke, noch nicht einmal fertige neue Katzenberg-Kreisel.

Möchte man dort radelnderweise den Calberlaher Damm entlang, bleiben zum Kreuzen des Lehmwegs nur zwei Optionen: Absteigen und Schieben oder langsam Fahren, während man für den Kaffee und den Laptop im Korb oder Rucksack das Beste hofft. Ausgesprochen schade, dass gerade eine so neue Stelle ein Ärgernis für Radfahrer darstellt. Vielleicht lässt sich da aber vor der Fertigstellung ja noch etwas nachbessern?!

Leider ist damit jedoch noch nicht genug zu dem Knotenpunkt gesagt. Zugegeben, an einer großen Baustelle alle PKW-, Fuß- und Radwege platztechnisch zu vereinen, ist sicher jedes Mal eine neue Herausforderung, aber hier ist sie in meinen Radfahrerinnen-Augen nicht gemeistert worden. In den verschiedenen Baustellenphasen waren es mal unzureichende oder uneindeutige Beschilderungen der vorübergehenden Wege, keine Absenkung der hohen Bordsteine bei der Baustellenampel oder schlichtweg die Anweisung, man solle die ganze Kreuzung und angrenzende Stücke schieben.

Zuletzt führte der Weg um die Baustelle am neuen Katzenberg-Kreisel für Fußgänger und Radfahrer durch einen großen Sandkasten. Bei der Planung von Baustellen sollte nicht nur an Autofahrer gedacht werden.

Foto: Çağla Canıdar

Auch das offene Pflaster, das zuletzt als reiner Sandweg zwischen Bergstraße und Calberlaher Damm als Weg für alle Nicht-PKWs galt, ist eine Lösung, die sehr frustriert. Ein Trend, der sich an Gifhorner Baustellen leider häufiger beobachten lässt.

Ein Stückchen weiter den Calberlaher Damm entlang erreicht man einen ebenfalls recht neu gemachten Knotenpunkt: Die Kreuzung von Calberlaher Damm, Dannenbütteler Weg, Konrad-Adenauer-Straße und Fallerslebener Straße inklusive Bahnübergang wurde erst Ende 2019 wieder komplett eröffnet. Neu konzipiert wurde auch die Ampelschaltung. Seitdem muss man mit dem Rad oder zu Fuß länger warten, hat nur noch jede zweite Rotphase der PKWs eine Grünphase und darf sich vom Schillerplatz kommend darüber ärgern, dass eine grüne Welle unmöglich ist. Besonders nervig, wenn nach Unterrichtsschluss ganze Scharen von Schülern vor der Ampel warten, und dann kommen in der knappen Grünphase nicht einmal mehr alle rüber. Wäre das nicht vielleicht besser zu lösen gewesen? Oder war es bloß bequemer und einfacher, die Interessen von Fahrradfahrern zu vernachlässigen?

Die Schülerscharen an dieser Stelle kommen übrigens vor allem vom Otto-Hahn-Gymnasium und können sich nun gerade deshalb über Mitbestimmung über ihren Schulweg freuen. Denn die Stadt Gifhorn arbeitet aktuell fleißig am und mit dem „Leitbild Mobilität 2030“. Schwerpunkte bilden darin die Verkehrssicherheit für alle und der Radverkehr im Speziellen. Und Schulwege sollen dabei laut Oliver Bley, dem Radverkehrsbeauftragten unserer Stadt, besondere Aufmerksamkeit erfahren. Dazu durften Schüler von Dietrich-Bonhoeffer-Realschule und Otto-Hahn-Gymnasium nun Fragebögen ausfüllen. Auch alle Gifhorner Grundschulen wurden einbezogen; dort gingen die Zettel an die Eltern.

Die Fragebögen drehten sich rund um Gewohnheiten, schwierige Stellen und Ideen, wie der Schulweg mit dem Fahrrad attraktiver werden könnte. Meine Schule, das OHG, hat besonders Glück, denn hier lagen der Stadtverwaltung schon ältere Bewertungen vor, mit denen nun abgeglichen werden kann.

Am Otto-Hahn-Gymnasium dürfte es ruhig mehr Fahrradständer geben – genauso wie wohl an allen Gifhorner Schulen.

Foto: Çağla Canıdar

Auch die Lage vor Ort wurde bereits von den Stadtplanern erkundet. Rainer Mühlnickel vom Braunschweiger Büro für Stadt- und Regionalentwicklung Böregio sieht schon beim Ankommen am Otto-Hahn-Gymnasium Handlungsbedarf: „Die Menge der Fahrradständer reicht nicht aus. Außerdem ist der Eingang oben auf dem Berg. Da weiß man als Radfahrer gar nicht genau, wo man lang muss, um reinzukommen“, erklärte er während einer Pressekonferenz zum Auftakt der Fragebogen-Aktion. Eine Einschätzung, die ich als alte OHGlerin definitiv bestätigen kann. Es ist nichts Glamouröses daran, das Fahrrad morgens improvisiert irgendwo dazwischen zu quetschen, ohne es festschließen zu können, um anschließend einen Trampelpfad über den Katzenberg zum Haupteingang hochstapfen zu dürfen. Dabei ist das Fahrrad fester Bestandteil des Schulalltags: In der ersten Stunde die nass gewordene Mütze auf die Heizung legen, den Helm von Raumwechsel zu Raumwechsel mitnehmen und sich absprechen, mit welchen Freunden man heute gemeinsam nach Hause fährt – absoluter Alltag in allen Jahrgängen.

Wer jetzt aber denkt, dass dies nur Schüler betrifft, die nur wenige Kilometer zwischen ihrem Zuhause und der Schule zurückzulegen haben, der irrt. Auch in Winkel oder Isenbüttel wird regelmäßig das Rad gewählt – anstatt des Busses oder gar des Elterntaxis. Dass Schüler dafür jeden Morgen und Nachmittag bereit sind, mehr als eine halbe Stunde Strampeln auf sich zu nehmen, beweist letztlich, wie verwurzelt das Fahrrad für viele im alltäglichen Leben ist.

Klimafreundlich, sportlich und inklusive Mobilität für alle – das Fahrrad ist aus der Stadt der Zukunft nicht wegzudenken. Gut also, dass unsere Stadt in puncto Fahrradfreundlichkeit aktuell größere Pläne schmiedet. Ein Weg, auf dem Gifhorn in den vergangenen Jahren schon einige Schritte weit gekommen ist – selbst wenn ein paar davon manchmal rückwärts zu führen schienen. Wir dürfen hoffnungsvoll und allemal gespannt sein, wie uns das „Leitbild Mobilität 2030“, seine Umsetzung und die Rolle, die das Fahrrad dabei einnehmen wird, in die Zukunft führt.


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