Kunst

Flucht, Krieg, Ankommen – und dann ist da Hoffnung: Im Künstlerhaus Meinersen stellen drei ukrainische Stipendiaten ihre Arbeit aus

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 21.04.2024
Flucht, Krieg, Ankommen – und dann ist da Hoffnung: Im Künstlerhaus Meinersen stellen drei ukrainische Stipendiaten ihre Arbeit aus

Die Ausstellung im Künstlerhaus ist bis 5. Mai geöffnet und zeigt eine originalgroße Kopie des Gemäldes „Der Winter, der uns verändert hat“ von Dmytro Dotsenko: 200 x 444 Zentimeter, Acryl und Öl auf Leinwand, 2024.

Foto: Veranstalter

Schrecklicherweise ist beim Krieg in der Ukraine kein Ende in Sicht. Raketen terrorisieren, Häuser brechen zusammen, Zivilisten werden ermordet, Soldaten sterben an der Front, die sich kaum mehr verändert. Wie umgehen mit diesem Leid und Schmerz? Dieser Frage widmen sich Iryna Vorona, Kateryna Tkachenko und Dmytro Dotsenko. Die beiden Künstlerinnen leben als Stipendiatinnen der Bösenberg-Stiftung im Künstlerhaus Meinersen, der Künstler ist ebenfalls Stipendiat, darf die Ukraine aber nicht verlassen. Ihre Ausstellung „Figürliche Zeichnung und Malerei – Flucht, Krieg, Ankommen“ ist noch bis zum 5. Mai zu erleben. Und sie gibt Hoffnung.

Die Arbeiten von Iryna Vorona, 1987 in Kiew geboren, stehen in der Kunstausstellung für die Flucht. Sie kam im Oktober 2023 nach Deutschland und Meinersen, direkt aus der Ukraine, nachdem sie die meiste Zeit in den Kiewer Vororten ausharrte, nur um doch ihren Ehemann „zu verlieren“, wie sie sagt. „Ich wollte dann nicht mehr in der Ukraine bleiben, woraufhin ich von selbst ausgewandert bin. Ich möchte nun das Thema Flucht für meine persönliche Erfahrung tiefergehend untersuchen.“

Iryna Vorona ist in erster Linie Künstlerin, aber auch Doktorin der Philosophie in Kultur und Kunst, also eine theoretisch Versierte. „Ich gehe den Dingen gerne auf den Grund, ich bin daran interessiert, Rätsel zu lösen“, erklärt sie. Theorie und Praxis sind für ihre Arbeit untrennbar verbunden. In ihrer bisherigen Werksammlung finden sich Installationen, Videos, viele Gemälde in kraftvollen Farben, dann wieder düsterer, motivisch immer in Bewegung.

Als eine von zwei ukrainischen Stipendiatinnen lebt Iryna Vorona aus Kiew im Künstlerhaus Meinersen und stellt dort nun aus.

Foto: Bastian Till Nowak

Geändert hat sich das mit dem Krieg. Die Farben verschwinden in ihrem Kriegstagebuch, das es inzwischen auch in gedruckter Form gibt und auch lyrisch-philosophisch bewegt. Holzkohle wird das einzige Material, wozu sie noch Zugang hat – materiell, weil das Studio in der Hauptstadt in weite Ferne gerückt ist, emotional, weil die private Tragödie alles verschluckt. „Ich kann nicht mehr mit Farben arbeiten. Alle Farben bereiten mir Schmerz. Wenn ich ein Rot sehe, ist es für mich ein tiefes Schwarz“, sagt Iryna Vorona.

In Meinersen ist die Holzkohle geblieben. Ihre Zeichnungen zeigen fragile Menschen, fast Glaskörper, die ineinander verschlungen und durch den Schwarz-Weiß-Kontrast kaum zu unterscheiden sind. Wir sehen Hände, die nicht mehr ins Leere greifen, sondern wieder einen Sinn fühlen. Sie zeigen Ukrainer auf den überfüllten und beengten Bahnhöfen und erzählen die Geschichten vom Wiedersehen, von Erleichterung und – angesichts der ständigen Todesangst – von reinem Glück. Außerdem mag man bei den feinen Linien auch noch an das Nervensystem des Menschen denken, auf dessen hauchdünnen Bahnen Elektronen schwimmen, um Oxytocin und Serotonin freizugeben. Vielleicht ein erster Ausweg aus der Ohnmacht.

In Kiew ist Dmytro Dotsenko, der aus Saporischschja stammt und 1990 geboren wurde, noch vollständig im Stress von Krieg, Politik und dem neuen normalen Leben eingekeilt. Trotz Mobilisierungsgesetz, das nun noch strikter regelt, wer eingezogen werden darf und wer nicht, hat er die Hoffnung, dass er als Doktorand nicht an die Front muss. Er berichtet von Freunden aus Charkiw, die tagelang ohne Licht auskommen müssen, und den Kurzstreckenraketen, die in der Stadt seiner Eltern einschlagen und für Schrecken und Tote sorgen. In Meinersen steht auch ihm ein Raum zu. Eine Kopie seines Werks „Der Winter, der uns verändert hat“ hängt im Erdgeschoss.

Ukrainischen Männern ist es nur in Ausnahmefällen erlaubt, das Land zu verlassen. Deswegen lebt und arbeitet Stipendiat Dmytro Dotsenko in Kiew.

Foto: Veranstalter

Als jemand, der aus Saporischschja kommt, einer Gegend voller Schwerindustrie, in der Europas größtes Atomkraftwerk steht und die immer auch unter einem Einfluss von „Propaganda“ stand, wie Dmytro Dotsenko betont, sei er immer schon auf der Suche nach kultureller Identität gewesen. Gefunden hat er sie nach seinem Umzug nach Kiew, in der Bildsprache der Stilrichtung des Ukrainischen Barock aus dem 17. Jahrhundert. „Da habe ich verstanden: Es gibt diese Identität, und sie geht Jahrhunderte zurück. Und ja, sie hat auch europäische, vor allem polnische Einflüsse, was mir gezeigt hat, dass es historische und traditionsreiche Verbindungen gibt.“ Und die verknüpft Dmytro Dotsenko mit der jüngeren ukrainischen Vergangenheit, mit Momenten der kollektiven Bewusstwerdung, wie der Maidan-Revolution im Februar 2014. Die Identitätsfindung – ein zweiter Ausweg aus der Ohnmacht.

Am längsten in Deutschland, nämlich seit Mai 2023, ist Kateryna Tkachenko, die 2002 in Odessa geboren wurde. In ihrer Kindheit und Jugend probiert sie viele Dinge aus, doch hingezogen fühlt sie sich nur zur Kunst. „Sie ist die beste Möglichkeit, die Gedanken und Emotionen zutage zu fördern. Wie man denkt und was man denkt, kann man so in einem kreativen Prozess darstellen“, findet sie.

Kateryna Tkachenko ist die zweite Stipendiatin, die im Künstlerhaus Meinersen wohnt und arbeitet. Ursprünglich kommt sie aus Odessa.

Foto: Bastian Till Nowak

Ihre Beiträge zur Ausstellung handeln vom Ankommen. Es sind Zeichnungen, die vor allem eines vorführen: Menschen und Gesichter. Die meisten dieser Gesichter gehören Passanten auf der Straße, aus Gifhorn oder auch Hannover, dort, wo soziale Räume unbedingt und eigentlich immer erkundet werden wollen. Andere Gesichter zeigen aber auch Berühmtheiten wie den US-amerikanischen Rapper, Mogul und Basquiat-Fan Jay-Z. „Ich interessiere mich für die Details, für Gesichtsausdrücke, die finde ich faszinierend“, sagt Kateryna Tkachenko.

Es sind aber nicht nur die Gesichter, die die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung entdecken können: Auch die Körperhaltungen, die Gebrechlichkeiten und spontanen Lachanfälle dürfen wir wirksam inspizieren, die Kateryna Tkachenko mit einer erstaunlichen Beobachtungsgabe eingefangen und dann in Skizzen und Zeichnungen umgewandelt hat. Sie strahlen eine Wärme und Neugier aus, die im Kontext der Ausstellung mehr noch bedeuten: Sich aus der Zerstörung wagen und den Menschen wieder vertrauen. Und das könnte der dritte Weg aus der Ohnmacht sein.

Ausstellung von Iryna Vorona, Kateryna Tkachenko und Dmytro Dotsenko: „Flucht, Krieg, Ankommen“
Künstlerhaus Meinersen
Hauptstraße 2, Meinersen
Ausstellung: 12. April bis 5. Mai
Do., Sa. & So. 15 bis 18 Uhr


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