Raum für Notizen

Entrümpelung für den Kopf: Wie eine Finnin unserer Kolumnistin beim Aussortieren hilft

Marieke Eichner Veröffentlicht am 12.03.2023
Entrümpelung für den Kopf: Wie eine Finnin unserer Kolumnistin beim Aussortieren hilft

Entrümpelung für den Kopf: Unsere Kolumnistin Marieke Eichner hat sich ein Wochenende lang mit dem Aussortieren alter Kisten und Ecken beschäftigt. Hilfe holte sie sich bei einer finnischen YouTuberin.

Foto: Sarah Brown/Unsplash

„Das Genie beherrscht das Chaos“, soll Albert Einstein gesagt haben. Es gibt unterschiedliche Versionen seiner Äußerung, was dafür spricht, das da irgendwas nicht ganz stimmen kann. Ich halte das sowieso für absoluten Blödsinn. Darum hatte ich einen sehr entspannenden Samstagabend: Auf dem Fußboden sitzend habe ich Dokumente aussortiert, geordnet, abgeheftet und den Papierballast aus Uni-Zeiten entsorgt. Ergebnis: drei volle Tonnen Müll, ebenso viele kurze Spaziergänge zur Tonne und mehr Platz im Bücherregal. Den Wäscheberg auf dem Stuhl ignorierend – Klamotten werden noch aussortiert –, sieht mein Zimmer viel leichter aus. Aus mir unerklärlichen Gründen verspüre ich große Lust, mich auch der vollgestopften Dachbodenkammer meiner WG zu widmen.

Vielleicht ist diese Auri schuld. Ich bin da nämlich in ein „Rabbit Hole“ gefallen, wie Alice im Wunderland in einer ganz komischen YouTube-Nische gelandet. Nichts mit Echsenmenschen oder Weltverschwörung – es ist viel schlimmer. Es geht ums Putzen. Die Finnin Auri filmt, wie sie die Wohnung fremder Menschen entrümpelt, aufräumt und säubert – kostenfrei. Weil diese Menschen durch psychische Belastungen keine Energie mehr fanden, aus eigener Kraft Ordnung zu halten. Im Kopf sammeln sich die dunklen Gedanken, in der Küche das dreckige Geschirr. Zu beobachten, wie Auri jubelt, wenn sie unter Müllbergen schimmelige Bananen findet, ist eine Freude. Eine ganz neue Art der Befriedigung, den Ballast eines schweren, traurigen Lebens verschwinden zu sehen. Die Erleichterung, etwas Schweres geschafft zu haben, sich befreit zu haben, spüre ich, wenn ich Auri beim Putzen zugucke und auch, wenn ich meinen jahrelang angehäuften Müll wegbringe, die aussortierten Klamotten ins Gifhorner Kaufhaus Aller gebe.

In „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ – welche Schätze man beim Aufräumen wiederfindet – fragt der Schriftsteller Milan Kundera: „Was soll man also wählen? Das Schwere oder das Leichte?“ und verweist auf Parmenides, der im sechsten Jahrhundert vor Christus die Welt in positive und negative Pole teilte: leicht ist positiv, schwer negativ. „Hatte er recht oder nicht? Das ist die Frage. Sicher ist nur eines: Der Gegensatz von leicht und schwer ist der geheimnisvollste und vieldeutigste aller Gegensätze“, findet Milan Kundera.

Vielleicht hat es sich Parmenides ein bisschen zu einfach gemacht. Das Schwere ist nicht ausschließlich negativ – aber man muss sich ihm stellen. Diesen scheinbar leichten Aufgaben. Dem Aufräumen, dem Putzen – dem morgens Aufstehen. Dieser Schwere der kleinen Dinge. Sie ertragen zu haben, dabei nicht erdrückt worden zu sein, wird zu einem leichten Gefühl von Freiheit. Warum also nicht stolz sein, den Abwasch geschafft zu haben? Danke, Auri. Ich lese noch ein bisschen Kundera und dann räume ich bei den Spinnen unterm Dach auf.

KURT-Kolumnistin Marieke Eichner schreibt die monatliche Kolumne „Raum für Notizen“. Leserbriefe gern an redaktion@kurt-gifhorn.de.


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