Einige neue Tropfen für den Erfahrungssee: Auf eine Rutsche Rotwein, Käse und Tortillas im Mr. Barman‘s Weinkeller in Gifhorn

Zwischen dem ersten und letzten Glas eines Abends kann viel passieren. Ein Glas mehr zum Beispiel. Ein launiges Gespräch voller Kapriolen. Bestenfalls eine Idee, die das Leben verändert, meistens eher eine Entscheidung, die aber auch wirklich zu gar nichts führt. Immer im Dezember, kurz vor Jahresende, steht bei Malte Schönfeld und seinen Begleitungen der Gastro-Test in einem auf Getränke ausgerichteten Lokal an. Harte Bestellungen, harte Rechnungen. Drehtabak griffbereit. Hitzige Talks. Und so war auch diesmal wieder die Frage: Wer kriegt nicht die Kurve, wer schlingert noch ins Ziel? Der Ort des Geschehens: Mr. Barman‘s Bier- und Weinkeller.

Worauf es hinausläuft, weiß man meistens schon vorher. Der Mensch ist ja nicht blöd. Aus Erlebnissen werden Erfahrungen, und sind diese Erfahrungen erst mal in ihrer Vielzahl in den großen, unterirdischen Erfahrungssee eingesickert, schafft die Birne es schon irgendwie, daraus ein Rinnsal Vorahnung abzuleiten. Wie das mit den neuronalen Netzen genau funktioniert, das weiß man natürlich nicht. Aber es liegt doch auf der Hand: Was einem guttut, das tut man immer wieder. Warum auch nicht? Glücksgefühle und Freude sind ein passabler Antrieb.

Und leider tut man auch immer wieder das, was einem nicht guttut.

Ganz so schlau, wie man denkt, ist man also doch nicht.

Meinen Begleitungen hatte ich einige Tag zuvor angeboten, es in diesem Jahr anders zu machen. Keine Kneipe, keine Bar, kein Lokal – kein Brausekopf am Abend und schon gar kein dicker Schädel am nächsten Morgen. Wäre es nicht besinnlicher, einen saftigen Weihnachtsbraten zu probieren, ein Kloß mit Bratensauce und Rotkohl?

„Nein, wir machen es so wie immer. Keine Experimente. Fix und aus. Wir gehen in eine Bar und bestellen Fässer“, tadelte meine eine Begleitung. Die andere hob nur kleinlaut die Schultern. Es schien mir, als wären wir in der Überzahl und doch in der Unterzahl.

Als wir uns dann einige Tage später auf den Weg zum Mr. Barman‘s machen, halten wir noch kurz am nächsten Supermarkt, weil meine Begleitung Tabak kaufen möchte. An der Kasse lächelt mich der Pokémon-Aufsteller an. Vier Booster ziehe ich aus dem Display und lege sie aufs Warenband. Heute scheint mir ein guter Tag, um sein Glück auf die Probe zu stellen.

Der Bier- und Weinkeller an der Braunschweiger Straße gehört zweifellos zu den schönsten Locations im Landkreis. Stilsicher eingerichtet und von rustikaler Schönheit fühlt man sich an einen Untergrundpub im Herzen Schottlands erinnert. Edle Gläser mit dünnen Stielen, polierte Zapfhähne. Meine zweite Begleitung wartet schon an der Theke. „Jetzt lasst uns endlich anfangen“, winkt sie mit einer Flasche Weißwein in der Hand.

Mir ist nach einem Rotwein. Also bestelle ich die erste Karaffe Hauswein – das hat auch was mit Gastfreundschaft zu tun. Schnell merke ich: Der schmeckt mir heute extrem gut. Verspielt, leicht zugänglich, entsprechend meines simplen Geschmacks ideal.

Ein gutes Zeichen? Zügig wechseln wir von der Theke an einen Vierertisch. Schlürf, schlürf. Zwischendurch ein Glas Sprudelwasser.

Schnell fordert meine Begleitung in immer kürzeren Abständen ein, dass ich ihr eine Zigarette drehen soll. Nun gut, man möchte ja kein Spaßvereitler sein. Hier. Kling, ein Schnips an die Karaffe – wie, schon leer? Ein erfrischter Blick in die Karte soll bekanntlich Wunder bewirken. Diesmal darf es eine Flasche – in Gedanken nenne ich sie schon vulgär Pulle – Primitivo sein. Auf den ist immer Verlass.

Dass man zu schnell trinkt, merkt man ja erst beim dringenden Gang auf die Toilette. Ich versuche, betont lässig zu gehen und bleibe mit dem Ärmel an der Türklinke hängen. Spiegelbild am Waschbecken, das Gesicht im einzigartigen Weinglow. Hitze unter der Haut. Ich versuche, nicht über das Wort P-O-R-E nachzudenken. Zurück am Tisch eine Käseplatte, Oliven und überbackene Tortillas an Paprikawürfeln, dazu drei Dips. Denn das sollte man immer wieder betonen: Im Mr. Barman‘s lassen sich zum breitgefächerten Wein- und Bier-Sortiment angemessen kleine Snacks bestellen.

Wir bestellen noch mehr Wein. An unseren Tisch gesellt sich ein Bekannter, der fleißig mittrinkt. Meine eine Begleitung schaut schon ÜBER die Brille und nicht mehr durch sie. Wir säuseln. Angemessene Themen: deutsche Raubkunst und die Verantwortung von Kultur. Hah, wäre doch gelacht, wenn ich hier nicht einen schlauen Punkt machen würde. Der Primitivo macht mich gleichsam selbstsicher und nervös. Plötzlich fallen mir die Karten wieder ein. Ich verteile an jeden am Tisch ein Pokémon-Booster. Was wir verfolgen, ist das superteure Pikachu, das für 500 Euro gehandelt wird. Unsere Chance steht 1 zu 960. Überraschung: Die Überraschung bleibt aus. Auf diese Enttäuschung ein Glas Primitivo. Einmal die Rechnung bitte.

„Aber Schluss ist hier noch nicht“, diktiert meine Begleitung und schmiedet Pläne, die uns einige Meter weiter ins immer gültige Flax führen.

„Jetzt noch weiterzugehen, wäre fahrlässig“, sage ich – leider ohne Nachdruck.