Kunst

Die Rückkehr der Götter: Möchteungern-Künstler Christian Riebe stellt nach mehr als 30 Jahren wieder im Künstlerhaus Meinersen aus

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 15.09.2022
Die Rückkehr der Götter: Möchteungern-Künstler Christian Riebe stellt nach mehr als 30 Jahren wieder im Künstlerhaus Meinersen aus

Die Neue Aufgabe, 2021, 230 x 450 x 330 cm.

Foto: Christian Riebe

Atelier und Künstler, vor diesen Begriffen fürchtet sich Christian Riebe, wie er sagt. Stattdesssen könnte man sagen: Er ist daran beteiligt, dass Kunst entsteht. 1991 kam er als Stipendiat ins Künstlerhaus Meinersen, eine „Verbannung“ für ihn. Heute aber feiert Christian Riebe „Die Rückkehr der Götter“. So heißt nämlich die Ausstellung seiner Zeichnungen und Objekte, die am 16. September im Künstlerhaus beginnt. Zu sehen sein werden Werke, die alte Volkskunst dekonstruieren und eine eigene Geschichte schreiben.

Deutschland, Anfang der 90er Jahre: gerade wiedervereint, illusioniert und ein wenig orientierungslos. Irgendwie so hat sich auch Christian Riebe gefühlt, als er nach Meinersen kam: „Das Stipendium ähnelte ja eigentlich einer Art Landverschickung – im besten Sinne. Ich kam frisch aus der Hochschule übergangslos in eine wirklich ländliche Umgebung.“ Die Prüfung für ihn und die anderen „Insassen“, wie er sie nennt: Kann man sich irgendwohin versetzen lassen – und trotzdem weiterarbeiten wie gewohnt?

Christian Riebe in seiner Werkstatt im Hannoveraner Gewerbegebiet. Zwei Drittel der Fläche sind Musikstudio.

Foto: Christian Riebe

Christian Riebe wird 1963 in Lübeck geboren, dieser Stadt, die in der literarischen Welt auf ewig durch die bourgeoisen Buddenbrooks belegt sein wird. Mehr als 80 Jahre nach Erscheinen des Thomas-Mann-Wälzers ist es der junge Riebe, der in der autonomen Szene und als Hausbesetzer eigene Wohnerfahrungen in Schleswig-Holstein macht. Bis Zweifel an der Fähigkeit des politischen Widerstands aufkommen. Notlösung: die Kunst. Von 1984 bis 1990 folgt das Studium der Freien Kunst in Hannover, daran knüpft das Stipendiat in Meinersen an.

Eine Reihe großförmiger Zeichnungen entsteht damals, „ziemlich leer und zerknittert“, meint Christian Riebe. Lange und ziellos sei er in der Umgebung Meinersens herumgewandert, die Zeichnungen zeigen einen schwebenden Pilz, einen Hochstand und Treckerreifen. Das ist wohl der einzige direkte Einfluss der ruralen Umwelt, der zu erkennen ist. Bleistift, Kunstharzlack und billiges, in Schichten verleimtes Papier – das sind seine Materialien. Die „subproletarische Alternative zu Ölfarbe, Eitempera und Leinwand“, erklärt Christian Riebe.

In der Anfangszeit fehlen seinen Werken beinahe vollkommen die Farben: Düstere Episoden entstehen, Landwirtschaft und Industrie kollidieren, dazwischen Kreuze. Die Kunst sieht aus, wie Ruß schmeckt, trocken und staubig. Man denkt an die Arbeiterbewegung, gewaltige Produktionsmittel, Dreck unter den Fingernägeln, krumme Rücken, schlechte Bezahlung.

Schöne Heimat, 2020, 112 x 145 x 14 cm.

Foto: Christian Riebe

Doch in den folgenden Jahren verändert sich etwas. Die Arbeiten von Christian Riebe werden nicht nur detaillierter, sondern spielen auch mit einer romantischen Deutschtümelei und dem Sozialismus. Orientiert an der alten Volkskunst als Gegenpol zur Gegenwartskunst schafft Christian Riebe eine eigene Welt, in der Schautafeln und Buchillustrationen täuschend echt wirken. Der Unterschied ist bloß, dass er eine Geschichte erzählt, die es so nie gegeben hat. Für noch mehr Verwirrung sorgen Textfetzen, die wie bei der Technik des Cut-ups für einen Wettstreit von Bild und Wort sorgen. Sabotage, hinter die feindlichen Linien, für Unruhe sorgen – der Text ist bei Christian Riebe eher Gegner der Verdeutlichung.

„Die Flucht aus der Gegenwart entspricht wohl meinem Misstrauen gegenüber der Moderne“, sagt Christian Riebe. „Ich habe ihre Vorgaben und Vorschriften nie geteilt.“ Als Anarchist und Antikapitalist befasst er sich mit Entwürfen der Postmoderne und sieht, dass plötzlich „jeder Stil und jede Sprache wieder verwendbar“ sind.

Vitrinen und Arbeiten aus „Die Rückkehr der Götter“, 2021/22.

Foto: Christian Riebe

Verwirrungen und Verwischungen, Überlagerungen, Spiegelungen – ästhetisch und inhaltlich ist nichts durchschaubar. Die Kunst von Christian Riebe ist so geladen wie ein Jagdgewehr. „Totale Ambivalenz“ nennt er das, die Notwendigkeit, das eine Arbeit bloß keine klare Beipackzettel-Botschaft haben darf. „Kunstwerke können nicht kommunizieren, sie halten Monologe. Und je unverständlicher diese Monologe für uns sind, desto souveräner kann ein Kunstwerk leuchten, sozusagen.“

Absolute Radikalität findet sich auch in Christian Riebes Musikprojekten wieder: ein Stottern und Rattern, elektronische Sounds wie aus einer Fabrik, brutal und herrisch, dann wolkig-sphärische und ganz liebevolle Passagen. „Godshop“ heißt die jüngst im August erschienene LP seines Projekts Golden Jet, was stellenweise wie eine Supergroup aus Trent Reznor und Frank Ocean klingt. Mit Musik sei man manchmal besser dran als mit Bildkunst, die unverbindlich an der Wand hänge, sagt Christian Riebe: „Musik funktioniert – wenigstens wenn sie live gespielt wird – immer noch wie eine Art von physisch präsenter Agitation. Und sie diktiert ihre eigene Zeit.“

Einfache Lieder, 1992, 84 x 118 cm.

Foto: Christian Riebe

In der neuen Ausstellung im Künstlerhaus geht‘s aber vornehmlich um die bildende Kunst. Arbeiten aus dem Frühwerk stehen dann neben Arbeiten der jüngeren Vergangenheit. Wer genauer hinschaut, wird zwischen all der Dunkelheit der Anfangszeit in jüngeren Werken auch eine buchstäblich gespenstische Form des Eskapismus erkennen. Das ist der Spiritismus, mit dem sich Christian Riebe in den vergangenen Jahren eindringlich beschäftigt hat, ebenso der Frühsozialist und streitwürdige Denker Charles Fourier wird zitiert.

Ausstellung von Christian Riebe:
„Die Rückkehr der Götter“

Eröffnung: 16. September, 19 Uhr

Ausstellung: 17. September bis 9. Oktober
Do., Sa., So. 15 bis 18 Uhr

Künstlerhaus
Hauptstraße 2, Meinersen


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