Musik
Die Leute wissen nicht, wie man Kaydja ausspricht: Die Ettenbütteler Alternative-Metal-Band versetzt ihre Hörer doppelt in Erstaunen
Matthias Bosenick Veröffentlicht am 05.10.2024So kann es gehen: Man lernt sich auf einem Forumstreffen zu einer gemeinsamen Leidenschaft kennen – hier: Hörspiele –, findet auch darüber hinaus näheren Gefallen aneinander, heiratet, zieht zusammen, gründet eine Alternative-Metal-Band und bringt flugs das erste Album heraus. „Verloren“ heißt dieses Debüt, Kaydja die Band dazu, Sängerin Stephanie „Steffi“ Preis-Runge und Bassist Pascal „Passi“ Runge sind das musizierende Ehepaar und Ettenbüttel ist der gemeinsame Standort. Mit Schlagzeuger Niko Markgraf und Gitarrist Daniel Salinger wird die Band zum Quartett, und erste Gigs versetzten die Hörerschaft bereits in Erstaunen. Und das, obwohl der simple Bandname auch so seine Tücken hat.
Durch die halbe Republik verlief die Bandgründung: Steffi kommt eigentlich aus Franken und lebte in der Gegend auch, als sie sich auf der Plattform hoerspielprojekt.de anmeldete und bei einem Forumstreffen auf Passi traf. Mit Folgen: „Wir hatten eine Fernbeziehung, vier Jahre“, erzählt Steffi. Mit gegenseitigen Besuchen, und während solcher im Landkreis Gifhorn lernte sie Niko kennen: „Er hatte Lust, auf Distanz mit mir Songs zu machen.“ Sie nahmen selbst getextete Stücke auf, „das hat Spaß gemacht“, zu denen Passi alsbald seinen Bass beisteuerte. Ohne etwas zu veröffentlichen, doch als Steffi dann 2021 nach Niedersachsen zog, schlug sie vor: „Lass uns doch eine richtige Band draus machen.“
Für Steffi war dies besonders reizvoll, denn in Franken sang sie bei der Cover-Rockband Smalltalk, die sie wegen des Umzugs aufgab. Ihr Gedanke: „Ich habe es cool gefunden, etwas Eigenes zu machen, eigene Musik zu kreieren.“ Zur vollständigen Band fehlte nur noch ein Gitarrist, und den brachte Niko mit: Daniel könne vom Stil passen, also trafen sie sich, gaben Niko Recht und machten Nägel mit Köpfen. „Wir haben uns gewundert, dass es so schnell ging“, lacht Steffi. „Es muss ja passen, vom Stil, vom Sound und menschlich.“ Und das tut es.
Sogar so gut, dass die Band als Quartett sofort neue Songs erarbeitete, obwohl es bereits 14 aus der Zeit als Trio gab, von denen lediglich einer den Weg aufs Album schaffte. Das lag nicht daran, dass Daniel die alten Songs schlecht fand, betonen die Eheleute, sondern schlichtweg daran, dass Daniel den entfachten Funken aufnahm und die vier als Band gemeinsam kreativ wurden. „Das ist gut“, betont Passi, „er hat als Person gute Impulse gesetzt, das ging schnell.“
Fehlte nur noch der Bandname. Okay, einen hatten die vier, aber der war bereits belegt, und die Inhaber des Namens waren dagegen, dass andere ihn ebenfalls nutzten, obwohl die so wirkten, als seien sie gar nicht mehr aktiv. Wichtig war dem Quartett ein deutscher Name, da Steffis Texte ebenfalls auf Deutsch verfasst sind. Sie erstellten Listen, checkten die Verfügbarkeiten im Internet und waren bald entmutigt, weil es alles schon gab. Bis ihnen Passis Wortwitz zugute kam: Der einzige der alten Songs, der übrig blieb, heißt „Käfig“, und auch bei seiner anderen Band Dr3ier erlaubt sich der Bassist den Spaß, die deutschen Titel in absichtlich schlechtem Englisch auszusprechen – so wurde aus „Käfig“ ein übertrieben falscher „Cage“, nämlich „Käitscha“, also: Kaydja. Und den Namen gibt’s wirklich nur einmal. Einziger Nachteil, da er nun doch nicht auf Deutsch ist: „Die Leute wissen nicht, wie sie ihn aussprechen sollen.“
Auf Deutsch textet Steffi, weil sie sich in ihrer Muttersprache am sichersten fühlt: „Da kann ich mich besser ausdrücken.“ Auf Englisch habe sie schnell das Gefühl, es sei nicht korrekt, und Passi ergänzt, dass er Steffis Gesang bereits zu Coverband-Zeiten verfolgte: „Ich fand die deutschen Songs stärker vom Gefühl her, sie kann sich mehr ausdrücken.“ Das Ergebnis ist, dass es sich bei Kaydja um eine „female fronted Alternative-Rock-Metal-Band, die deutsch singt“, handelt, so Passi. „Und wo die Sängerin ein bisschen rumschreit“, schiebt er nach. Das gebe es nicht häufig, stellt er fest und betont, dass dieses Alleinstellungsmerkmal kein Kalkül sei, sondern ein Nebeneffekt. Hört man sich ihre Songs an, erschrickt man in der Tat, wenn inmitten des Alternative-Heavy-Rocks plötzlich die Band ausbricht und Steffi zu brüllen beginnt. Besonders live überraschen Kaydja ihr uneingeweihtes Publikum. „Huch, was kommt denn da aus Dir raus, das hat man überhaupt nicht erwartet“, zitiert Steffi lachend einen Fan.
Was die Zuschauer dann um die Ohren gebrüllt bekommen, sind „entweder persönliche Erfahrungen oder etwas Ausgedachtes“, erklärt die Texterin. „Meistens geht es um Probleme oder schwierige Situationen. Es soll aber nicht die ganze Zeit negativ sein“, stellt sie klar. „Ich will auch eine positive Message einbringen. Dass nicht alles düster ist, sondern mit Hoffnungsschimmer.“ Passi grinst: „Morbide Fröhlichkeit.“
Hört man Steffi dabei zu, wie sie vom klaren Gesang ins Schreien kippt, sorgt man sich sofort um ihre Stimme, schließlich ist die ihr Kapital, als Hörspiel- und Hörbuchsprecherin. Doch gibt es da nichts zu befürchten, lacht sie: „Das hat keine negativen Auswirkungen.“ Zudem absolvierte sie lehrreiche Stunden in Screaming und Shouting bei Thrash-Gesangs-Lehrerin Britta Görtz. Zu ihrem Hauptjob kam Steffi übrigens dadurch, dass sie nach ihrer Elternzeit Lust auf Veränderung hatte und mit der Schauspielerei liebäugelte. Stattdessen schnupperte sie in einen Sprecherkurs hinein, fand Gefallen daran und vertiefte ihre Fähigkeiten, die Passi, den sie ja durch diese Aktivitäten erst kennenlernte, in höchsten Tönen lobt: „Steffi ist ein Profi.“
Auch als Sängerin, früher eben bei der Coverband Smalltalk. Die anderen drei haben ebenfalls ehemalige oder parallele Betätigungsfelder: Passi war früher bei Vollmilch, Flugbegleiter und Löns und ist heute noch aktiv mit Dr3ier und Out The Mouse. Niko war zuvor bei In Case Of Fyr, Snapshut, Cipher X und 12 Dead Stories und Daniel bei Lowlife, EAS, Tyler Roberts und Crossing Indeed. „Daniel hat auch schon mit dem Sohn von Phil Collins Musik gemacht, mit Simon Collins“, ergänzt Passi. Alle kommen aus sehr unterschiedlichen Stilrichtungen, „das ist bei Kaydja sehr differenziert“, stellt Passi fest. Könnten sich etwa bei Dr3ier alle sofort auf beispielsweise Rage Against The Machine einigen, sei dies bei Kaydja anders. Daniel etwa sei großer Fan von Dream Theater, Niko kommt aus dem Metalcore, „er machte sehr technische Sachen, ein bisschen tricky, sehr verspielt – das merkst Du, wenn Du ihm zuhörst, er kann mit Punkrock nix anfangen“, lacht Passi. „Ich habe keine direkten Vorbilder“, sagt Steffi, und Passi bestätigt, das etwa eine musikalische Analogie zu den Guano Apes in einem ihrer Songs dem Zufall geschuldet sei. Steffi nickt: „Verschiedene Einflüsse fließen zusammen, jeder bringt etwas mit und es entsteht etwas Neues.“ Und Passi meint: „Ich bin eher so der Schmusepascal, der Poppige – geil, bisschen Silbermond.“
Zu den ersten Gigs von Kaydja gehörte in diesem Jahr ein Auftritt im Kultbahnhof im Januar. „Da haben wir schon Songs von der CD gespielt, obwohl die noch nicht draußen war“, erklärt Passi und ergänzt geknickt: „Jetzt haben wir die CD und Merchandise – aber Sommerpause.“ Denn während der Pandemie seien viele neue Bands entstanden, weshalb die meisten Festivals bereits ausgebucht seien. „Im Grunde muss man schon 2026 ins Auge fassen“, seufzt Passi.
Doch es gibt noch mehr Highlights: Für Steffi war es das Festival RoQ Keeps Equality bei Klötze, bei dem Kaydja mit Bands wie Kind Kaputt, Fraupaul, Figur Lemur und The Antipreneurs auf einer Bühne standen. „Wir waren bis dahin noch auf keinem Open Air“, erzählt Steffi. Das letzte dürfte dies jedenfalls nicht gewesen sein, denn längst lässt das Quartett auch wieder die Entstehung neuer Songs zu. Passi lacht: „Nach der CD ist vor der CD.“
Kaydja: Verloren
10 Songs, 42:48 Minuten