Kunst
Der Nervenkitzel des Verbotenen - Ein Jahr Stipendium im Künstlerhaus Meinersen: Am 18. März startet die Abschluss-Ausstellung „Guilty Pleasure“ von Textilkünstlerin Olga Ulmann
Malte Schönfeld Veröffentlicht am 16.03.2022
Am Freitag, den 18. März, findet im Künstlerhaus Meinersen die Vernissage zu „Guilty Pleasure: Zur Wahrnehmung von textilen Formen“ statt. Für die Künstlerin Olga Ulmann ist die Ausstellung der Endpunkt des einjährigen Stipendiums, das von der Landkreis-Gifhorn-Stiftung ausgeschrieben wurde.
Foto: Michael Uhmeyer
Ihre Arbeit nimmt Bezug auf die marginalisierte, fast unsichtbare Arbeit von Frauen und versucht so, mit einer feministischen Ästhetik auf die sozioökonomische Unterdrückung zu antworten: Am 18. März findet die Vernissage zu der Ausstellung „Guilty Pleasure: Zur Wahrnehmung von textilen Formen“ der Künstlerin Olga Ulmann statt. Die 38-jährige Frankfurterin zeigt im Künstlerhaus Meinersen Graphiken aus ihrer Frühphase genauso wie sinnlich-erotische Soft Sculptures, die während des Stipendiums in Meinersen – ausgeschrieben von der Landkreis-Gifhorn-Stiftung – entstanden sind. Kurz vor der Vernissage empfing sie KURT zu einer Tasse Kaffee und Gebäck, um über ihre Ausstellung, ihre Kunst und die Quelle ihrer Inspiration zu sprechen.
In Meinersen fällt der erste Schnee des Jahres, als wir die Stipendiatin zum Interview im Künstlerhaus besuchen. Eine flache Schicht bleibt liegen, es ist gerade so viel Schnee am Boden, dass man den braunen Matsch vor dem Künstlerhaus nicht mehr erkennen kann. Am liebsten würde man das glitzernde Weiß anfassen, es in seiner Hand zum Knirschen bringen, bis es zerläuft und in den Rasen tropft. So wie man es als Kind immer gemacht hat.
Mit den Arbeiten von Olga Ulmann verhält es sich ähnlich. Es sind textile Kunstwerke, die sich in Material, Oberflächenbeschaffenheit und Form zwar unterscheiden, aber alle ein haptisches Verlangen beim Betrachter auslösen. Es bringt einen fast um den Verstand, ganz dringend möchte man die Soft Sculptures, also die weichen Skulpturen und Installationen aus Latex, Samt oder Lederimitat, berühren, sich an sie schmiegen und sie durch die Hände gleiten lassen. Warum, weiß man selbst nicht so genau.
Olga Ulmanns Werk „Prolog“ besteht aus 15 verschiedenen, maßgeschneiderten Arbeiten und genähter Graphik.
Foto: Michael Uhmeyer
Vorneweg ein Schnelldurchlauf: Olga Ulmann studierte Amerikanistik, Kunstpädagogik und Kunstgeschichte an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, wo sie auch heute lebt. Später entschied sich die 38-Jährige dazu, Freie Kunst zu studieren – ihr Weg führte sie schließlich nach London an die renommierte Goldsmiths, wo sie 2020 ihren Abschluss machte.
Studiert man an der Goldsmiths, ist man in illustrer Gesellschaft: Der Künstler Damien Hirst, zeitweise eines der bekanntesten Gesichter der westlichen Kunstszene und ein gerissenes Schlitzohr, was die Vermarktung seiner Werke angeht, lernte ebenso dort wie Damon Albarn, Kopf der britischen Über-Bands „Blur“ und „Gorillaz“, oder Steve McQueen, der 2014 mit dem Oscar für seinen Film „12 Years A Slave“ ausgezeichnet wurde.
Männliche Gallionsfiguren hat die Kunstwelt jahrhundertelang produziert, Frauen wurden dagegen beinahe kategorisch ausgeschlossen. Erst in der jüngeren Vergangenheit hat‘s da einen rezeptionellen Turn gegeben. Im Künstlerhaus Meinersen ist diese Erkenntnis längst angekommen.
„Es ist fantastisch hier. So ein großes Studio hatte ich noch nie, in London war mein Studio gefühlt so groß wie ein Tisch“, verrät Olga, die herzlich empfangen wurde: „Es ist abartig nett, dass mir so viel Freiheit geboten wird. Ich bin im Künstlerhaus sehr verwöhnt, und ich bin dankbar für diese Räume.“ Vorgeschlagen wurde der Ausschreibungstitel von Gunhild Posselt, Geschäftsführerin der gemeinnützigen Bildungs- und Kultur GmbH des Landkreises Gifhorn.
Die standortspezifische Plastik „Lachs-Leder-Quilt“, in 240 cm x 320 cm, wurde von Olga Ulmann im Künstlerhaus erstellt.
Foto: Nicolas Wefers
Fünf Räume sind es an der Zahl, die Olga für ihre Ausstellung zur Verfügung stehen. Dort zu finden sein werden frühe Werke, graphische Zeichnungen, genauso wie eigens für diese Ausstellung geschaffene Soft Sculptures, die bisweilen einen ganzen Raum füllen können. Aufgrund der Gegebenheiten habe sie ihre bisher größten Arbeiten anfertigen können, erzählt Olga nicht ohne ein Schmunzeln. „Guilty Pleasure“ ist damit auch eine künstlerische Reise, von den 2D-Graphiken der Anfangsjahre bis hin zu den neuesten Werken, die sich ganz um Kunst als plastisches Erlebnis drehen. „Ich würde mich als Bildhauerin beschreiben, die sich jetzt gerade auf Textilien spezialisiert hat. In Goldsmiths habe ich damit angefangen, ich fand das Material Textil spannend an sich“, erklärt Olga. „Es ist ein Medium, das einfach so viel zu bieten hat. Und dann finde ich es spannend, daraus große Skulpturen zu machen, ihm durch die Soft Sculptures eine Form zu geben.“
Ihre Kunst ist sinnlich bis erotisch, der weiche Samt wird mitunter kontrastiert von harten Metallstangen, es geht um Berührungen und Verführungen, schamvolle Lust und gefahrvolle Erfüllung. „In einer Welt von glatten und cleanen Oberflächen, wie zum Beispiel eines Bildschirms, soll dieses haptische Verlangen re-triggert werden, indem ich in der Ausstellung gezielt eine Vielfalt an Materialien, Oberflächenbeschaffenheiten und zugreiffreundlichen Formen zeige“, sagt Olga. „Und hier finde ich den Titel ‚Guilty Pleasure‘, also der schuldbewusste Genuss, für mich passend, weil das haptische Verlangen geweckt wird und mit der Schnittstelle des Verlangens spielt – diese faszinierende Verbindung zwischen der Erregung vor der Befriedigung und dem Nervenkitzel des Verbotenen.“
Die Arbeit „Golden Round Corner“ ist ebenfalls eine standortspezifische Textilarbeit in den Maßen 325 cm x 104 cm x 35 cm.
Foto: Nicolas Wefers
Dass ihre Kunst sich hin zum Textil bewegt hat, liegt im Übrigen an ihrer Mutter. „Sie ist eine hervorragende Näherin und Schneiderin und übt diesen Beruf seit mehr als 45 Jahren aus“, berichtet Olga. Und so ist das Nähen, immerhin integraler Bestandteil ihrer Werke, auch eine Sichtbarmachung von „invisible female labour“, also unsichtbarer weiblicher Arbeit, wie die Künstlerin sagt: „Arbeiten wie das Nähen, Putzen, Bügeln oder die Kindererziehung passieren oft im Hintergrund, und es ist leider oftmals Arbeit, die von Frauen verrichtet wird und nicht wirklich die Anerkennung bekommt, die sie verdient. Durch den finanziellen Wert erfahren sie eine Minderschätzung. Ich wähle eine Form dieser invisible female labour, um mich zugehörig zu zeigen und darauf aufmerksam zu machen.“
Schwer fällt es Olga Ulmann auch, ihren Werken selbst einen ökonomischen Wert zu verpassen. Kunst und Ökonomie, das gehöre eigentlich getrennt. Und doch kann man die Arbeit „Prolog“, die direkt zu Beginn der Ausstellung zu sehen sein wird, für einen „verhältnismäßigen Preis“, so Olga, erstehen: „Das ist ein bisschen mein Kompromiss.“
Ausstellung von Olga Ulmann:
„Guilty Pleasure: Zur Wahrnehmung von textilen Formen“
Künstlerhaus, Hauptstraße 2, Meinersen
Vernissage: 18. März, ab 19 Uhr
Ausstellung: 19. März bis 10. April Do., Sa. & So. 15 bis 18 Uhr