Kolumne: Raum für Notizen

Bis einer tot ist: Der Freispruch eines rechten Gewalttäters löst bei unserer Kolumnistin Angst und Entsetzen aus

Marieke Eichner Veröffentlicht am 01.02.2023
Bis einer tot ist: Der Freispruch eines rechten Gewalttäters löst bei unserer Kolumnistin Angst und Entsetzen aus

KURT-Kolumnistin Marieke Eichner beobachtete einen Prozess am Braunschweiger Amtsgericht gegen einen rechten Gewalttäter wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung.

Foto: Ekaterina Bolovtsova/Pexels (Symbolfoto)

Zweifelsohne nimmt die Beliebtheit totalitärer Regierungssysteme zu. Nicht nur in Gifhorn, wo Politiker auf ihrem Social Media mit der „Konservativen Revolution“ liebäugeln – eigentlich ein Begriff für antiliberale, antidemokratische Ideen in der Weimarer Republik. Und den jüngst aufgeflogenen geplanten Staatsstreich von Reichsbürger:innen als Überreaktion der Justiz bezeichnen. Versehen mit dem Kommentar aus der konservativen bis rechtsextremen Zeitung „Junge Freiheit“, es handle sich heute doch nicht um „Weimarer Verhältnisse“.

Ist sich die Neue Rechte auch nicht einig, ob man sich nun der Parallelen zu Weimar bedienen solle oder nicht, fest steht: Nicht nur in Gifhorn haben Menschen vergessen, welches Glück und welche Pflichten eine Demokratie bringt. Auch im Braunschweiger Amtsgericht. Da sitzt ein Mann auf der Anklagebank, der einst wegen seiner Gewalttaten – unter anderem soll er einem Schüler den Kiefer gebrochen, einen Jugendgruppenleiter verprügelt und Steine auf einen Jugendlichen geschmissen haben – zu einer zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt wurde. Was ihn offenbar nicht daran hinderte, weiterhin an rechten Demos teilzunehmen, Polizisten anzugreifen und dann ist da noch der Verdacht des Brandanschlags und der Bedrohung eines Journalisten. Der Vorwurf heute: Gemeinschaftliche Körperverletzung. Diesmal hat‘s einen meiner Freunde getroffen. Darum sitze ich hier und dieser Mann starrt mich an. Ich schaue ihm in die Augen und lächle. Ja, Du machst mir Angst. Aber das werde ich Dir nicht zeigen.

Die Verhandlung ist zäh, Zeuginnen sind nicht erschienen, müssen abgeholt werden. Währenddessen redet die Richterin surreal viel übers Lüften. Als die Zeuginnen auftauchen, werden drei Dinge klar. Erstens: Da die Tatnacht schon zwei Jahre zurückliegt, sind die Aussagen mau. Zweitens: „Man kennt ihn halt.“ Schließlich gibt‘s da dieses Video, auf dem er am helllichten Tag Menschen durch die Innenstadt jagt, die diversen Angriffe, Anklagen, Auftritte bei Demos und Infoständen. Und drittens: Die Richterin glaubt der Aussage des Opfers nicht. Nachdem der Pflichtverteidiger die Einstellung wegen anhängiger Verfahren bei der Generalstaatsanwaltschaft Dresden fordert, knickt die Staatsanwältin ein. Schließlich wurde ihre Hauptbelastungszeugin ausgeladen. Für die Richterin hat sich die Sache erledigt, sie ist schon wieder beim Thema Lüften.

Vor dem Gerichtsgebäude werden ich, mein verprügelter Freund und anwesende Unterstützer:innen fotografiert und gefilmt. Keiner geht allein nach Hause. Denn die Fotos und Videos landen vermutlich wieder in internen Chats von Neonazi-Gruppen. Auf dem Heimweg ist die Stimmung mies. Ständig schaue ich auf mein Handy: Sind alle gut angekommen? Ich mache mir Sorgen. Hoffentlich schlägt er niemanden tot, bevor endlich etwas passiert.

KURT-Kolumnistin Marieke Eichner schreibt die monatliche Kolumne „Raum für Notizen“. Leserbriefe gern an redaktion@kurt-gifhorn.de.


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