100 Jahre SSV Kästorf

Der SSV ist meine Heimat, das transportiere ich - Kästorfs Vorsitzender Ingo Düsterhöft spricht über seinen Herzensverein

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 12.06.2022
Der SSV ist meine Heimat, das transportiere ich - Kästorfs Vorsitzender Ingo Düsterhöft spricht über seinen Herzensverein

Seit 2004 ist Ingo Düsterhöft verantwortlich beim SSV Kästorf. Der Vorsitzende blickt deswegen im großen KURT-Interview nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch in die Zukunft des Vereins.

Foto: Michael Uhmeyer

Für Ingo Düsterhöft ist der SSV Kästorf ein Dorfverein, ein sozialer Mittelpunkt und ein Projekt der Inklusion. Kurzum, für den Vorsitzenden ist er Heimat. Im großen Interview zum 100. Vereinsgeburtstag spricht Ingo mit KURT-Mitarbeiter Malte Schönfeld über die besonderen Eigenschaften des Vereins, die Wichtigkeit der Jugendarbeit und die Ziele, die er als Verantwortlicher mit dem SSV noch verfolgt.

Ingo, wir müssen uns als Erstes über die aktuelle Situation unterhalten. Wie hat der SSV Kästorf die zwei harten Corona-Jahre überstanden, wie haben die Mitgliederzahlen darauf reagiert?
Im ersten Lockdown hatte ich Angst, dass es uns schlechter gehen würde. Alle waren in einer Schockstarre, alle mussten sich neu sortieren. Unsere Übungsleiter haben aber einen total euphorischen Auftritt hingelegt, sie haben sofort auf die wechselnden Rahmenbedingungen reagiert. Die Eigeninitiative der handelnden Personen war trotz der mentalen Belastung riesig, das hat uns im Nachgang sogar einen Schwung gegeben.

Was die Mitgliederzahl anbelangt, stehen wir derzeit bei rund 820, vor Corona lag der Höchststand bei 870. Gott sei Dank, es geht wieder leicht hoch, weil wir in der Lage sind, fast alle Angebote so auszuführen wie vor der Pandemie.

Hinzu kam, dass wir fast zwei Jahre lang ein Drittel des Sportzentrums Nord nicht nutzen konnten, wo wir viele Kurse und Übungsstunden im Bereich Kinderturnen nicht durchführen konnten. Das war schon ein ziemlicher Einschnitt, der auch finanzielle Folgen hatte. Eigentlich war das Jahr 2020 dafür eingeplant, diese finanzielle Delle durch ein Vollpower-Angebot auszubessern, als die Halle wieder vollständig nutzbar war. Aber dann kam das böse Wort mit C.

Sind Dir in dieser Zeit bestimmte Eigenschaften des Vereins noch mal bewusst geworden?
Ich habe ja immer gesagt, dass wir das kleine gallische Dorf im Norden Gifhorns sind. Wir sind bekannt dafür, andere Wege zu gehen als es andere Vereine gemacht haben.

Nehmen wir die Aktion „Familiensport-Stunde“, eine Stunde Sport pro Familie bei uns während der Pandemie. Da waren wir die ersten, die das gemacht haben. Wir haben diese Idee bei der Stadt durchgebracht und sind auch Bürgermeister Matthias Nerlich dafür dankbar, dass wir das machen durften. Es war grandios zu sehen, dass alle 40 Termine pro Woche innerhalb von Stunden ausgebucht waren – fantastisch, einfach toll.

Der engste Kern, also wir, die für den SSV in der Verantwortung stehen, war vom ersten Augenblick an sehr geschlossen. Das gilt übergreifend für alle Sparten. Denn wir hatten das gemeinsame Ziel, unseren Mitgliedern wieder etwas anbieten zu wollen.

Wofür steht in Deinen Augen der SSV Kästorf?
Wir sind ein Dorfverein, das ist unsere Hauptdirektive. Wir sind ein Breitensportverein. In einigen Gebieten haben wir uns in den Leistungsbereich entwickelt, weil es so gekommen ist. Aber wir sind weiterhin ein Dorfverein, der Wert darauf legt, im Dorf präsent zu sein. Und nach außen hin hat uns immer ausgezeichnet, dass wir mit guten Übungsleitern punkten, dass wir Qualität anbieten. Wir wollen nicht irgendein 08/15-Angebot machen, sondern Angebote, die Hand und Fuß haben und auf guter Qualität fußen.

Für uns ist es wichtig, manchmal auch innezuhalten und zu schauen: Was wollen wir wirklich, was sind unsere Kernkompetenzen? Wir wollen Sport im SSV Kästorf für jeden möglich machen. Uns ist die Breite wichtiger als die Spitze. Die Spitze soll gefördert und gefordert werden, das ist auch gut. Aber sie darf die Breite nicht überdecken.

Alle mitnehmen zu wollen – ein gutes Beispiel dafür ist die Inklusionsmannschaft der Jugendspielgemeinschaft Gifhorn Nord.
Kinder mit Beeinträchtigung – sei es körperlich, seelisch oder mental – bedürfen viel mehr unserer Aufmerksamkeit. Vor 20, 30 Jahren hat sich kein Mensch für das böse Wort „Behindertensport“ interessiert. Es ist kein Behindertensport, es ist Sport für Menschen mit Beeinträchtigung. Sie geben alles, genau wie Menschen ohne Beeinträchtigung.

Wir müssen noch mehr da hinkommen, dass wir Inklusion nicht mehr herausheben müssen, sondern dass es als Selbstverständnis in unsere Vereine übergeht. Da spreche ich nicht nur über uns. Es wünscht sich doch jeder Sportler, dass er bei einem Verein vom ersten Moment an aufgehoben ist. Und das ist der Inklusionsmannschaft überragend gelungen.

Euer Motto lautet „100 Jahre SSV Kästorf – und alle machen mit“. Was steckt dahinter?
Das Motto bedeutet zweierlei: Zum einen heißt es, dass jeder eingeladen ist; zum anderen, dass der Vorstand dem Verein nicht ein Motto überstülpt.

Wir haben schon 2019 angefangen Workshops zu machen. Wir haben unsere Mitglieder eingeladen, mit uns zusammen Ideen zu erarbeiten und zu clustern. Es haben sich Arbeitsgruppen gebildet, und jede Arbeitsgruppe ist für die Ausrichtung eines Events zuständig. Na klar, der Vorstand ist überall dabei, wir geben den finanziellen Rahmen und unterstützen. Aber die Mitglieder haben die Themen maßgeblich beeinflusst.

Wir betonen aber auch: Das ist nicht der SSV Ingo Düsterhöft oder der SSV Stefan Redler oder der SSV Claudia Zyla. Das ist Euer Verein! Und jeder hat das gleiche Recht zu sagen: Das wäre eine Sache, auf die hätte ich Bock.

Zwei einflussreiche Personen der Kästorfer Vereinshistorie: Ingo Düsterhöft (links) ist aktuell Vorsitzender des SSV, Papa Günter war es früher.

Foto: Michael Uhmeyer

Ingo, Du bist seit 2004 Vorsitzender des SSV Kästorf, Du kennst jeden Grashalm auf dem Sportplatz und jede Fuge im Stübchen. Was sind Deiner Meinung nach die schönsten Erinnerungen, was sind die prägendsten Momente des Vereins?
Vielleicht die größte Leistung war es, dass man nach dem Zweiten Weltkrieg den SSV überhaupt wieder zum Leben erweckt hat. Das war alles andere als sicher. Wir wissen alle, dass viele Männer in den Krieg gezogen und nicht alle wiedergekommen sind. Und diejenigen, die wiedergekommen sind, hatten in den ersten Jahren andere Sorgen, als wieder Sport zu treiben.

Es gab aber eine Handvoll positiv Verrückter, die gesagt haben: Nee, das muss hier wieder weitergehen. Sie haben dafür gesorgt, dass mit der Gemeinde ein Gelände geklärt werden konnte und dass ein Sportheim gebaut werden konnte. Dieser Re-Start war vielleicht die größte Leistung.

Eine weitere große Leistung ist, dass Ute Lehner 1964 eine Damengymnastikgruppe ins Leben gerufen hat. Ute hat diese Abteilung 40 Jahre lang in diesem Verein verankert, auch entgegen anfänglicher Widerstände. Denn es war damals nicht alltäglich, dass Frauen ihren Sport ausleben durften.

Nahezu 50 Prozent der Mitglieder sind Kinder und Jugendliche. Welchen Stellenwert hat die SSV-Jugendarbeit?
Man sagt zwar immer, Jugendarbeit bringe kein Geld, Jugendarbeit koste Geld. Aber jeder Euro, den wir da hineinstecken, hat das Ziel, dass wir unsere jungen Mitglieder so ausbilden, dass sie eine Affinität zum Verein entwickeln. Wir wünschen uns, dass sie auch als Erwachsene dem Verein zur Verfügung stehen und im besten Falle Verantwortung übernehmen. Jugendaufbau ist wichtig! Nehmen wir das Beispiel JSG Gifhorn Nord: Schon früher hat es Leute mit Weitblick gegeben, die an einer Spielgemeinschaft gearbeitet haben. Hin und wieder gab‘s die auch. Sie haben damals gemerkt: Alleine schaffen wir es nicht. Daran hat sich nichts geändert. Unsere JSG, die es seit 2014 gibt, ist ein tolles Projekt mit total engagierten Leuten. Dahinter steckt Qualität und Struktur. Das ist ein Meilenstein.

Welches sind Deine Ideen, um im Jahr 2022 einen Verein attraktiv zu halten?
Digitalisierung ist ein großes Thema. Vor 20 Jahren hat man eine Festzeitschrift gemacht oder vierteljährlich zu einem Fußball-Heimspiel ein Heftchen rausgegeben. Heutzutage funktioniert sehr viel über Social Media. Meiner Meinung nach ist das die Zukunft.

Social Media hat den Vorteil, innerhalb weniger Sekunden Nachrichten oder Ereignisse des Vereins über die ganze Welt verteilen zu können. Der Nachteil sind die negativen Kommentare, die genauso schnell geteilt werden. Aber da hat man mit der Zeit ein dickes Fell entwickelt.

Wir haben versucht, unsere Leute – auch während der Corona-Zeit – zeitnah zu informieren. Vom Vorstand haben wir immer versucht zu erklären, warum wir etwas nicht so machen konnten, wie wir es vielleicht eigentlich wollten. Den modernen Verein zeichnet aus, dass er direkt kommuniziert. Das macht uns lebendig, das nimmt die Leute mit.

Heute leitet Ingo Düsterhöft als Vorsitzender den SSV Kästorf. Früher stand er noch selbst auf dem Platz, hielt als Keeper den Laden dicht.

Foto: Privat

Wie wichtig ist der SSV Kästorf für das Dorf?
Sehr wichtig. Ich glaube, manche unterschätzen sogar, wie wichtig der Verein für das Dorf ist. Der SSV Kästorf ist der größte Verein im Dorf. Bei uns passieren die meisten Angebote für Kinder und Jugendliche – egal ob beim Fußball, Tennis oder Kinderturnen. Der SSV ist wichtiger Teil mehrerer Veranstaltungen in Kästorf. Das Schützenfest ist das Dorffest Nummer eins. Das brauche ich keinem zu erzählen. Wenn in Kästorf auch nur einer ruft: „Es ist Schützenfest!“, dann rennen da 500 Leute hin. Beim Schützenumzug nehmen wir jedes Jahr mit 50, 60 Leuten teil, die unsere Farben vertreten. Ob wir vom Schützenfest oder Erntefest reden – wichtige Elemente dieser Feste werden von uns gestaltet.

Obendrein ist der Sportplatz am Sonntag im Mittelpunkt. Nicht jeder, der am Sportplatz steht, ist ein ausgewiesener Fußballfachmann. Einige kannst du nach 80 Minuten fragen, wie es denn steht – sie wissen das gar nicht. Denn man trifft sich, tauscht sich bei Getränk und Bratwurst untereinander aus und ist froh, auch mal ein bisschen dummes Zeug zu erzählen. Unser Sportplatz ist ein sozialer Mittelpunkt. Und so sehe ich den SSV: Jeder darf vorbeikommen, das Kleinkind und der Opa.

Ein Jubiläumsjahr ohne Festivitäten – das funktioniert nicht. Was sind die Highlights des Jahres?
Unsere Mitglieder dürfen sich da auf einiges freuen. Der Festkommers wird am 8. Juli stattfinden, da sind die Spitzen aus Verwaltung, Lokalprominenz, Politik, Sponsoren, verdiente Mitglieder und mehr eingeladen. Auch Vertreter von anderen Vereinen aus dem Stadtgebiet heißen wir herzlich willkommen. Da freuen wir uns tierisch drauf!

Zudem laden wir am 15. Oktober in unser Dorfgemeinschaftshaus zur Rot-Weißen Nacht ein, die von einer Arbeitsgruppe organisiert wird. Es wird ein Food-Truck vor der Tür stehen, drinnen gibt’s Musik vom DJ. Es wird Stehtische geben, das Publikum soll sich immer wieder bunt neu zusammenfinden. Eine Party in Bewegung. Und da wollen wir uns einfach nur selber feiern.

Außerdem hoffen wir, dass wir noch ein Highlight aus fußballerischer Sicht präsentieren können. Wir haben da jemanden an der Angel, aber es ist noch nicht fix. Sicher wird es aber die Pokalendspiele und Aufstiegsspiele der A-, B- und C-Jugend zu sehen geben, der Sparkassen-Cup findet auch bei uns statt. Wir haben ein super schönes Gelände. Da haben ganz viele Mitglieder in der Vergangenheit und jetzt Bernd Schäfer als Platzwart einen überragenden Job gemacht. Wir haben einen geilen Sportplatz mit einem geilen Flair – und das wollen wir zeigen.

Du hast bei der jüngsten Jahreshauptversammlung gesagt, dass für Dich 2025 als Vorsitzender Schluss sein wird. Wohin möchtest Du den SSV Kästorf bis dahin noch entwickeln?
Eines zu Beginn: Es ist nicht meine Entscheidung, wie der Verein nach mir geführt wird. Der Verein ist jetzt schon aufgefordert, sich selbständig weiterzuentwickeln. Ich würde mir wünschen, dass wir ein Team finden, was motiviert seine Art und Weise in den Verein einbringt. Ich möchte nicht, dass der Verein nach mir so geführt wird, wie ich ihn geführt habe. Denn dann hat er keine Weiterentwicklung.

Weiterhin würde ich mir wünschen, dass wir immer noch diese Ausgewogenheit aus Breitensport und Dorfverein behalten. Wir dürfen dennoch nicht das Ziel aus den Augen verlieren, in der Spitze gut sein zu wollen, ohne uns dabei zu überfordern – von der Menpower her, von der Womenpower her. Das Ehrenamt darf nicht zu einer Last werden.

Wir haben eine gesunde, solide Basis. Wir haben 800 Mitglieder, viele davon Kinder und Jugendliche, und gut ausgebildete Übungsleiter in allen Bereichen. Ich kann mir vorstellen, dass wir uns in bestimmten Bereichen weiterentwickeln werden: Digitalisierung, E-Sport, neue Trendsportarten auch für Ältere. Darts wird definitiv ein Thema beim SSV, das kann ich schon versprechen. Boule möchte ich sehr gern initiieren.

Ein bisschen mehr Eigeninitiative der Mitglieder würde ich mir dennoch wünschen. Dass sie sagen: Ja, wir machen etwas! Und wenn es in die Hose geht, dann geht es eben in die Hose. Aber macht einfach. Beispiel Fußball: Es wird immer Leute wie mich geben, die am Sonntag auf den Sportplatz gehen, auch wenn unsere 1. Herren in der 3. Kreisklasse spielt – weil es der SSV Kästorf ist. Nicht dass wir uns das wünschen würden. Aber ich würde mir das anschauen, denn da fühle ich mich wohl. Das ist mein Heimatverein. Und das möchte ich transportieren.

Dieser Text ist Teil der von KURT herausgegebenen Sonderausgabe „100 Jahre SSV Kästorf“.


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