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Vorbild Letzte Generation: Unser Kolumnist Malte Schönfeld überlegt, welche Interessengruppen sich noch ankleben könnten

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 30.06.2023
Vorbild Letzte Generation: Unser Kolumnist Malte Schönfeld überlegt, welche Interessengruppen sich noch ankleben könnten

Unser Kolumnist Malte Schönfeld sieht für viele Interessengruppen Gründe, das von der Letzten Generation angewandte Konzept des Anklebens für eigene Zwecke zu übernehmen. Vielleicht muss deswegen ein Alleskleber her.

Foto: KURT Media

Was war das für ein Aufruhr, als die Generalstaatsanwaltschaft München bundesweit Razzien bei der Letzten Generation durchführen ließ. Der Verdacht: Sieben Menschen haben eine kriminelle Vereinigung gebildet. Nun wird nach dem Schnüffelparagraphen, wie er auch genannt wird, ermittelt. Schnüffelparagraph deswegen, weil er zu den besonders schweren Straftaten zählt und Aktionen wie Abhörung und die Einführung einer V-Person erlaubt.

Bisher kannte man die Letzte Generation vor allem durch die Aktionen auf Berliner Autobahnen und im Hamburger Elbtunnel, an Gemälden von Monet, van Gogh und Klimt in Wien. Zuletzt aber auch am Trevi-Brunnen in Rom. Genauso in Paris die verschwisterte Dernière Rénovation, die Letzte Renovierung. Die Bewegung breitet sich aus. Man liest von Zwei-Komponenten-Kleber oder Schnellzement, von Sitzblockaden und Ölschmierereien.

Gerade wurde auf Sylt ein Privatjet angesprüht, der Startschuss zum „Sommerplan 2023“– die Letzte Generation möchte „an die Symbole des modernen Reichtums gehen“. Die Punks haben es im 9-Euro-Sommer mit ihren wirksamen Sitzblockaden vor dem Westerland-Edeka Biallas vorgemacht.

Nur damit wir alle auf derselben Welle surfen: Dem Umweltaktivismus der Letzten Generation geht es um das fairere Deutschland-Ticket, ein Tempolimit, die Befolgung der eigens im Pariser Abkommen gesteckten Klimaziele und die Einführung eines Klimarats.

Ich möchte nicht darüber nachdenken, ob die Letzte Generation in einem Atemzug mit Nazi-Banden oder Terrorgruppen genannt werden sollte. Das ist mir zu blöd. Und das sollte es auch für jeden sein, dessen Primärquelle NICHT die Menschenhasser-Zeitung und die Agitprop-YouTube-Show ihres Ehemaligen sind.

Dagegen werfe ich fragend ein, warum andere Interessengruppen nicht kleben. Anstatt sich als Gegner zu begreifen, sollten Schüler, Lehrerinnen und Eltern paktieren und pattexieren. Festkleben am Whiteboard, in der Aula, am Schulbus. Auch in Gifhorn. Forderungen: weg mit dem barocken Fächerkanon; weg mit Unterricht aus dem 19. Jahrhundert, der Talente und Lernspaß blockiert; Schluss mit dem Bulimielernen, das Kinder und Jugendliche in die erste Depression erzieht; verpflichtender Digitalunterricht ab Klassenstufe 3; echte Chancengleichheit; mehr sinnvolle Fremdsprachen-Grundkurse wie Türkisch oder Arabisch; mehr Sport und gesunde Ernährung.

Zack, nächstes Milieu: Sportvereine. Forderung: bessere Infrastruktur, bessere Geräte. Frage: Wie kann es sein, dass auch zehn Jahre nach der ersten Bürgerinitiative der Landkreis Gifhorn noch immer keinen Kunstrasenplatz bereitstellt? Ey Politiker, rückt die Tauis raus und baut da jetzt dieses Ding hin!

Weiter, Studenten. Frage: Wie soll man parallel studieren und minijobben und sich einen Therapieplatz wegen der PTBS aus der Schulzeit suchen? Gegen die Verschulung der Uni ankleben, gegen die Willkür und den Machtmissbrauch vieler Professoren, die Leistungen nicht anerkennen; gegen das BaFög-Amt und für eine Neuschreibung der Bewilligungsregularien, Tausende von Studis bluten am langen Arm der nicht-erbrachten, aber versprochenen staatlichen Unterstützung aus.

Und jetzt die Rentnerinnen und Rentner ankleben. Frage: Soll alleine sterben Spaß machen? Für mehr Begegnungsstätten, intergenerationale Kulturprogramme, Entertainment...

Ich könnte ewig so weitermachen. Es braucht jetzt flächendeckendes Ankleben, überall, zu jeder Uhrzeit, egal, welches Alter. Auch ich will mich ankleben. Erst mal mache ich aber zwei Wochen Urlaub.


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