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Von völlig richtig bis Armutszeugnis: Zustimmung für die Annullierung der Fußball-Saison – doch es gibt auch Kritik

Jens Semmer Veröffentlicht am 01.05.2021
Von völlig richtig bis Armutszeugnis: Zustimmung für die Annullierung der Fußball-Saison – doch es gibt auch Kritik

Der FC Schwülper (links Tim Feddersen) wäre auf dem Weg in die Bezirksliga wohl kaum zu stoppen gewesen, muss nach der Annullierung der Saison aber einen weiteren Anlauf in der Kreisliga nehmen.

Foto: Michael Uhmeyer/regios24

Als wir in unserer jüngsten Ausgabe einen Streifzug durch die Ballsportarten unternahmen, um mit Blick auf die höchstspielenden Gifhorner Mannschaften den aktuellen Stand zur Spielzeit 2020/21 zu dokumentieren, bildete der Fußball noch die Ausnahme. Als einziger der großen Landesverbände hatte sich der Niedersächsische Fußballverband (NFV) bis Mitte März noch daran geklammert, die Punktspielrunde fortzusetzen. Eine Woche später sah sich das NFV-Präsidium dann aber zum Umdenken gezwungen: Es brach die Saison ab, sie wird annulliert, es gibt weder Auf- noch Absteiger. Für die meisten Fußballteams unseres Kreises bedeutet es zunächst mal Planungssicherheit, einige konnten gewissermaßen aufatmen. Und bei anderen sorgte die Annullierung für reichlich Frust.

Blicken wir noch einmal kurz zurück: Badminton, Basketball, Handball, Tischtennis, Volleyball – überall hatten die Verbände mit großer Vor- und Weitsicht auf die zweite Corona-Welle reagiert und die Saison vorzeitig beendet. Der NFV hatte hingegen Mitte März noch seinen unbedingten Willen bekräftigt, die Spielzeit fortzusetzen, um auf sportlichem Wege Entscheidungen herbeizuführen. Als bei der Bund-Länder-Konferenz am 22. März die neuerliche Verlängerung des Lockdowns bis zum 18. April beschlossen wurde, musste aber auch der NFV erkennen: Der Amateurfußball ist nicht über die Pandemie-Lage erhaben.

Aufgrund der zeitlichen Ausweitung des Lockdowns und der „perspektivischen politischen Aussagen erachten wir eine rechtzeitige Aufnahme eines uneingeschränkten Mannschaftstrainings und Spielbetriebs als nicht mehr realistisch“, erklärte NFV-Präsident Günter Distelrath den Beschluss zum Abbruch. „Selbst im besten Fall würden wir vor Mitte Mai nicht zu einer Wiederaufnahme des Spielbetriebs kommen, denn nach so langer Pause würde eine nur zweiwöchige Vorbereitungszeit sicherlich nicht ausreichen.“

Einer der Profiteure des Abbruchs: Der MTV Isenbüttel, am Ball Torjäger Petrus Amin, bleibt trotz des Fehlstarts mit vier Niederlagen in der Landesliga.

Foto: Darius Simka/regios24

Die meisten Vereine begrüßten diesen Schritt, es gab jedoch auch Kritik an der Wertung – beziehungsweise eben der Nicht-Wertung – der Saison. So richteten sich 14 Vereine aus dem NFV-Bezirk Braunschweig in einem offenen Brief an den NFV-Vorstand, darunter der FC Germania Parsau. Warum die Wortmeldungen der Gifhorner Vereine von der „absolut richtigen Entscheidung“ bis zum „Armutszeugnis“ reichten, ergibt sich aus einem genaueren Blick auf die Situation in den einzelnen Spielklassen.

Die Oberliga nahm zunächst noch eine Sonderstellung ein, da sie die Schnittstelle der Zuständigkeiten zwischen dem Niedersächsischen und dem Norddeutschen Fußball-Verband (Regionalliga) bildet. Zwar galt mit dem Beschluss vom 31. März die Saison auch hier als abgebrochen und annulliert, der NFV hielt sich aber offen, auf dem „Wege einer alternativen Entscheidungsfindung Aufsteiger zu ermitteln, soweit die Beschlusslage im übergeordneten Norddeutschen Fußball-Verband einen Aufstieg zulässt“. Soll heißen: Hätte die als semiprofessionell eingestufte Regionalliga die Saison fortgesetzt, hätte es Absteiger gegeben – und dann auch Aufsteiger aus den Oberligen geben müssen.

Anfang April sprach sich aber die Mehrheit der Vereine der Regionalliga Nord für einen sofortigen Abbruch der Spielzeit aus – ohne Absteiger. Folgt der Verband diesem Meinungsbild, wird es keine Aufsteiger aus der Oberliga geben. Der MTV Gifhorn, der sich als Vierter der Staffel Braunschweig/Hannover für die Aufstiegsrunde qualifiziert hatte, wäre aber wohl ohnehin nicht von der „alternativen Entscheidungsfindung“ betroffen gewesen. Das Team von Trainer Michael Spies hat ihr Ziel, den Verbleib in der fünfthöchsten Spielklasse, jedenfalls erreicht.

Da auch in der Regionalliga Nord die Zeichen auf Saisonabbruch ohne Absteiger stehen, werden Lasse Denker (links) und der MTV Gifhorn in der neuen Oberliga-Saison keine neuen Gegner bekommen.

Foto: Michael Uhmeyer/regios24

In allen Klassen darunter war schon seit dem 31. März klar, dass es weder Auf- noch Absteiger geben wird. Die Trainer Ralf Ende vom Bezirksligisten MTV Gamsen und Rouven Lütke vom Landesligisten MTV Isenbüttel sprachen beide von der „absolut richtigen Entscheidung“. Ralf Ende ergänzte unter Verweis auf die lediglich vier absolvierten Spiele in der Bezirksliga rhetorisch: „Wie hätte es denn sonst funktionieren sollen?“ Gleichwohl: Beide Teams gehören zu den Profiteuren des Abbruchs. Die Gamsener standen – wie schon in der Spielzeit 2019/20 – auf einem Abstiegsplatz, halten nun aber erneut die Klasse, ebenso die Isenbütteler, die mit vier Niederlagen in die Saison gestartet waren.

Dass die Regelung Mannschaften, die aufsteigen wollten, weit weniger schmeckt, ist klar. Und einige werden nun schon zum zweiten Mal in Folge von den NFV-Beschlüssen benachteiligt. Beispiel: der FC Schwülper. Der war vor einem Jahr über die Quotientenregelung gestolpert, auf Grundlage derer der NFV nach dem Abbruch Aufsteiger ermittelt hatte. Der FC (2,00) hatte damals das Nachsehen gegenüber dem VfL Germania Ummern (2,24), der in die Bezirksliga aufrückte. In dieser Saison führte Schwülper mit sechs Siegen aus sechs Spielen die Kreisliga B an – und muss dennoch nach dem Sommer einen weiteren Anlauf nehmen.

Sören Henke, Trainer des FC Germania Parsau, Primus der 1. Kreisklasse B, bezeichnete die Annullierung auf Facebook sogar als „Armutszeugnis“. Im offenen Brief erklärte der FC-Vorstand, er habe kein Verständnis dafür, dass eine Annullierung im Jahr zuvor noch als „größte Abweichung vom geltenden Satzungs-, Ordnungs- und Ausschreibungsrecht“ mit 94,8 Prozent der Delegiertenstimmen abgelehnt“ worden, sie nun aber die erste Wahl des NFV bei der Wertungsfrage wurde.

Wie Schwülper verpasste auch Parsau 2020 als Tabellenzweiter den Aufstieg. Der FC hatte 34 von 39 möglichen Punkten geholt, an der FSV Schönewörde-Vorhop (14 Spiele, 14 Siege) war aber kein Vorbeikommen. Dieses Mal hielt sich die Henke-Elf selbst in sieben Spielen schadlos und bat den NFV „inständig um eine differenzierte Betrachtungsweise“ hinsichtlich der Entscheidungen über Abbruch/Fortsetzung sowie über mögliche Auf- und Absteiger.

„Sollte sich der NFV für einen Abbruch und die Annullierung entscheiden, wäre das natürlich ein Armutszeugnis. Mit der letzten Saison hatte man einen Präzedenzfall geschaffen. Eine Annullierung kann nur das letzte Mittel sein.“
Sören Henke, Trainer des FC Germania Parsau, kommentierte auf Facebook.

Foto: FC Germania Parsau

Der Verein führte an, dass der Kreis Gifhorn als Reaktion auf den Abbruch der vergangenen Saison seine Staffeln halbiert hatte, um den Spielplan zu entzerren. „Dies hat zur Folge, dass im Kreis bereits 50 Prozent der Spiele absolviert werden konnten“, die Hinrunde also sportlich beendet wurde. Damit sei eine noch fairere Grundlage für eine Wertung gegeben als im vergangenen Jahr, als einige Teams beim Abbruch noch nicht alle Hinrundenpartien absolviert hatten, andere aber schon bis zu vier Rückrundenspiele. Dass die Quotientenregelung von 2020 „nun bei gleichbleibenden Voraussetzungen nicht als Präzedenzfall erneute Anwendung finden soll, ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar“, schrieb der Verein.

Aber: Genau da hakt die Argumentation der Parsauer, denn abgesehen von ihrer Staffel gab es auf Bezirksebene und im NFV-Kreis-Gebiet keine weitere, in der tatsächlich alle Teams ihre Hinrundenspiele bis zur Unterbrechung komplett absolviert hatten. In der 1. Kreisklasse C führte beispielsweise der SV Welat Gifhorn mit 13 Punkten aus 6 Partien die Tabelle an. Sein Verfolger, der SV Dannenbüttel, hatte 12 Zähler auf dem Konto, aber ein Spiel weniger bestritten. Und in der Staffel D lagen mit dem VfL Rötgesbüttel und dem MTV Wasbüttel zwei Teams mit 12 Punkten gleichauf vorne, beide hatten aber erst vier ihrer sechs Spiele der Hinrunde bestritten, und ein direktes Duell hatte es noch nicht gegeben.

Schon diese Beispiele zeigen, dass es bei der Aufstiegsfrage keine „differenzierten Betrachtungsweisen“ hätte geben können, ohne weitere Diskussionen zu eröffnen und für weitere Ungerechtigkeiten zu sorgen – so sehr der Ärger der Parsauer oder des FC Schwülper auch nachvollziehbar ist. Es sind Einzelfälle.

Letztlich, das wurde beim Online-Austausch mit dem NFV-Kreis-Vorstand deutlich, war die Wertung der Saison für die meisten Vereinsvertreter angesichts der anhaltend kritischen Pandemie-Lage zweitrangig. Vielmehr wünschen sich Trainer und Spieler erst mal eine Perspektive, wann und wie sie überhaupt wieder auf den Platz zurückzukehren und das Mannschaftstraining aufnehmen können.


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