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Uns trennt die Barrikade: Unsere Kolumnistin Mia Anna Elisabeth Timmer macht sich Sorgen um das politische Schweigen in den Familien
Mia Anna Elisabeth Timmer Veröffentlicht am 20.02.2025
Ernste Sorgen macht sich unsere Volontärin Mia Anna Elisabeth um den Rechtsextremismus. Er schaufelt einen Graben zwischen „uns“ und „denen“ – in unserem Land, unserer Stadt und unseren Familien.
Foto: Privat
„Alerta, alerta, antifascista!“, brüllen wir geeint. Um meine Schultern eine Antifa-Flagge, in meinen Händen ein vor der Demo gekritzeltes Schild. Ich stehe in Wesendorf, dicht gedrängt zwischen Menschenmasse und Barrikade. Immer wieder marschieren Gäste einer teils gesichert rechtsextremen Partei an uns vorbei. Beleidigungen bleiben nicht aus, manche haben Schilder bei sich und andere filmen sich an der Barrikade, als wären wir Affen im Zoo. Aber scheiß auf die Faschos.
Der Parteivorsitzende wollte heute in meinem Heimatdorf mit Hass und Hetze Werbung machen für Rassismus, Chauvinismus und Sexismus. Jubel bricht unter den etwa 700 demonstrierenden Menschen aus, als Martin Rausch vom Bündnis für Demokratie ins Mikro ruft: „Er kommt nicht!“ Aber darum soll‘s nicht gehen. Nicht um den Bundestag oder Nazis.
„Nur die Angst verbindet“, hörte ich in einem Gespräch über die Proteste in Hamburg, Berlin, Wesendorf. Das ist Quatsch. Wir haben keine Angst – jedenfalls nicht vor den gewählten Rechtsextremen. Was sollen sie machen? Mich misgendern?
Angst machen mir nicht die Nazis im Bundestag, sondern ihre Wählerinnen und Wähler. Ist man selbst Nazi, nur weil man Nazis wählt? Ich habe Angst um Familie und Freunde. Werde ich mich je mit ihnen versöhnen? Ich demonstriere ja schließlich nicht gegen ein unrechtes Regime, sondern auch gegen meine Engsten.
Treffen mit den Liebsten sind kaum Demo-Kontrastprogramm. In vielen Familien gibt‘s keine Einigkeit, die Demokratiefeinde sitzen mit am Küchentisch und fressen Torte. Stille zieht durch den Raum, bis jemand sie bricht.
„Wie war das Wochenende?“
„Demokratisch.“
Meine passiv-aggressive Antwort begeistert niemanden. Darin versteckt sich eine harte Unterstellung, zu der ich stehe.Ich kann niemanden mehr überzeugen. Schließlich haben alle ihre Argumente auf den Tisch gelegt – ob sie nun der Wahrheit entsprechen oder auch nicht.
Wie hole ich meine Lieben und zugleich politisch Verlorenen wieder zurück? Das so ersehnte Parteiverbot wird herzlich wenig bringen. Schließlich ist dann nur das Label weg; das Gedankengut bleibt.
Die Gesellschaft wird rechter, Extremismus akzeptierter. Ist den Wählerinnen und Wählern überhaupt bewusst, dass sie Teil einer gefährlichen Neuauflage werden? Wann wurden die 30er wieder trendy?
Angst machen mir nicht die Nazis im Bundestag – es sei denn, sie regieren mal wieder unser Land. Angst machen mir meine Liebsten, mit denen ich vielleicht niemals das Schweigen brechen kann.