Kopfüber
Über Zoo und Moral: Unser Kolumnist Malte Schönfeld stellt fest, dass ein gerechtes Leben oft teuer ist
Malte Schönfeld Veröffentlicht am 08.12.2024Spitzenräuber wie Nilkrokodile im Okavangodelta, der heilige Quetzal im Wolkenwald von Guatemala, die stille Scheue eines Anoa, der kleinste Büffel unseres Planeten – von Netflix bis Disney+ haben mir die Streamingdienste regelmäßig Samstage und Sonntage gerettet. Die faszinierendsten Erscheinungen dieser Welt, wandelnde Wunder der Flora und Fauna, die einen ins Staunen versetzen, kann man in den abteuerreichsten Minuten ihres Lebens sehen. Auf der Jagd, bei der Geburt, im Sterben. Doch vor allem: Sie sind so weit weg.
Sicherlich, im Landkreis Gifhorn lassen sich auch seltene Tiere entdecken. Der Eisvogel, die Kreuzotter. Wie ein gewiefter Pokémon-Trainer müsste man sich auf die Lauer legen und ihre Spots belagern, um sie vor die Linse zu bekommen. Im Vergleich wirkt jedoch der exotische Rest der Tierwelt, in dem unglaubliche Wesen mit Hörnern und Streifen und fiesen Klauen für Gefahr und Bewunderung sorgen, anziehend und magisch.
Wenn man nicht gerade das dicke Bündel Geld und die lebensmüde Dreistigkeit besitzt, sich eine messerscharfe Raubkatze im Stübchen zu halten, bleibt nur noch der Zoo, in dem man diese Tiere erleben kann. Und der hat in den vergangenen Jahren immer mehr Ablehnung erfahren.
Als meine Schwester und ich uns darauf einigen, dass wir mit ihrer Tochter in den Zoo gehen könnten, spielt das in meinem inneren Dialog alles eine Rolle. Kann man nicht mal mehr in Ruhe in den Zoo gehen, wüte ich in Gedanken gegen die Bedenken meiner selbst, den Koala bestaunen und die Quallen fliegen sehen? Gerade die Qualle, glibberig und kein Gehirn, der ist das doch einerlei, oder? Und der Koala pennt ja eh die ganze Zeit in seiner Astgabel.
Es ist schwierig, ein moralisch einwandfreies Leben zu führen. Ich fliege kaum bis gar nicht, ich habe kein Auto, das Straßen blockiert. Eine Zeit lang habe ich kein Fleisch gegessen, obwohl das Verlangen so groß war. Weder steht in meinem übergroßen Badezimmer eine zweite Badewanne, in der ich mühsam einen Bitcoin mine, noch suchtshoppe ich mir alle zwei Wochen einen neuen Kleiderschrank. Wenn mich jemand fragt, ob ich beim Umzug helfe, sage ich schweren Herzens Ja. Herrje, ich habe schon für Clowns in Krankenhäusern gespendet, nur weil ich in der Fußgängerzone zu spät den Stand verlassen habe.
Irgendwann kann man diese Anstrengung nicht mehr aufrechterhalten. Ein Haufen Milliardäre lebt in Saus und Braus, während sie einen ökologischen Fußabdruck von ganzen Ländern haben – aber ich mache mir Vorwürfe, weil mein Paket mit Winterstiefeln aus Schweden kommt. Sogar Freunden, die mehrmals im Jahr reisen und komischerweise noch keine Flugscham entwickelt haben, den Zoo aber als Verbrechen an der Natur begreifen, muss man Rede und Antwort stehen.
Ich würde auch lieber in Vietnam, Namibia und Brasilien die Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum erleben und im Pazifik nach Korallen tauchen. Doch dazu fehlte immer auch das Geld. Und das Cash, die Aktie und die Erbschaft sind nun mal das, was in unserer Gesellschaft die Möglichmacher sind. Wer viel Geld hat, lässt die Rendite für sich arbeiten. Wer viel Geld hat, kann viel sparen und reisen. Und ich gehe eben einmal in den Zoo.