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Über Dreadlocks - KURT-Kolumnist Malte Schönfeld denkt über Entscheidungen von Fridays For Future und die Identitätspolitik nach

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 07.05.2022
Über Dreadlocks - KURT-Kolumnist Malte Schönfeld denkt über Entscheidungen von Fridays For Future und die Identitätspolitik nach

Weiße Menschen, die Dreadlocks tragen: An der Entscheidung der Hannoveraner Fridays-For-Future-Gruppe, die Künstlerin Ronja Maltzahn auszuladen, entflammte eine öffentliche Debatte.

Foto: Luis Villasmil/Unsplash

Freitagabend, Feierabend. Am Schlosssee möchte ich zwei Freunde treffen. Vom Schotterweg trete ich ins Gras, um auf die Landzunge überzusetzen. Ein paar Fahrräder liegen im Rasen, Spezi-Flaschen, selbstgebackene Muffins: Das kann nur die Fridays-For-Future-Gruppe sein. Heute war globaler Klimastreik, also lasse ich mich nieder und frage einfach mal: Was war denn da in Hannover los?

Die Hannoveraner Ortsgruppe hat es im Twitter-Eiltempo geschafft, talk of the town zu werden. Doch was war geschehen? Für den Klimastreik lud man Ronja Maltzahn erst ein, dann wieder krachend aus. Als man die Einladung verschickte, hatte man wohl nicht auf das Instagram-Profil der weißen Musikerin aus Bad Pyrmont geschaut. Denn sie trägt Dreadlocks. Die waren jetzt der Grund, weshalb es doch keinen Auftritt Maltzahns geben sollte, durfte. Fridays For Future Hannover warf der Musikerin vor, ihre Frisur sei kulturelle Aneignung. Aneignung deswegen, „da wir als weiße Menschen uns aufgrund unserer Privilegien nicht mit der Geschichte oder dem kollektiven Trauma der Unterdrückung auseinandersetzen müssen“. Das Statement ist noch länger, das aber der Kern des Ganzen. Locks for blacks, könnte man sagen, und eben auch der Safe Space, der mit diesem Bewusstsein einhergeht.

Das Empörungspotential ist groß bei diesem Thema. Mit den Dreadlocks ist es da wie mit dem Blackfacing: Der weiße Stefan kann sich nach dem Karneval das vollgekotzte Unterhemd ausziehen und das Gag-Gesicht abschminken. Schwarze Personen eben nicht. Der Alltagsrassismus bleibt auch nach dem Karneval. Da schlägt das Leben härter zu als Will Smith. Und so bleiben auch die Dreadlocks auf dem Kopf, als Teil der schwarzen Geschichte. Kein modisches Chichi, kein Friseurtermin.

Seit Jahren wird der Vorwurf der kulturellen Aneignung aus einem identitätspolitischen Lager als effiziente Waffe in den Kampf gegen Rassismus und Queer-Feindlichkeit ins Feld geführt, nicht als feiner Degen, sondern als Streitaxt. So wie Madonna sich später den Vorwurf gefallen lassen musste, 1990 im Musikvideo zu „Vogue“ Tanzstile der New Yorker Queer-Szene, also einer unterdrückten Subkultur, bestenfalls ohne Angabe des proklamierten Urheberrechts geklaut zu haben.

Identitätspolitik, Awareness, Cancel Culture, Gender-Studies – es geht vor allem um US-amerikanische Analyse-Tools und Phänomene. Man kann in diesen Debatten schnell den Überblick verlieren. Und das ist gut so! Schließlich überdenken wir so Dominanzkulturen, strukturelle Undurchlässigkeiten und am Ende unsere eigene Rolle in der Gesellschaft.

Ronja Maltzahn auszuladen war dennoch eine Vorführung, eine Beleidigung, eine Demütigung. Dass Fridays For Future, der neue weiße Gatekeeper, ihr vorschlug, sie könne ja auftreten, wenn sie doch ihre Dreads abschneiden würde, kann man als falschen Ehrgeiz oder auch als antifeministisch lesen. Später ruderte man hektisch zurück, blieb im Ton aber giftig.

Die mutmaßlich linksliberale Jugend, zu der man wohl auch Fridays For Future zählen darf, steht vor einem grandiosen Problem: Wie möchte man die Alten und ihre Ideale stürzen, um eine fortschrittliche Gesellschaft zu orchestrieren, wenn die Argumentationsketten zu Ausschluss und Ausgrenzung führen? Und noch viel ärger: Sind das nicht die Mittel der Ethnopluralisten, der Chauvinisten, sprich: der gar nicht mal so neuen Rechten?

Die arrogante Hochnäsigkeit der Jugend gefällt mir, man muss alten weißen Typen wie mir zeigen, wo der Frosch die Locken hat. Schade nur, dass sich die wahren Feinde der liberalen Demokratie darüber totlachen.


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