Kopfüber-Kolumne

Über das Leben in der Pandemie III

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 15.07.2020
Über das Leben in der Pandemie III

Erstmal einen schwarzen Kaffee! KURT-Mitarbeiter Malte Schönfeld schreibt in seinem Tagebuch über das Leben in der Pandemie.

Foto: Pixabay

  1. Juni: Facetime eine Stunde mit meinem besten Freund FMB, der heute Geburtstag hat. Das Gespräch wertet den Tag ungemein auf, ohne dass ich weiß, woran das liegen könnte. Manche Dinge sind einfach so.

  2. Juni: Treffen mit meinem alten Studienfreund Ferdinand Rösbacher, den ich bei einem Auslandssemester an der London School of Economics and Political Science kennenlernen durfte. Rösbacher trägt einen engen Leinenanzug von Club of Gents mit absteigendem Revers und Kragensteg mit Lederausputz und trinkt einen jahrgangslosen Cava Brut Reserva Heredad, ich trage das dezente Joop-Modell Herby-Blayr (gefertigt in der portugiesischen Weberei Paulo Oliveira) und dazu eine Pantobrille aus Fensterglas. Rösbacher fragt mich, ob er einen Großteil seiner Kleinstinvestitionen abstoßen sollte, und ich bestelle die dritte Flasche kalten Riesling und antworte mit dem alten Börsen-Spruch: „Sell in May and go away, but remember to come back in September“, und wir lachen beide. Ich schätze unsere selten gewordenen Treffen wirklich sehr.

  3. Juni: Wache auf mit einem Mordskater. Mache mir einen starken schwarzen Kaffee, genehmige mir eine eiskalte Dusche und nutze eine speziell auf meinen Hauttyp angefertigte Peeling-Creme, schlucke eine 400 Milligramm Ibuprofen, und als die Kopfschmerzen trotzdem drohen, meine Stirn von innen aufzubrechen, setze ich mich auf den sonnigen Balkon und döse nur mit einer Badehose bekleidet vor mich hin. Abends eine Doku mit dem schönen Titel „Hitlers Meereskämpfer – Kampfschwimmer und Torpedomänner im Zweiten Weltkrieg“. Tiefer, endloser Schlaf.

  4. Juni: Verbringe den halben Tag damit, die Blätter meines Ficus Benjamini zu entstauben.

  5. Juni: Sitze im Zug und treffe ein befreundetes Pärchen. Sie, nickt viel und ist besonders freundlich. Er, trägt seine Mund-Nasen-Maske unter dem Kinn. Einigermaßen peinlich. Frage mich, was das zu bedeuten hat und ob ich ihn darauf aufmerksam machen sollte. Lasse es bleiben. Lasse ist übrigens ein schöner Vorname, das nur am Rande.

  6. Juni: Feststellung: Je seltener ich nach Gifhorn komme, desto mehr verändert sich diese Stadt meiner Kindheit. Wenn man immer an ein und demselben Ort bleibt, bekommt man die Bewegung gar nicht mit. So wie Eltern es nicht merken, wie schnell ihr Neugeborenes in die Höhe schießt. Erlaube mir für einen kurzen Moment väterliche Gefühle, die ich aber wieder schnell beiseite schiebe.

  7. Juni: Muss mit mittelgroßer Irritation festhalten, dass viele meiner Freunde in der Corona-Zeit sehr hippy geworden sind. Stand-Up-Paddling, Kanufahren, Bouldern. Ich weiß nicht warum, aber ein tiefes Gefühl der Fremdscham überkommt mich. Später am Abend sagt dann ein guter Freund mit schwerer Zunge: „Das Bier noch...“ Ein Satz aus der Kategorie: Braucht kein Verb.

  8. Juni: Träume davon, bei einem Flugzeugabsturz in Ägypten umzukommen.

  9. Juni: Zwei Freunde werden bei einem nächtlichen Zusammentreffen von der Polizei schwer angegangen. Einer bekommt gefesselt einen Tritt in den Rücken, der andere zwei Schläge ins Gesicht, die eine Platzwunde zur Folge haben. Später werden die Polizisten in den Bericht schreiben, die Verletzungen wären bereits vor ihrem Eintreffen dagewesen. Höre mir daraufhin den Song „CopKKKilla“ von Haftbefehl an. Inhaltlich ein bisschen weit, aber ich weiß, was gemeint ist.

  10. Juni: Brunch in der WG. Es gibt frischgepressten Orangensaft, Sonntagsbrötchen, Weltmeister-Brötchen, reichlich Aufstrich, Bio-Lachs, Kaviar, geschnittene Zucchini, Spitzpaprika und Gurke, Rührei mit schwarzem Pfeffer und Lauchzwiebelringen. Jemand Eingeladenes schwadroniert über seine Karriere als Techno-DJ, er meint, er habe auch schon zwei Ideen für EP-Namen: „Sekt und Senil“ oder „Nüchtern gereizt“. Frage: Wie soll man damit umgehen?

  11. Juni: Übernachte bei einer Freundin. Wache morgens auf, ein Fenster steht auf, es riecht nach Neuanfang und Petrichor. Es muss über Nacht geregnet haben. Sie blättert in Michail Bulgakows „Der Meister und Margarita“ und liest mir vor. Ein Bein liegt frei und kalt auf dem Laken, ich schlafe noch einmal ein.


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