Kopfüber-Kolumne

Über das Leben in der Pandemie II

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 15.06.2020
Über das Leben in der Pandemie II

Ein ausgewogenes Frühstück – Grund genug, um gut gelaunt zu sein. KURT-Mitarbeiter Malte Schönfeld schreibt in der Kopfüber-Kolumne über das Leben in der Pandemie.

Foto: Pixabay

  1. Mai: Ein Monat lang Corona-Tagebuch. So viele zusammenhängende Sätze habe ich seit Wochen nicht mehr geschrieben. Ob das hier als unerlässliches Dokument des Zeitgeschehens in die Geschichte eingehen wird? Ich wage es zu bezweifeln. Dafür passiert einfach zu wenig, auch in einem selbst. Erkenntnis: Im Jahr 2020 gibt es keinen Schützengraben-Report mehr. Niemand wird in ferner Zukunft diese Heftseite in der Hand wiegen und sagen: Mensch, so habe ich das ja noch gar nicht gesehen. Blöd nur, wenn genau das der Anspruch sein soll.

  2. Mai: Morgens früh auf, ab unter die Dusche, ausgewogenes Frühstück aus Rührei mit Pfeffer, Mehrkornbrot und Camembert und süßem Senf, dazu Gurkenschnitte und Tomatenviertel. Im Grunde gut gelaunt. Sollte man nicht hinterfragen, nur zu schätzen wissen. Wann hat man das schon mal? Erinnere ein Interview mit dem jüngst verstorbenen Volksschauspieler Jan Fedder, in dem er sagte, ab einem bestimmten Zeitpunkt im Leben sei er „sinnlos glücklich“ gewesen. Eine seltene Errungenschaft.

  3. Mai: Vatertag an einem kleinen Bach, draußen im Grünen. Die Sonne ballert unermüdlich, es gibt Sekt, Bier und andere Leckereien. Bis auf eine fremde Gruppe halbstarker Dorfdeppen kein Mensch weit und breit. Plötzlich brüllt einer von denen über den Fluss zu unserer Freundin: „Ey, jetzt zeig doch mal Deine Titten!“ Sie verliert die Fassung, ich meine Flasche Wein. Beides sehr schade.

  4. Mai:. Gucken in einer Määädchenrunde das Finale von „Germany‘s Next Top Model“. Rotwein, Pommes mit Sauce hollandaise, gefüllte Zucchini. Macht es nicht besser.

  5. Mai: Geburtstag meiner Mama. Wir fahren nach Hann. Münden, wo wir die schöne Altstadt besuchen. Mich durchfährt beim Anblick der bewaldeten Gebirgszüge eine Friedfertigkeit. Sitze abends wieder zu Hause zwischen verdreckten Häuserfassaden und abgestorbenen Balkonpflanzen und höre der Dunkelheit zu. Für einen kurzen Moment denke ich, dass sie mit mir spricht. Traumloser Schlaf in der Nacht.

  6. Mai: Ereignisloser Tag, das ziellose Wandeln durch Räume. Vier große Becher Kaffee am Abend, lange wach, lange helle Gedanken.

  7. Mai: George Floyd wird ermordet. Es dauert 8 Minuten und 24 Sekunden.

  8. Mai: Verbringe quasi den gesamten Tag mit meinen Mitbewohnern in der Küche. Es passiert wirklich nichts. Manchmal sagt man sich das ganz leichtsinnig, diesmal stimmt es wirk-
    lich. Es gibt Tage, die siechen dahin, da braucht man sich nicht mal etwas vorzumachen. Beim Zähneputzen sagt einer meiner Mitbewohner mit schaumigem Mund: „Ich habe gar keinen Bock auf morgen, der Tag wird genauso langweilig wie heute.“

  9. Mai: Wir entscheiden uns dazu, diesmal nichts dem Zufall zu überlassen und putzen die Wohnung bis in die letzte Ritze. Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Sauberkeit ist Ordnung ist Befriedigung. Als wir den Keller entrümpeln und zum Sperrmüll vorn auf die Straße stellen, fragt mich ein Nachbar, ob wir ausziehen würden. „Nein, bloß klar Schiff machen“, sage ich. Er guckt etwas enttäuscht und drückt dann drei leere Familienpizza-Kartons in die überfüllte Papiertonne.

  10. Mai: Treffe vorm Rewe den Stammschnorrersäufer. Es ist 10 Uhr, und das ist ihm augenscheinlich sehr egal, was ich beneidenswert finde. Heute dürfe er feiern, stellt er klar, denn er habe die Gerichtsanhörung wegen Körperverletzung und Beamtenbeleidigung gehabt. Urteil: doch nich in Bau. Ich gratuliere.

  11. Mai: Sitzen zu siebt (zwei Haushalte) in den leeren Büroräumen einer Freundin. Sie plündert den Kühlschrank ihres Chefs. Eine Fanta, eine Sprite, ein schales Astra Rotlicht, ein Weißbier (abgelaufen 2016) und ein Veuve Clicquot, Champagner. Öffnen die Flasche und googeln dann erst den Preis. Fataler Fehler, Orientierungswert 50 Euro. In Zeiten von Corona wahrlich kein Pappenstiel. Einer anderen Freundin, die jüngst ihren Job verloren hat, wird schlecht.

  12. Mai: Wieder ein Monat rum. Wie schnell das geht. Während sich in den Augen eines Kindes die Zeit noch dehnt und die Endlichkeit des Lebens tatsächlich unendlich scheint, wird irgendwann alles nur noch kurz, knapp, gestaucht. Dazu die Vergesslichkeit, der übersäuerte Magen, die wackligen Knie. Abends ziehen junge Schwalben hoch über die Nachbarhäuser, der Himmel ist Purpur und wie abgebrannt. Sieht so auch das Ende der Zeit aus, das Ende aller Zeiten? Schön wäre das, denke ich mir im Stillen.


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