Letzte Ruhe

Sie versucht, die Leere der Sprachlosigkeit zu füllen - Die Gifhornerin Ingetraut Steffenhagen arbeitet als Trauerrednerin

Marieke Eichner Veröffentlicht am 01.07.2022
Sie versucht, die Leere der Sprachlosigkeit zu füllen - Die Gifhornerin Ingetraut Steffenhagen arbeitet als Trauerrednerin

Ingetraut Steffenhagen ist Trauerrednerin. In ihren Reden sollen die verstorbenen Personen noch ein mal lebendig werden.

Foto: Michael Uhmeyer

Der Tod eines geliebten Menschen ist zweifelsohne eine der traurigsten Momente im Leben. Die Gefühle in einer solchen Situation in Worte zu fassen, bedarf einer besonderen Kunstfertigkeit. Trauerrednerin Ingetraut Steffenhagen stellt sich dieser Herausforderung. Sie berichtet von ihrem Schreibprozess, wie sie in Trauergesprächen vorgeht und welche eindrucksvolle Erfahrung sie dazu veranlasste, dem Trauerschmerz in Worten Ausdruck verleihen zu wollen.

Was will ich machen, wenn ich im Ruhestand bin? Diese Frage stellte sich die heute 64-jährige Ingetraut Steffenhagen vor ein paar Jahren. „Ich arbeite in einem Beruf mit viel Kontakt zu Menschen“, erzählt Ingetraut, die hauptberuflich für die Un-ternehmenskommunikation der Dachstiftung Diakonie tätig ist. Das Schreiben von Trauerreden ist seit 2019 ihr Nebenberuf.

„Ich war auf der Beerdigung des Kindes von Freunden von mir – und die Rede war einfach nicht gut“, berichtet Ingetraut von ihrem Schlüsselerlebnis. „Sie beschrieb nicht den Menschen, den ich kennengelernt habe.“ Da habe sie sich gedacht: Das könne man besser machen. „Verstorbene und Angehörige haben das verdient“, findet Ingetraut. „Die Trauerfeier ist ein wichtiger Meilenstein im Trauerprozess. Deswegen muss man sich mit der Rede besonders viel Mühe geben.“

Ingetrauts Ziel ist, dass die Hinterbliebenen nach der Trauerzeremonie nach vorne schauen können. „All das Schreckliche besprechen wir, mir ist aber auch wichtig, einen Blick nach vorne zu werfen.“ Mit jede ihrer Reden wolle sie erreichen, „dass Verstorbene der Trauergemeinde noch ein mal lebendig werden, dass sie den Menschen noch ein mal vor sich sehen, wie er war“.

Und darum legt Ingetraut hohen Wert auf das Trauergespräch. „Das dauert schon mal drei Stunden“, erzählt sie – aber diese Zeit nimmt sich Ingetraut. Manche bereiten sich akribisch vor: ein Lebenslauf liegt bereits auf dem Tisch, ebenso Fotos, und die Lieder für die Zeremonie sind auch schon ausgewählt. „Andere sind vollkommen gefangen in ihrer Trauer. Dann zeige ich einen Weg auf, sich zu öffnen.“ Gegebenenfalls gibt es noch ein weiteres Gespräch. In jedem Fall fragt die Rednerin: „Was ist Ihnen wichtig? Was war dem Menschen wichtig?“ Das Gespräch bestehe zum Großteil aus Fragen. „Ich erfrage den Lebenslauf, frage nach Beruf, Hobbys, der Familie.“ Am Schluss stehe stets die Frage: „Was ist Ihnen noch wichtig, dass ich sage?“

Viele Menschen seien sprachlos in einer solchen Situation. „Diese Leere versuche ich zu füllen.“ Jede Rede sei komplett individuell. „Es geht um den Lebenslauf, Persönliches. Ich versuche mich sprachlich und inhaltlich auf die Familie einzustellen.“ Ihr Schreibprozess beginne, wenn sie nach einem Trauergespräch einen Spaziergang mit ihrem Hund mache. „Da lasse ich alles sacken. Dann setze ich mich an den Laptop und lege die Struktur fest, erarbeite den roten Faden.“ Wie jeder Text habe auch ihre Rede drei Teile: Einstieg, Mittelteil und Schluss – und dabei sei ihr besonders wichtig, „am Ende trotz der Trauer einen positiven Blick in die Zukunft zu werfen“.

Eine Trauerrede zu schreiben, könne schon mal fünf Stunden dauern. Nach dem Festlegen der Struktur, schreibt Ingetraut zunächst eine Rohfassung. Diese ruht dann für eine Nacht. „Dann bewege ich noch das eine oder andere im Kopf hin und her, feile den Text aus.“ Und am Ende geht nach einer weiteren Ruhephase ein letzter Blick auf das Ergebnis.

Oft begleite sie die Trauergemeinde bei der Beerdigung noch zum Grab, um ein paar abschließende Worte zu sprechen. Und auch außerhalb der Trauerzeremonie unterstützt Ingetraut die Angehörigen in ihrem Trauerprozess. „Die Trauerrede ist ein Stück weit auch Lebenshilfe“, ist sie überzeugt. Viele Angehörige wissen zudem nicht, was die nächsten Schritte nach dem Tod seien. „Da habe ich eine ganze Liste mit Adressen und versuche auch da, weiterzuhelfen.“

Manchmal gebe es schon Situationen, die seien auch sehr belastend, berichtet Ingetraut. „Zum Beispiel bei einem Suizid oder wenn ein Kind verstirbt.“ Darum besucht sie Seminare, bei denen sich die Teilnehmenden Feedback geben. „Ich glaube, ich bin eine sehr gefestigte, resiliente Person. Aber auch ich hole mir Rat.“ Manchmal müsse man aber auch einfach nur im Trauergespräch sitzen und aushalten, dass die ganze Familie fürchterlich weine. „So hart es ist: Der Tod gehört zum Leben dazu. Und wenn ein geliebter Mensch verstirbt, geht es für uns trotzdem weiter.“ Das bedeute nicht, gleich zur Tagesordnung zurückkehren zu müssen. „Ganz im Gegenteil“, betont die Trauerrednerin. „Es braucht die Trauerphasen. Manchmal muss man einfach nur aushalten und sich sagen: Das ist alles normal und gehört zur Bewältigung dazu.“


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