Trauern & Lieben

Ökumenischer Gottesdienst für Eltern verstorbener Kinder in Gifhorn – Martin Wrasmann berichtet als betroffener Vater vom eigenen Erleben

Martin Wrasmann Veröffentlicht am 22.11.2020
Ökumenischer Gottesdienst für Eltern verstorbener Kinder in Gifhorn – Martin Wrasmann berichtet als betroffener Vater vom eigenen Erleben

Martin Wrasmann hat 2006 seine Tochter verloren – sie starb mit 18 Jahren. Gemeinsam mit weiteren Engagierten organisiert er Jahr für Jahr den ökumenischen Gottesdienst für Eltern verstorbener Kinder in Gifhorn.

Foto: Çağla Canıdar

Sprachlos, herzlos, namenlos – schier sprachlos macht es einen immer, wenn ein Kind gestorben ist. Es ist so schlimm, dafür gibt es keine Worte, schon gar keine, die Trost geben können, wirklichen Trost. Alles, was man sagen könnte, klingt eher hohl oder nach Vertröstung – Vertröstung ist aber kein Trost. Ist das der Grund, warum es so schwer ist, damit umzugehen? Oder sollten trauernde Eltern sich sagen: Trauer ist gelebte Liebe. Am zweiten Sonntag im Dezember jedes Jahres gedenken wir weltweit aller Kinder, die gestorben sind. Wir haben in Gifhorn das Gedenken seit vielen Jahren mit einem ökumenischen Gottesdienst begangen. Jahr für Jahr wird die Anzahl derer größer, die dazu kommen, um sich trösten zu lassen, sich verbunden zu wissen, mit so vielen, die das gleiche Schicksal tragen. Als Seelsorger und betroffener Vater bin ich froh, dass wir mindestens einmal im Jahr diesen Ort haben.

Mitten im Leben haben Eltern ihr Kind verloren, unsere Tochter ist 2006 mit 18 Jahren gestorben. Sicher, viele haben schon liebe Menschen verloren, den Partner, die Eltern, Großeltern oder Geschwister, aber nun das Kind. Sei es durch einen Unfall, Krankheit, Suizid, gestorben im Mutterleib oder wie jetzt, wo so viele Kinder sterben durch unsinnige Kriege. Man versteht die Welt nicht mehr. Doch die Welt dreht sich einfach weiter, so als wäre nichts geschehen.

Für einige Eltern, die ihr einziges Kind verloren haben, stirbt auch die Zukunft. Der Tod eines Kindes, egal, wie alt es war, ist die schmerzlichste Erfahrung, die Eltern erleben. Diese Trauer braucht ganz viele Jahre, das ist meine Erfahrung. Ich kann meine Tochter nicht loslassen, sie wird mich mein Leben lang begleiten, denn sie bleibt ein Teil von mir. Doch wie geht das, wie kann man diese Spannung der tiefen Trauer und des im Herzen tragen aushalten und gestalten?

Da braucht es Menschen, die den Schmerz und das Leid verstehen, die es aushalten, mit uns reden, weinen und über unser Kind erzählen lassen. Menschen, die zuhören, verstehen und behutsam den langen Weg mit uns zurück ins Leben gehen. Trauernde Eltern treffen sich in der Selbsthilfegruppe „Verwaiste Eltern“, weil sie sich dort aufgehoben und verstanden fühlen.

Der Verlust hat mein Leben, das Leben meiner Familie verändert, ganz langsam in Millimeterschritten, die oft gar nicht bemerkt werden. Es gibt Tage, an denen ich denke, dass es mir langsam wieder besser geht, doch im nächsten Monat bin ich wieder ganz tief in meiner Trauer versunken. Ich suche langsam und mühsam meinen Weg wieder hinein ins Leben. Allmählich kann ich mich wieder freuen an der Natur, an Reisen und Musik, besuche Orte, wo ich mit meinem Kind Freude erlebt habe, wenn es auch schmerzt. Denn Trauer tut weh, muss wehtun, damit das Leben weitergehen kann.

Ich vermisse meine Tochter jeden Tag. Meine Fantasie malt sich aus: Was wäre wenn? Was wäre, wenn sie noch am Leben wäre, wie würde ihr Leben, mein Leben dann aussehen?
Der Gedanke macht traurig und gleichzeitig ist so viel Liebe in meinem Herzen, jeden Tag – jeden Tag! Denn Trauern heißt lieben! Und es tut immer noch so weh!

Trauern heißt lieben

„Trauern heißt lieben“ – ein wohlklingender Satz. Wer trauert, vermisst. Wer trauert, leidet. Wer trauert, ist verwundet. Wer um sein Kind trauert, dem ist für immer etwas aus dem Gemüt und aus der Seele gerissen. Wer das einzige Kind verloren hat, hat Zukunft verloren. Der rebellische Widerstand will anfangs nicht wahrhaben, was geschehen ist.

Trauern heißt dann, dem verstorbenen Kind doch noch und immer wieder einen Platz im Leben und im Herzen einzuräumen, es in Erinnerung zu halten. All die Aufmerksamkeit und die Gedanken und die Liebe richten sich auf das verstorbene Kind, auf die Kleidung, die es trug, die Sachen, die es in seinen Händen hielt. All die Aufmerksamkeit und die Gedanken und die Liebe richten sich in den fernen und doch so nahen Himmel hinein.

Wenn Du Dich eines Tages der Trauer weniger hingibst – würdest Du Deiner Seele Schaden zufügen? Oder sie eher wieder erfreuen? Denn die Seele lebt ja davon, woran sie sich freut. Wenn Du dem Kind im Gespräch, im Gebet, sagen kannst: „Sieh her, das habe ich heute Schönes erlebt! Das habe ich geschafft, das hat mir heute gefallen und gut getan“, ist das nicht schöner als zu fragen und zu klagen: „Warum bist Du gegangen? Sieh meine Tränen und meine Trauer.“?

In der Trauer lieben. Ja. Immer noch das verlorene Kind liebhaben. In der Trauer lieben. Immer wieder versuchen, das Leben zu lieben, das doch nicht so alltäglich und selbstverständlich ist. Und dabei zu erfahren: Mein Kind – es bleibt immer ein Teil von mir.

Ökumenischer Gottesdienst zum Gedenken verstorbener Kinder:
Sonntag, 13. Dezember, 17 Uhr
St. Nicolai, Marktplatz, Gifhorn
Anmeldung nicht erforderlich


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