Stolpersteine

Mutig widersprach er der Unfruchtbarmachung: Anton Szymalla aus der Arbeiterkolonie Kästorf reichte Beschwerde ein – vergeblich

Steffen Meyer Veröffentlicht am 13.03.2023
Mutig widersprach er der Unfruchtbarmachung: Anton Szymalla aus der Arbeiterkolonie Kästorf reichte Beschwerde ein – vergeblich

Ein Stolperstein auf dem Gelände der Dachstiftung Diakonie in Kästorf erinnert an Anton Szymalla.

Foto: Mel Rangel

Die Handlungen der Nationalsozialisten peinigten Millionen Menschen. Allein in unserem Gifhorn ist die Zahl der Opfer mindestens dreistellig. Stolpersteine erinnern an ihre Schicksale. Ihre Biographien stellt KURT in einer Serie vor. Diesmal schildert Historiker Dr. Steffen Meyer in einem Gastbeitrag die Geschichte von Anton Szymalla. Wenig ist über den mutigen Mann bekannt, der auf der Suche nach Arbeit und Unterkunft in die Kästorfer Anstalten kam. Dem Ort, an dem seine Unfruchtbarmachung angeordnet wurde. Seine Beschwerde dagegen wurde abgewiesen.

Über den am 7. Januar 1889 in Turawa (Oberschlesien) geborenen Anton Szymalla ist wenig bekannt. Er kam wahrscheinlich im August 1925 von Lobstädt, Kreis Leipzig als Arbeiter nach Hannover, wo er drei Jahre später heiratete. Am 29. April 1930 wurde Szymalla wegen Trunksucht entmündigt, die Ehe im September 1932 geschieden. Zwei Monate später heiratete Szymalla erneut, im August 1933 kam ein Sohn zur Welt. Was in den folgenden eineinhalb Jahren passierte, ist unklar. Anton Szymalla hatte wohl seine Familie verlassen und begab sich auf Wanderschaft. Auf der Suche nach Arbeit und Unterkunft meldete er sich am 13. Februar 1935 in der Arbeiterkolonie Kästorf an. Zwei Monate später starb seine Frau.

Alltag in der Arbeiterkolonie Kästorf, wo Anton Szymalla lebte und sein Sterilisationsgutachten erstellt wurde.

Foto: Sammlung Archiv der Dachstiftung Diakonie

In Kästorf wurde Anton Szymalla im Mai 1935 von Landesmedizinalrat Dr. Walter Gerson psychiatrisch untersucht. Gerson beschrieb ihn als „leicht erregbar und aufbrausend“, diagnostizierte schweren Alkoholismus und erstellte ein Sterilisationsgutachten. Nach Paragraph 1 des am 14. Juli 1933 erlassenen Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses sollten vermeintlich „Erbkranke“ durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht werden, wenn zu erwarten war, dass ihre Nachkommen an schweren Erbschäden leiden würden. Die Diagnose „schwerer Alkoholismus“ war im Sinne des Gesetzes anzeigepflichtig, obwohl es keinen Beweis für die Vererbbarkeit von Alkoholismus gab.

Nach der Untersuchung reichte Anstaltsvorsteher Martin Müller das Sterilisationsgutachten zusammen mit einer Anzeige beim Gifhorner Gesundheitsamt ein. Dessen Leiter, Amtsarzt Dr. Bernhard Franke, leitete die Unterlagen ohne weitere Prüfung an das Erbgesundheitsgericht Hildesheim weiter, das am 19. Juni 1935 die Unfruchtbarmachung von Anton Szymalla beschloss. Zu der Entscheidung kam das Gericht ohne Anhörung von Zeugen in kürzester Zeit. In einer Sitzung, die von 11.30 bis 14.15 Uhr dauerte, beschloss das Gericht in allen 29 Fällen eine Unfruchtbarmachung. Neben Anton Szymalla waren noch zwei weitere Bewohner der Kästorfer Anstalten betroffen.

Offizielles Gutachten über Anton Szymallas Sterilisation.

Foto: Sammlung Archiv der Dachstiftung Diakonie

Nach Zustellung des Sterilisationsbeschlusses reagierte Anton Szymalla sofort. Er reichte schriftlich Beschwerde beim zuständigen Erbgesundheitsobergericht in Celle ein, was nur sehr wenige Betroffene der Kästorfer Anstalten taten. Das Erbgesundheitsobergericht Celle verhandelte den Fall am 30. Juli 1935 ohne Anton Szymalla anzuhören und lehnte seine Beschwerde im Eilverfahren ab. In der Begründung hieß es knapp: „Schwerer Alkoholismus ist zu Recht angenommen. Die Beschwerde irrt, wenn sie meint, dass nur Sittlichkeitsverbrechen und unverbesserliche Personen für dieses Gesetz in Frage kämen. Anscheinend verwechselt Szymalla die Unfruchtbarmachung mit der Entmannung, die hier nicht in Frage kommt. Beweisergebnis genügt vollauf, um Unfruchtbarmachung zu begründen.“

Damit war der Beschluss rechtskräftig und keine weitere Beschwerde möglich. Am 22. August 1935 wurde Anton Szymalla zwangssterilisiert, sehr wahrscheinlich im Marienstift Braunschweig oder im Allgemeinen Krankenhaus Celle.

Anton Szymalla blieb noch einige Monate in der Arbeiterkolonie Kästorf, die er am 12. Februar 1936 freiwillig verließ, um wieder nach Hannover zurückzukehren. Wie lange er sich dort aufhielt und womit er seinen Lebensunterhalt bestritt, ist nicht bekannt. Dokumente aus zwei Sachakten belegen allerdings mindestens einen weiteren Aufenthalt in Kästorf. Im Oktober des Jahres 1939 kam Anton Szymalla zurück in die Arbeiterkolonie, wo er auch im Januar 1940 noch lebte. Danach verliert sich seine Spur.

Dieser Text ist Teil der Broschüre „Stolpersteine in der Diakonie Kästorf“, kostenfrei erhältlich im Stadtarchiv, in der Stadtbücherei und bei der Diakonie in Kästorf.

Die Forschung zu Opfern des Nationalsozialismus in und aus Gifhorn geht weiter. Hinweise sammelt das Kulturbüro:
Tel. 05371-88226
kultur@stadt-gifhorn.de


Coole Leute gesucht – wir stellen ein!

Informiere Dich über Jobs in unserem Medienhaus! Wir sind auf der Suche nach tollen Menschen, die bei uns einsteigen möchten.

Mehr erfahren