Fairtrade-Town Gifhorn

Menschenrechte sind nicht verhandelbar: Arbeitsminister Hubertus Heil spricht im KURT-Interview über globale Fairness

Malte Schönfeld, Bastian Till Nowak Veröffentlicht am 18.03.2021
Menschenrechte sind nicht verhandelbar: Arbeitsminister Hubertus Heil spricht im KURT-Interview über globale Fairness

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil – zugleich Gifhorns Bundestagsabgeordneter – hat maßgeblich an der Entwicklung des neuen Lieferkettengesetzes mitgewirkt.

Foto: Dominik Butzmann/BMAS

Gifhorn schickt sich dieser Tage an, Fairtrade-Town zu werden. Dabei geht‘s nicht nur um Kaffee, Schokolade und Bananen – es geht um globale Gerechtigkeit, um faire Preise und faire Löhne, um Menschenrechte. Gleichzeitig hat Gifhorns Wahlkreisabgeordneter Hubertus Heil (48, SPD), zugleich Arbeits- und Sozialminister in der Bundesregierung, in der Koalition ein neues Lieferkettengesetz ausgehandelt, das bald in Kraft treten soll. KURT-Chefredakteur Bastian Till Nowak und KURT-Mitarbeiter Malte Schönfeld sprachen mit ihm in einem 20-minütigen Interview per Videokonferenz über das, was das neue Gesetz bringen soll – und wo noch Nachbesserungsbedarf besteht.

Herr Minister, haben Sie heute schon einen Kaffee getrunken?

Ja, habe ich.

Und wissen Sie auch, unter welchen Bedingungen dieser Kaffee hergestellt wurde?

Ja, das weiß ich tatsächlich. Ich war 2019 mit unserem Entwicklungsminister Gerd Müller in Äthiopien, ein großes Land für den Kaffeeanbau. Dort haben wir uns angeschaut, wie Kaffee hergestellt wird. Im Bundesarbeitsministerium kaufen wir nur Kaffee, der unter Fairtrade-Bedingungen produziert wird.

Das ist sehr löblich, allerdings entscheiden bei weitem nicht alle Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland so. Zwar nimmt der Marktanteil von Fairtrade-Kaffee in den vergangenen Jahren immer weiter zu, kam 2019 jedoch immer noch auf nur 6,7 Prozent. Dieter Overath, der Vorstandsvorsitzende von TransFair, forderte deshalb auch beim Lieferkettengesetz „existenzsichernde Preise und Löhne“ auf die Agenda zu setzen. Sie haben dieses neue Gesetz maßgeblich vorangebracht, doch dieser Wunsch blieb letztlich unerfüllt. Kann der faire Handel – letzten Endes – überhaupt der Konsumentin und dem Konsumenten überlassen werden?

Ich persönlich möchte gerne sicher sein, dass in der Schokolade für meine eigenen Kinder keine Kinderarbeit steckt. Wenn ich Blumen kaufe, möchte ich nicht dazu beitragen, dass in Kenia Arbeiterinnen mit Pflanzenschutzmitteln vergiftet werden. Aber grundsätzlich halte ich es für den falschen Weg, wenn Menschen mit jedem Einkauf an der Supermarktkasse eine ethische Entscheidung treffen müssen. Dafür muss auch das nötige Wissen vorhanden sein und man kann nicht täglich jedes einzelne Produkt abwägen. Klar ist, dass es vor allem eine unternehmerische Verantwortung ist. Mir war es deswegen wichtig mit dem Lieferkettengesetz Unternehmen zu verpflichten, Verantwortung für Menschenrechte zu übernehmen. Dazu gehören auch anständige Löhne und Arbeitsbedingungen. Für mich ist der Grundsatz klar: Wer global Geschäfte macht, muss auch global Verantwortung tragen. Das will ich mit dem Gesetz erreichen.

Kaffee ist das wichtigste Agrargut im globalen Nord-Süd-Handel und nach Erdöl weltweit der zweitwichtigste Exportrohstoff.

Foto: Sean Hawkey/TransFair e.V.

Wie wir dank Videokonferenz sehen können, steht vor Ihnen auf dem Tisch eine Wasserflasche der Marke „Viva con Agua“. Diese entwicklungspolitische Non-Profit-Organisation mit Zentralsitz im Hamburger Stadtteil St. Pauli setzt sich weltweit für sicheren Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung ein – also ganz im Sinne des fairen Gedanken. Ganz ehrlich: Haben Sie das für unser heutiges Fairtrade-Interview so inszeniert?

Nein, das haben wir nicht (lacht kurz, nimmt die Flasche in die Hand und schaut sich das Etikett an). Wir haben im Beschaffungswesen entschieden, bei uns im Ministerium bewusst solche Produkte anzubieten. Das gilt für den Fairtrade-Kaffee genauso wie für das Wasser, das vor mir steht (schaut sich das Etikett der Wasserflasche noch mal genauer an). Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, aber ich glaube, dass es tatsächlich immer genau dieses Wasser ist – oder, Herr Stoltenberg?

Tim Stoltenberg, Pressesprecher des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, der außerhalb des Kamerabildes sitzt, ruft von der Seite herein: Ja, das ist es.

Zurück zum Lieferkettengesetz. Als Sie es Mitte Februar gemeinsam mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Entwicklungsminister Gerd Müller bei einer Pressekonferenz verkündeten, sprachen Sie von einem „historischen Durchbruch“, kein Gesetz sei weltweit ambitionierter. Kritiker werfen Ihnen jedoch vor, der Entwurf sei ein „ausgehöhlter Papiertiger“ – oder auch „ein Placebo für schlechtes Gewissen“. Anspruch und Realität scheinen auseinanderzuklaffen. Wer hat denn nun Recht?

Das Gesetz ist ein guter Kompromiss und es stärkt die Menschenrechte. Unser Lieferkettengesetz ist das schärfste, was wir weltweit haben. Es ist kein Papiertiger, sondern wirksam. Bei Verstößen gibt es saftige Bußgelder, im ärgsten Fall können Unternehmen von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden. Ich weiß, dass das Gesetz in Zukunft auch noch fortentwickelt werden kann. Dass wir es jetzt dem Bundestag in dieser weitreichenden und gemeinsam ausgehandelten Form vorlegen, ist ein großer Erfolg.

Während des Monitoring-Prozesses war noch von mehr als 7000 deutschen Unternehmen die Rede, die das Lieferkettengesetz umfassen sollte. Unter dem Gesetzentwurf würden sich – ab 2024 – nun lediglich 2900 Unternehmen versammeln. Sind 4000 Unternehmen also mit einem blauen Auge davongekommen?

Mit dem Monitoring haben wir bewusst noch keine Vorfestlegung getroffen, welche Unternehmen in den Anwendungsbereich fallen. Das Monitoring hat zunächst die Grundsatzfrage beantwortet, ob wir ein Gesetz brauchen oder nicht. In dem Gesetz ist jetzt festgehalten, dass der Kreis der betroffenen Unternehmen schrittweise erhöht wird: Wir beginnen bei den großen mit mehr als 3000 Beschäftigten ab 2023, Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten folgen dann ab 2024. Dazu wird eine große Zahl weiterer Unternehmen einbezogen, die sich aufgrund ihrer Geschäftsbeziehungen mit den direkt verpflichteten Unternehmen an den neuen Sorgfaltsstandard anpassen müssen. Außerdem evaluieren wir das Gesetz, so dass beim Anwendungsbereich wenn nötig nachgeschärft werden kann.

Ein Kritikpunkt ist die behandelte Sorgfaltspflicht. Sie gilt laut Gesetzentwurf nicht mehr für die „gesamte Lieferkette“, wie es ursprünglich hieß, sondern nur noch für „unmittelbare Zulieferer“. Verdient das Lieferkettengesetz damit überhaupt noch seinen Namen?

Das Lieferkettengesetz wirkt in der gesamten Lieferkette. Wir sorgen bei der Sorgfaltspflicht für drei Stufen. Die erste ist der schärfste Maßstab und bezieht sich auf das eigene Unternehmen. Die zweite bezieht sich auf die unmittelbaren Zulieferer, die Vertragspartner. Die dritte Stufe umfasst alle mittelbaren Lieferanten. Wenn es Hinweise darauf gibt, dass dort in der Lieferkette Menschenrechtsverletzungen stattfinden, müssen deutsche Unternehmen eine Prüfung und gegebenenfalls weitere Maßnahmen einleiten.

Sie sprachen bereits von den Strafen, die deutsche Unternehmen künftig ereilen könnten, wenn sie gegen das Lieferkettengesetz verstoßen: Bußgelder und der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen. Gleichzeitig wurde die Passage der „zivilrechtlichen Klage“ – offenbar auf Druck der Wirtschaftslobby – aus dem Entwurf gestrichen. Schadensersatzpflichtige Rechtsverletzungen sind so nicht einklagbar. Warum hat die deutsche Wirtschaft Angst vor der Justiz?

Ich glaube nicht, dass das der Fall ist. Theoretisch konnten Betroffene auch schon vor dem Lieferkettengesetz vor deutschen Gerichten klagen. Es wurde bloß nur ein einziges Mal gemacht. Dabei ging es um die 2012 in Pakistan abgebrannte Textilfabrik, ein Zulieferer von Kik. 258 Menschen sind bei dem Brand gestorben, Dutzende wurden teils lebensgefährlich verletzt.

Die Lebenssituation der Arbeiterinnen und Arbeiter in Textilfabriken soll durch das Lieferkettengesetz verbessert werden – die Preise für den Konsumenten sollten aber nicht merklich ansteigen.

Foto: Anand Parmar/TransFair e.V.

Vergitterte Fenster, defekte Feuerlöscher, lediglich ein enges Treppenhaus und Notausgänge, die ins Nichts führten, machten die Fabrik damals zur tödlichen Falle. Für Kik als Hauptkunden der Fabrik hätte es ein Leichtes sein können, vorher für eine Verbesserung dieser Bedingungen zu sorgen. Nach dem Lieferkettengesetz dürfte es so etwas künftig nicht mehr geben. Was aber, wenn doch? Die Klage der vier Betroffenen gegen Kik, die je 30.000 Euro Schmerzensgeld forderten, wurde im Januar 2019 vom Landgericht Dortmund abgewiesen – wegen Verjährung nach pakistanischem Recht.

Das Lieferkettengesetz stärkt Gewerkschaften und Nicht-Regierungsorganisationen, da diese künftig auch im Namen und im Einverständnis derer, die von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind, vor deutschen Gerichten klagen können. Das ist neu und war mir sehr wichtig. Das stärkt die Rechtsposition der Menschen vor Ort konkret. Mir geht es aber vor allem darum, solche Katastrophen zu verhindern und die Unternehmen zu verpflichten, sich zu kümmern. Es wird aber nichts verlangt, was die Unternehmen nicht leisten können. Wir beraten die Unternehmen, es wird einen Leitfaden geben. Das sind Maßnahmen für eine gerechte Globalisierung. Als Entwicklungsminister Gerd Müller und ich 2019 nach Äthiopien gereist sind, hatten wir ein gemeinsames Anliegen. Denn Deutschland hält zu Äthiopien, das eine junge, arme Bevölkerung hat, vielseitige Wirtschaftsbeziehungen. Wir haben Unternehmen besucht, die einen Betriebsrat haben und faire Löhne zahlen. Ich habe dort aber auch eine Gerberei gesehen, die ich nur eine vorkapitalistische Hölle nennen kann – mit Menschenrechtsverletzungen und Ausbeutung. Und genau dort wurden Lederprodukte gefertigt, aus denen unsere Schuhe gemacht werden. Wir haben eine globale Verantwortung, und ich sage nicht, dass das Lieferkettengesetz auf einen Schlag alle Probleme löst. Aber es ist ein wichtiger Schritt.

Zur Lebenswirklichkeit in Deutschland gehört aber auch, dass es Menschen gibt, die sich ihre Schuhe im Supermarkt kaufen müssen, weil sie sich teurere Schuhe gar nicht leisten können. Niemand kann es diesen Menschen verübeln, auch weiterhin in erster Linie auf den Preis und nicht auf die Produktionsbedingungen zu achten. Werden all diese Produkte durch das Lieferkettengesetz nicht zu Luxusgütern, die sich finanziell benachteiligte Menschen nicht mehr leisten können?

Ganz klar, aber Studien zeigen, dass es für Unternehmen, die in der Produktion auf die Einhaltung der Menschenrechte setzen, nicht ausschlaggebend teurer wird. Die Preise eines Endprodukts dürften für den Verbraucher also gleich bleiben, oder maximal im Cent-Bereich steigen. Im globalen Markt sind nicht die Produktionskosten der maßgebliche Teil eines Endpreises, sondern das, was zwischen Produktion und Verkauf geschieht. Nicht die Arbeiterinnen und Arbeiter, sondern immer jemand anderes verdient dicke daran.

Es sollte uns also darum gehen, globale Ungerechtigkeiten zu beenden, Armut und Hunger, letztlich also auch Fluchtursachen – und damit kommen wir dann wieder zurück zu den existenzsichernden und fairen Preisen und Löhnen. Müssten nicht – ganz einfach gefragt – die wesentlich strengeren Kriterien für fairen Handel zum Gesetzestext für einen wesentlich schärferen Nachfolger des Lieferkettengesetzes werden?

Das wird die Zukunft zeigen. Zuerst gilt das Lieferkettengesetz für deutsche Unternehmen mit 3000 Arbeitern, anschließend auch für Unternehmen mit 1000 Arbeitern. Zeitgleich gibt es auch eine europäische Debatte, bei der es um ein Lieferkettengesetz für die EU geht. Das wird sicher noch zu Nachschärfungen führen.

Was das deutsche Lieferkettengesetz betrifft: Es gibt da auch Aushandlungsprozesse, gerade in einer Koalition. Man muss zu Kompromissen bereit sein. Es geht aber darum, konkret etwas zu verbessern. Ich denke, uns ist eine gute Lösung gelungen, die die Menschenrechte stärkt.

Wie groß ist die Gefahr, dass das Lieferkettengesetz von einer späteren Bundesregierung wieder gekippt wird?

Ich denke nicht, dass so etwas geschieht. Sozialer Fortschritt kommt nie von allein, man muss immer dafür kämpfen. Das tue ich. Außerdem gibt es auch in der breiten Bevölkerung einen Trend in Richtung Fairtrade. Meine Prognose lautet daher: Das Lieferkettengesetz ist nicht mehr wegzukriegen!


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