Engagement

In Gifhorn gibt's eine Haltung: Wie das Queere Netzwerk und das neue Spektrum unsere Stadt mit queerer Kultur bereichern

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 25.09.2022
In Gifhorn gibt's eine Haltung: Wie das Queere Netzwerk und das neue Spektrum unsere Stadt mit queerer Kultur bereichern

Im Spektrum ist einiges los: Das Zentrum des Queeren Netzwerks Gifhorn ist ein Ort, an dem eine verdrängte Kultur gefördert wird.

Foto: Michael Uhmeyer

Das Queere Netzwerk in Gifhorn wächst und wächst und wächst: Durch die Eröffnung des Spektrums – so was wie das Vereinszentrum – im Frühjahr hat das Netzwerk nun endlich einen Raum, der nicht nur Platz für die zahlreichen Gruppenangebote und Freizeitaktivitäten bietet. Auf 130 Quadratmetern bietet sich darüber hinaus eine Schutz- und Erklärungszone für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt. Und das tut auch unserem Gifhorn gut. Denn durch das Spektrum hält die bisher verdrängte queere Kultur Einzug.

Ein Sommerabend. Am babyblauen Himmel kleine Wolken, unten gelbe Rasenflächen. Das leise Plätschern der Ise. Ein paar Meter weiter liegt das Spektrum, klar zu erkennen an den Regenbogenfarben. Heute treffen sich die Queer Adults. Schnell stellt sich heraus: Einige der Gekommenen sind zum ersten Mal dabei. Verhalten werden Namen ausgetauscht.

Nach zwei Stunden hat irgendwann jede Person etwas gesagt. Ist zu Beginn vor allem für die Neuankömmlinge noch Überwindung nötig, traut man sich nach einer Limonade ein wenig aus der Deckung. Bei so vielen neuen Gesichtern stellt sich vor allem eine Frage: Wie war das für Euch? Das kann sich auf alles beziehen – die Identität, die Sexualität, das Geschlecht, das Outing, die Reaktion darauf, Kinder, Familie.

Niemand muss seine Geschichte erzählen. Aber viele wollen. Denn sie wissen, dass sie im Spektrum auf Menschen stoßen, die gleiche oder ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Und das hilft. Wobei? Beim Vorankommen. Es wird berichtet über das Unverständnis beim Outing, Enttäuschungen, Ratlosigkeit. Doch am Ende wird gelächelt.

Dominik Ruder kennt diese Abende. So wie er alles im Spektrum kennt. Der 25-Jährige ist der Vorsitzende des Queeren Netzwerks Gifhorn. Zuerst war er Träumer und Ankurbler, mittlerweile Organisator und Koordinator. Das letzte große Ding, was er mit dem jungen Verein gerissen hat: die Eröffnung des Spektrums Ende Mai, dem Vereinsheim, mitten im Herzen Gifhorns. Auf 130 Quadratmetern findet sich dort alles, was ein Verein – und vor allem einer mit jugendlichen Mitgliedern – auffahren muss.

Finanziert wird alles über Zuschüsse von Landkreis und Stadt Gifhorn. Inzwischen hat man sich einen Namen gemacht, tut viel, damit das Geld auf dem Konto landet und man den Mitgliedern etwas bieten kann. Dazu gehört ebenfalls: stundenlanges Antragstellen bei Projektförderungen. Und natürlich die Spenden.

Während der Sommerferien hat das Queere Netzwerk viele verschiedene kulturelle und spielfreudige Angebote gemacht.

Foto: Michael Uhmeyer

Das Spektrum ist offen für jeden Mann, jede Frau, jedes Drittes, alles was dazwischen ist und nicht genau weiß – ein offener Treffpunkt für alle Interessierten, ein sicherer Raum für Menschen, die fernab der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft ihre sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität ausleben möchten. Klingt superkompliziert, ist es unter Umständen auch. Doch im Grunde geht’s schlicht darum: Minderheitenschutz für Personen, die sich in einer vermeintlich freien Gesellschaft unfrei fühlen, Auffangbecken für Ausgegrenzte.

Warum das nötig ist? Weil sich die LGBTQIA-plus-Community – also Personen, die sich unter anderem als schwul, lesbisch, bi, trans und intersexuell verstehen und lesen – noch immer Anfeindungen, Diskriminierungen, Gewalt und Mord ausgesetzt sieht.

Vor einigen Monaten veröffentlichte das niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung die aktuellen Kriminalzahlen unter der Überschrift „Gewalt gegen queere Menschen nimmt zu“ – und das obwohl gleichzeitig von historisch niedrigen Gesamtzahlen gesprochen wird. Irgendwas scheint da nicht zu passen. Und dann: Anfang September stirbt der 25-jährige Transmann Malte C. infolge eines brutalen Angriffs im Rahmen des Christopher-Street-Days in Münster.

Hat Dominik Ruder Angst durch Gifhorns Straßen zu gehen? Der Vorsitzende überlegt: „Ich persönlich nicht. Viele unserer Jugendlichen aber schon. Sie würden im Dunkeln nicht mehr herumlaufen. Auch Händchen haltend durch die Innenstadt gehen – das machen die nicht. Da habe aber auch ich Struggle. Ich bin 25 Jahre und bezeichne mich als schwuler Cis-Mann. Ich habe Privilegien, von denen andere im Spektrum nur träumen können. Gerade Transmenschen erleben Sachen, da denke ich mir: Hallelujah!“

Es sind diese Angstzustände, die eine Kleinstadt lähmen können. Umso tragischer, weil das Queere Netzwerk quicklebendig organisiert und entwirft. Im Sommer lief es zu Höchstleistungen auf: Rap-Workshop, Workshop zum literarischen Schreiben, queere Ausstellung im Rathaus. Katrin Matzat, Vorstandsmitglied im Queeren Netzwerk, meint: „Queere Kultur gibt‘s hier noch nicht so richtig, aber ich bin mir sicher, Gifhorn kann das auch! Sie soll ja keine Gegenkultur sein, sondern eine Erweiterung.“

Das Queere Netzwerk ist vermutlich auch deswegen so wichtig, weil es die Mitglieder in der sinnlich erfassbaren Welt anspricht. „Man merkt schon den Unterschied zwischen dem Internet und dem echten Leben“, erklärt Lean Käseberg. Im Internet seien Hass, Hetze und Ablehnung besonders groß. „Sinnbefreiter Müll“, wie die nonbinäre Person sagt. „Dabei ist unser Ziel ja, auf uns aufmerksam zu machen.“ Immerhin, so meint Lean: „Ich merke auch immer wieder, dass es eine Haltung in Gifhorn gibt.“

Queeres Netzwerk
Torstraße 16, Gifhorn
Tel. 05371-1700390
info@queeres-netzwerk-gf.de
www.queeres-netzwerk-gf.de


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