Land & Leute
Gifhorns erste queere Jugendgruppe freut sich über einen starken Zulauf
Sophie Isabell Bremer Veröffentlicht am 21.03.2020
Die Mitglieder der Queeren Wespen heißen alle Interessierten beim offenen Treffen willkommen! Aufgrund der Corona-Pandemie finden die Termine aktuell nicht statt.
Foto: Çağla Canıdar
Bunte Themenabende über Sexualität, Coming-out oder psychische Probleme und Aktionen wie kreatives Schreiben und Zeichnen – oder einfach nur Zusammensitzen, Quatschen und Filme wie „Love, Simon“ schauen: Das alles gibt‘s bei den Queeren Wespen. Die erste queere Jugendgruppe in Gifhorn bringt Jugendliche zusammen, die lesbisch, schwul, bisexuell und/oder transgender sind, sowie diejenigen, die noch nicht genau wissen, wo die Reise hingeht. Junge Queere erleben nicht zuletzt Diskriminierungen und fühlen sich in ihrem Umfeld oft alleine oder gar ausgeschlossen. In der Gruppe treffen sie auf andere Jugendliche, die ähnliche Erfahrungen machen. „Wir gehen miteinander um, als würden wir uns schon jahrelang kennen“, strahlt Lea Käseberg. KURT sprach mit Dominik Ruder, Leiter der Gruppe, und mehreren Teilnehmenden über das Miteinander in der Gruppe und wieso sie so gut in Gifhorn ankommt.
„Bei den Queeren Wespen können die Teilnehmenden über alles offen reden. Hierarchien gibt es nicht“, freut sich Dominik Ruder. Der 22-jährige Gruppenleiter ist gebürtiger Gifhorner. Er schätzt den offenen Raum, den die Queeren Wespen den Jugendlichen bieten – als er sich selbst vor Jahren in Gifhorn als schwul outete, hatte er keinerlei Anschluss an andere Queere. „Es ist toll zu sehen, wie sehr sich die Mitglieder in der Gruppe wohlfühlen“, sagt auch Andre Quas, stellvertretender Gruppenleiter. Zum Start im vergangenen November kamen zehn Leute, mittlerweile sind es stets um die 20 Jugendliche und junge Erwachsene bei den wöchentlichen Treffen – manchmal sogar mehr. Die Altersspanne reicht von 14 bis 27 Jahre.
Die beiden Gruppenmitglieder Amelie Kloss (links) und Lea Käseberg fühlen sich pudelwohl bei den Queeren Wespen.
Foto: Çağla Canıdar
Gemeinsam planen die Mitglieder, wie sie ihre Abende gestalten wollen. Jeder kann seine eigenen Ideen einbringen. Zum Jahresabschluss wurde gewichtelt und Karaoke gesungen – „mein persönliches Highlight“, verrät Andre. Einen Workshop zum Thema Aufklärung über queere Identitäten gab es auch schon – mit Unterstützung durch „Schlau Braunschweig“, ein Braunschweiger Bildungsprojekt. „Die Gruppe ist auf keinen Fall eine reine Selbsthilfegruppe“, winkt Dominik ab. „Natürlich sind wir füreinander da und helfen, wenn jemand ein Problem hat. Aber im Vordergrund steht unsere gemeinsame Zeit. Spaß haben, was unternehmen mit Gleichgesinnten.“
Besonders fällt ihm auf, wie entspannt und offen die Mitglieder zu den Treffen kommen: „Sie sind auch ganz traurig, wenn sie mal nicht können“, verrät Dominik. „Die Gruppe liegt ihnen spürbar am Herzen.“ Trotz ihrer Unterschiede pflegen sie ein harmonisches Miteinander: „Sie kommen etwa aus verschiedenen sozialen Schichten – aber alle verstehen sich. Das ist richtig schön.“
In Gifhorn wurden die Queeren Wespen „mit offenen Armen“ empfangen. Es habe nicht nur eine starke Resonanz auf Seiten der Jugendlichen gegeben: „Auch Sozialarbeiter und Lehrpersonal haben uns kontaktiert, ob wir helfen können, junge Leute über queere Identitäten aufzuklären.“ Viele sind sich über den richtigen Umgang mit dem Thema unsicher: „Da merken wir, dass in Gifhorn eine Riesen-Lücke besteht. Toll, dass wir diese nun füllen können.“
Haben wir denn in Gifhorn ein Problem mit Unwissen über queere Personen – oder Vorurteile und Diskriminierungen? „Homophobes Mobbing kommt natürlich immer mal wieder vor“, erklärt Dominik. „Es ist aber in erster Linie die Hilflosigkeit im Umgang mit jungen Queeren, die auffällt.“ Stimmt es eigentlich, dass queere Personen in ländlichen Gegenden mehr Probleme mit Diskriminierung haben als in größeren Städten? Pauschalisiert werden könne dies nicht, betont Dominik. Aber: „Auf dem Land und in Kleinstädten ist es schwieriger, junge Queere zu vernetzen und eine öffentliche Präsenz aufzubauen. Es gibt weniger queere Zentren und Anlaufstellen“, bedauert Dominik. So kommen viele Personen gar nicht in Kontakt mit queeren Themen. Aber das soll natürlich nicht so bleiben und hat sich auch schon in die richtige Richtung verändert: „2016 gab es keine zehn Gruppen in den großen Städten Niedersachsens – heute sind es im ganzen Bundesland knapp 30 Gruppen“, berichtet Dominik. „Es ist unser Ziel, dass alle Jugendlichen in Niedersachsen nur maximal eine Stunde fahren müssen, um zu einer queeren Gruppe zu gelangen“, kündigt der Gruppenleiter an.
Das Wort „queer“ kommt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt seltsam oder komisch. Im englischen Sprachraum wurde es lange Zeit als Schimpfwort gegen Schwule verwendet – heute hat der Großteil der LSBT-Bewegung (die Initialen stehen für lesbisch, schwul, bisexuell und transgender) das Wort queer als neutralen Begriff der Identifizierung wiedergewonnen. Einige Personen lehnen den Begriff trotzdem ab – nicht zuletzt wegen der diskriminierenden Bedeutung, die er in der Vergangenheit trug.
Jeden Dienstagabend finden die Treffen der Queeren Wespen statt. „Wir begrüßen super gerne neue Gesichter in unserer Runde“, strahlt Dominik. Interessierte queere Jugendliche und junge Erwachsene dürfen gerne ohne Voranmeldung vorbeischauen.

Andre Quas (19) ist stellvertretender Leiter der Queeren Wespen. Er ist schwul und macht eine Ausbildung zum Erzieher an der BBS 1:
„Die queere Jugendgruppe ist ein sicherer Hafen, an dem ich mich mit anderen austauschen kann. Ich fühle mich sehr wohl dort. Besonders mag ich die tollen Menschen in der Gruppe und ihre Vielfalt und Einzigartigkeit. Wenn ich sehe, dass sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wohlfühlen, bin ich froh, alles richtig zu machen. Es ist toll, den Jugendlichen zu helfen. Riesig Spaß hat mir außerdem das Jahresabschlusstreffen im Dezember gemacht – wir haben Karaoke gesungen und gewichtelt.“
Foto: Solveig Böhme

Lea Käseberg (20) macht eine Ausbildung als Verkäuferin an der BBS 1. Sie identifiziert sich als nichtbinär und polysexuell:
„Ich wurde von Andre auf die Gruppe aufmerksam gemacht. Vor dem ersten Treffen war ich etwas aufgeregt, weil ich nicht wusste, auf wen man so trifft. Aber dann war alles direkt super cool. Alle in der Gruppe sind sehr lieb und haben mich gut aufgenommen. Wir gehen miteinander um, als würden wir uns schon jahrelang kennen! Ich finde es wichtig, dass die Gruppe eine Art Rückzugsort für junge Queere ist. Wenn jemand Redebedarf hat, sind wir die Ansprechpartner.“
Foto: privat

Katrin Matzat (25) arbeitet als Verwaltungsangestellte. Sie identifiziert sich als demisexuelle Cis-Frau:
„Als ich in der Zeitung über das Kickoff-Treffen der Jugendgruppe las, dachte ich mir direkt: Das ist genau das richtige für mich! Ich hatte mir erhofft, dass die Gruppe ein tolles Miteinander ermöglicht und ich so angenommen werde, wie ich bin. Diese Erwartungen wurden übertroffen. Vom ersten Abend an herrschte eine unglaublich positive Atmosphäre. Ich habe das Gefühl, viele Personen haben es gar nicht auf dem Schirm, dass es LGBTQ-Plus-Personen gibt. Die queere Jugendgruppe hilft, unsere Präsenz zu stärken.“
Foto: privat
Queere Jugendgruppe Gifhorn
Jeden Dienstag, 18 Uhr (Aufgrund der Corona-Pandemie finden die Treffen aktuell nicht statt.)
Jugendbegegnungsstätte
Ludwig-Jahn-Straße 10, Gifhorn
www.queere-wespen-gifhorn.de