Musik

Es muss wohl Hassliebe sein: Der Produzent René Kannowski alias Kanne38 baut seine Beats gern in seiner Gifhorner Hood

Matthias Bosenick Veröffentlicht am 09.02.2023
Es muss wohl Hassliebe sein: Der Produzent René Kannowski alias Kanne38 baut seine Beats gern in seiner Gifhorner Hood

Mit 20 sprüht René Grafitti, hört Hardcore und Alternative. In „die alten Sachen“ hört er auch noch heute gerne rein.

Foto: @Laurachen___

Beats bauen: Das ist die Beschäftigung von René Kannowski, der als Kanne38 regelmäßig EPs und Tracks veröffentlicht, die er in seinem Studio zu Hause in Gifhorn mit Samples von Piano, Saxophon oder Flöte sowie programmierten Drums erstellt. Er selbst ordnet seine Musik dem Boom-bap zu, einer Unterart des Hip Hop. Eine melancholisch-herbstliche Variante seiner Arbeit veröffentlichte er jüngst als EP: „Hoodlum Diaries“. Fürs Frühjahr ist eine fröhlichere Ausgabe eigener Tracks angedacht. Die Bedeutung von Schallplatten, seine Hardcore-Vergangenheit und seine möglichen Pläne mit MC Fitti verrät der 35-Jährige im Musikliebhaberplausch mit KURT.

„Hoodlum Diaries“, also „Ganoven-Tagebücher“, nennt René seine neue EP mit vier Tracks. „Damit sind in erster Linie die Ganoven auf dem Cover gemeint.“ Anders als sonst stand für den Beatbastler nämlich das Cover schon fest, bevor er sich aus seinem Riesenrepertoire an Tracks, Skizzen und Entwürfen darauf festlegte, welche Stücke auf der EP landen würden. „Die sollen das Herumhängen an der Straße repräsentieren“, erläutert er, kombiniert mit einem „herbstlichen Klang“. Deshalb ist der Sound hier auch eher „melancholisch-düster, die Beats sind alle minimal gehalten, die Musik hat einen rohen Klang – ich mag es rau und nicht so sauber.“

Für René ist Boom-bap das Schlagwort, unter dem er seinen Hip Hop sieht. Der Begriff ist an das Debüt-Album des US-Rappers KRS-One aus dem Jahr 1993 angelehnt. Renés Musik zeichnet aus, dass sie eher im chilligen Downbeat gehalten und streckenweise recht repetitiv ist. Erinnerungen an den alten Wu-Tang Clan kommen auf. René bestätigt: „Das ist einer meiner Einflüsse.“ Für seine Tracks bedient er sich bei Samples, die er so stark verfremdet, dass man die Originalquellen nicht mehr erkennt. Manche findet er online, doch besonders liebt er Schallplatten. „Wenn ich unterwegs bin in Amsterdam oder Berlin, gehe ich in die Plattenläden.“ Dort stöbert er mit Vorliebe in den Ein-Euro-Kisten. „Ich kaufe nach Covern, manchmal höre ich auch rein.“ Vinyl habe das angenehme Knistern, und „bei alten Platten sind manchmal die Höhen nicht mehr drin, das macht es dumpfer“.

An einem willkürlichen Zu-Hause-Wochenende im Jahr 2016 baut René seine ersten Beats, statt nur zu texten und zu rappen.

Foto: René Kannowski

Die Vorlagen-Vorlieben wechseln bei René saisonal. „Ich habe lange Zeit Soul und Jazz gehört.“ Den ausgewählten Songs entnimmt er fragmentarisch Passagen, die er sampelt, zuschneidet und loopt. „Ich verwurste sie.“ So reduzierte er einmal einen Oldie auf die langsamste Stelle ohne Drums, andere Male bevorzugt er Klassik als Quelle. „So lang das Ergebnis passt, ist alles gut“, findet René. „Soul ist immer mal am Start.“ Wichtig sind ihm dabei die Melodien, die Beats programmiert er selbst. Zwar hat er ein Keyboard zu Hause, aber „ich kann keine Noten lesen, ich spiele alles nach Gefühl und Gehör“, also sind die Samples wichtig für ihn. Groß ist seine Sample-Plattensammlung indes gar nicht. „Bei Umzügen habe ich viele weggegeben, manchmal tausche ich mit Kumpels, die Platten haben eine große Fluktuation.“ Anders ist es mit den Vinyl-Alben, die er als Fan erwirbt, die behält er immer.

Seinen Anfang nahm Renés Wirken klassisch mit Graffiti, da war er gerade 20 Jahre alt. „Ich habe in meiner Jugend viel Hardcore und Alternative gehört, Rage Against The Machine zum Beispiel.“ In die alten Sachen höre er immer noch gerne rein. Im Crossover steckt der Rap ja schon drin, und im Zuge der Spraykunst begann auch René zu rappen. „Mein Kumpel Crusade hatte ein Mikro.“ Das war 2009, der Anfang war gemacht, schon damals unter dem Alias Kanne38, und drei Jahre später schloss er sich den Wolfsburger Monkey Boys an. Mit denen organisierte er einige Male das Festival Flavorjam im Jugendhaus Ost und im Sauna-Klub. „Um selbst aufzutreten – und um anderen eine Bühne zu geben.“

Nebenbei begann er, seine eigenen Tracks zu produzieren, und an einem willkürlichen Zu-Hause-Wochenende im Jahr 2016 geschah es: „Statt Texte zu schreiben und zu rappen habe ich Beats gebaut. Das hat mich entspannt.“ Dieser einschneidende Moment war auch der Zeitpunkt, als es mit den Monkey Boys vorbei war.

Nunmehr war also aus dem Rapper Kanne38 ein Beatbauer geworden. Sein erstes Album „Spring Breaks“ erschien 2019, seitdem brachte René viele EPs und Songs heraus, produzierte Tracks für andere Rapper. Für das Stück „Noir“ etwa hatte er den New Yorker Rapper FastLife bei Instagram kontaktiert, und der fand Renés Beats gleich so gut, dass es zu dieser Zusammenarbeit kam. Ein weiterer Freund: Bobby aus Wolfsburg, den René noch aus Monkey-Boys-Zeiten kennt und der bis auf die letzten beiden sämtliche Cover für Renés Veröffentlichungen designte – erkennbar am grafischen Stil. Im Gegenzug erhielt Bobby Beats von René. Vor zwei Jahren, im ersten Lockdown, kam Dezember MC auf René zu und bat um Beats. Und es gibt noch das Braunschweiger Projekt Spinnerstrasse (nur echt mit Doppel-s statt ß), dessen Mitglieder René zu einem Jam eingeladen hatten, bei dem er live Beats zu Texten beisteuerte. Daraus entstand eine fruchtbare Bekanntschaft zu den Rappern JPen und Derah, die beide der Crossover-Band Synonym angehören. „Im Winter erscheint ein Mixtape von denen mit einem Beat von mir.“

Mit dem gebürtigen Gifhorner Dirk Witek alias MC Fitti will René alias Kanne38 mal etwas mit Gifhorn-Bezug machen.

Foto: Tim Doege

Live Beats auflegen, das ist für René bislang noch eine seltene Erfahrung. Das erfuhr er außer bei der Spinnerstrasse bislang noch beim Programm „Breakdance für die Ohren“ von Dunstkreis sowie beim Suprafluid-Festival im Skatepark, beides in Braunschweig. Vor Publikum komplett neue Beats bauen wiederum, sich also live beim kreativen Prozess über die Schulter schauen lassen, das praktizierte er erst einmal, und zwar online via Instagram. Vielmehr konzentriert er sich eben darauf, daheim Beats zu generieren. Aktuell überlegt er, im Frühjahr die nächste EP fertigzustellen, noch ohne Zeitplan, da eine Fortbildung parallel zum Job seine Zeit bindet. Vielleicht wird es der dritte Teil der „Spring-Breaks“-Reihe.

Pro Jahr hat René „zwei bis drei Releases“ auf seinem eigenen Label Backyard Entertainment, vorrangig mit kurzen Tracks, weil er manchmal impulsiv ist. „Ich sage, heute haue ich mal wieder was raus, mal gucken, was passt.“ Dann arbeitet er seine Skizzen aus, „dass es rund wird“. Die neue „Hoodlum-Diaries“-EP etwa ist mit vier Stücken gerade mal acht Minuten lang. „Ich stehe auf kurze Sachen“, sagt René. „Lieber vier Tracks, die zusammenpassen, als Füller dazwischen.“ Zudem stellt er fest, dass sich die Hörerschaft „vom Albumgedanken verabschiedet“, was ihm selbst gar nicht so gefällt. „Ich mag das Album immer noch gerne.“ Daher kauft er nicht nur Platten, sondern würde auch gern selbst welche herausbringen. „Aber das ist mit Kosten verbunden. Wenn Du keinen großen Vorverkauf hast, kannst Du es nicht bezahlen.“ So bleibt die EP „September Ends“ aus dem Jahr 2021 seine bisher einzige physische Veröffentlichung, und zwar auf Kassette. Doch: „Es soll aber mal sein, dass ich eine 7-Zoll mache.“

Und dann ist da noch das Wort von Dirk Witek alias MC Fitti, der jüngst bekanntgab, dass er gern mit Kanne38 zusammenarbeiten würde (KURT berichtete). „Der Kontakt kam zufällig.“ Als Dirk zur Produktionszeit seines bislang letzten Albums „Graffiti“ in Gifhorn war, kommentierte René eine Insta-Story des Rappers, ohne dass die beiden sich bis dahin kannten. Dirk fragte René daraufhin, ob er die Möglichkeit habe, etwas aufzunehmen, weil Dirk noch am Album feilen wollte. „Ja, klar“, war René sofort bereit. „Und eine halbe Stunde später stand er bei mir vor der Tür.“ Nach getaner Arbeit beschlossen die beiden Gifhorner, etwas zusammen zu machen, mit Gifhorn-Bezug. „Es ist nichts geplant, aber es kommt irgendwann, wenn wir Zeit haben.“

Gifhorn als Hip-Hop-Hotspot. Wie ideal ist seine Heimatstadt für René? „Ideal ist es nicht“, antwortet Kanne38 salomonisch. „Aber ideal ist nichts.“ Immerhin hat er in Gifhorn noch ein, zwei Freunde, die wie er Beats bauen. Als weitere Gifhorner aus dem Genre sind einige Ex-Mitglieder der früheren Hip-Hop-Crew Stadtrand Records heute beim Kollektiv „Die Allmächtige“ aus Kassel dabei, was ja fast schon weite Welt ist. „Ich genieße es, in große Städte zu fahren und dort ein paar Tage zu verbringen“, erzählt René. „Ich freue mich danach, wieder in der Hood zu sein.“ Es müsse eine „Hassliebe sein“, meint er – und feiert seine Heimatstadt doch sehr. „Ich kenne jeden Stein und Braunschweig und Wolfsburg sind um die Ecke.“ Und ins Flax könnte er ja auch mal wieder gehen. Wie früher.


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