Letzte Ruhe

Die Ruhe im Wald hilft beim Abschied nehmen

Bastian Till Nowak Veröffentlicht am 29.03.2020
Die Ruhe im Wald hilft beim Abschied nehmen

Zur Trauerfeier im Ruhewald steht die Urne auf einem Baumstumpf, die Trauergäste sitzen ringsherum auf Baumstammhockern.

Foto: RuheWald Gifhorn

Der Verlust eines geliebten Menschen schmerzt – eine liebevoll gestaltete Trauerfeier und die anschließende Beisetzung können Trost spenden. Und mit dem Ruhewald im Gifhorner Ortsteil Kästorf ist auch in unserer Region diese etwas ganz andere Bestattungsform möglich. „Häufig ist die Beisetzung im Ruhewald ein Wunsch, den der Verstorbene schon zu Lebzeiten geäußert hat“, weiß Andreas Günter, Geschäftsführer der RuheWald Gifhorn GmbH. Manchmal seien es aber auch die Angehörigen, die mit dieser Wahl ihren verstorbenen Lieben gerecht werden möchten – etwa weil der Vater früher Jäger und deshalb oft im Wald gewesen sei, oder weil sich die Mutter immer gerne in der Natur aufgehalten habe. So oder so stecke aber fast immer ein bestimmter Gedanke dahinter: „Wer sich für eine Beisetzung im Ruhewald entscheidet, kommt mit einer klaren Vorstellung – und wollte oft eigentlich gar nicht auf einen klassischen Friedhof.“

Zu Beginn des Jahres 2018 wurde der Ruhewald im Norden Kästorfs in einem beschaulichen Wäldchen der Diakonie eröffnet – direkt neben dem alten Waldfriedhof, auf dem noch heute Beisetzungen stattfinden. „Politik und Verwaltung der Stadt Gifhorn wollten gerne einen Ruhewald einrichten, ihn aber selbst nicht betreiben“, berichtet Andreas Günter. Die Diakonie in Kästorf habe die Idee zwar gut gefunden und auch ein passendes Waldstück gehabt, „wollte einen Ruhewald aber ebenfalls nicht selbst betreiben“. Also sei man auf Andreas Günter zugekommen, der als Bestattermeister und Tischlermeister nicht nur über betriebswirtschaftliches Denken, sondern auch das nötige Fingerspitzengefühl im Umgang mit trauernden Angehörigen verfügt. „Wir waren uns schnell einig, denn auch ich finde das Konzept ganz wunderbar“, erklärt Betreiber Günter. Längst habe er auch all seine Berufskollegen aus der Region eingeladen, den neuen Ruhewald kennenzulernen – denn er betreibt zwar auch weiterhin sein eigenes Bestattungsunternehmen, „grundsätzlich können im Ruhewald aber Beisetzungen durch alle Bestatter stattfinden“, betont er.

Lediglich ein kleines Metallschild weist auf Wunsch auf die beigesetzten Verstorbenen hin.

Foto: Bastian Till Nowak

Wer den Ruhewald zum ersten Mal betritt, ist sogleich von seiner ganz besonderen Atmosphäre bewegt: Der Wind streicht durch Äste und Zweige, die Geräusche des Waldes stimmen eine sanftmütige Sinfonie an – hier zwitschert ein Vögelchen, dort rauschen die Blätter. Ruhe und Entspannung allerorten, die beim Trauern helfen. Und: Alle Grabstellen sind gleich – jeweils zwölf Stück pro Baum, im Uhrzeigersinn angeordnet zwei bis zweieinhalb Meter vom Stamm entfernt. Lediglich ein kleines Metallschildchen, das an einem eingeschlagenen Nagel am Stamm baumelt, weist auf die um ihn herum beigesetzten Verstorbenen hin: Name, Geburtsdatum, Sterbedatum – mehr steht dort nicht; und auch das steht dort nur auf ausdrücklichen Wunsch. Die Grabstellen selbst schmücken keine Steine und keine Blumen. Und Wege gibt es auch nicht; gleichwohl wird sich nach und nach sicher der eine oder andere Trampelpfad bilden. Es gibt nur die Ruhe des Waldes, und der Wald übernimmt die Grabpflege ganz von allein: „Mal liegt Schnee, mal Eis – mal frisches Laub, mal trockenes Laub“, erzählt Andreas Günter.

In 90 Zentimeter Tiefe werden die Urnen beigesetzt – gestattet sind im Ruhewald ausschließlich biologisch abbaubare Modelle aus Hartmaisstärke oder aus Holz. Anschließend wird die Gruft wieder mit dem zuvor ausgehobenen Waldboden aufgefüllt, zum Schluss kommt Laub darüber. Mehr nicht. „Und nach rund zehn Jahren hat sich solch eine Urne dann aufgelöst“, berichtet Andreas Günter.

Voraus geht eine Einäscherung im Krematorium – „so kann man auf Wunsch auch vorher noch eine Trauerfeier am Sarg veranstalten, zum Beispiel in einer Kapelle im Heimatort, und die Urne dann später im engsten Familienkreis im Ruhewald beisetzen“, erklärt Andreas Günter. „Oder man verzichtet darauf und nimmt auf dem Andachtsplatz inmitten des Waldes Abschied.“

Das Schild hat Andreas Günter selbst geschnitzt – genauso wie er die Holzbänke im Ruhewald gebaut hat.

Foto: Bastian Till Nowak

Ein großes Holzkreuz steht dort, die Trauergäste nehmen Platz auf Baumstammhockern, gefertigt aus einer Eiche, die einem Sturm zum Opfer gefallen ist. Sitzkissen sind selbstverständlich vorhanden. Ein Pastor oder Pfarrer, ein konfessionsfreier Trauerredner oder ein Angehöriger aus der Familie spricht tröstende Worte. Oder man nimmt in absoluter Stille Abschied und lauscht dabei den beruhigenden Klängen des Waldes. Die Urne steht auf einem Baumstumpf – geschmückt mit Buchenzweigen oder der Lieblingsblume des Verstorbenen. Oder mit Sand vom Sylter Strand. Oder mit Steinen und Muscheln, die einst in einem gemeinsamen Urlaub gesammelt wurden. Diese können hinterher genauso mit ins Grab gegeben werden wie ein letzter Brief. Aber auch das muss selbstverständlich nicht sein. Auf Wunsch lässt sich eine Staffelei mit einem Bild des Verstorbenen aufstellen. Oder man spielt seine Lieblingsmusik vom Band ab. Oder es singt ein Chor – oder es musizieren die Jagdhornbläser, denen der Verstorbene einst selbst angehörte. Alles ist möglich.

Auch die Kapelle des angrenzenden Waldfriedhofs kann für eine Trauerfeier genutzt werden. 60 Sitzplätze und eine Orgel gibt es dort. Und im Anschluss gehen alle gemeinsam hinüber in den Ruhewald – ans Grab.

2,3 Hektar misst der Ruhewald. Der Buchenbestand ist rund 70 Jahre alt – und ein paar vereinzelte Eichen stehen auch auf dem Gelände. Es ist hell, denn vor der Eröffnung wurde kräftig ausgelichtet: „Dafür sprießt es nun umso mehr aus dem Waldboden“, hat Andreas Günter beobachtet. Bei Bedarf ließe sich die Fläche um weitere 4,7 Hektar erweitern – „und dort stehen auch noch einige andere Holzarten“. Seit der Eröffnung im Jahr 2018 wurden bereits zahlreiche Urnen beigesetzt. Und nicht wenige haben sich auch schon bei einer der regelmäßigen Waldführungen eine Grabstelle per Bestattungsvertrag gesichert.

30 bis 40 Menschen aller Altersklassen sind von Mal zu Mal bei diesen Waldführungen dabei. Und: „So verschieden die Menschen sind, so verschieden sind auch die von ihnen gewählten Bäume“, berichtet Andreas Günter. „Mancher ist ganz gradlinig, manch anderer ist komplett verzweigt.“ Aber auch nach Eintritt eines Trauerfalls lässt sich unter den 360 Bäumen des Ruhewalds sicher noch ein passender finden.

Die Kosten einer Grabstelle im Ruhewald seien mit denen einer Urnenbeisetzung unter grünem Rasen vergleichbar, erklärt Andreas Günter. Ein Einzelgrab mit 20 Jahren Ruhezeit kostet 690 Euro – möchte man den Baum selbst bestimmen und nicht einfach die nächste freie Stelle nehmen, sind es 790 Euro. Für die Beisetzung – mit oder ohne Trauerfeier – kommen weitere 200 Euro hinzu. Eine Paarstelle lässt sich für 1680 Euro und 60 Jahre Ruhezeit reservieren – und diese lässt sich auch verlängern. Und ein ganzer Baum für bis zu zwölf Grabstellen ist für 7500 Euro zu haben.

Weitere Infos:
RuheWald Gifhorn
Tel. 05371-8134440
E-Mail: info@ruhewald-gifhorn.de
www.ruhewald-gifhorn.de


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