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Deutschland egal, Kneipe sakral: KURT-Trinkviel Malte Schönfeld und seine Begleitung besuchen zum WM-Auftakt der deutschen Nationalelf das herrliche Alt Gifhorn

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 18.12.2022
Deutschland egal, Kneipe sakral: KURT-Trinkviel Malte Schönfeld und seine Begleitung besuchen zum WM-Auftakt der deutschen Nationalelf das herrliche Alt Gifhorn

Gute Laune zum schlechten Spiel: Gastro-Tester Malte Schönfeld stößt mit nahezu allen Gästen im Alt Gifhorn wenigstens einmal an. Da hatte die Nationalelf schon 1:2 verloren – aber ordentliche Recherche muss eben sein.

Foto: KURT Media

Weihnachtszeit ist Kneipenzeit – zumindest für Malte Schönfeld und seine Begleitung. Warum? Weil‘s manchmal sein muss. Pils bestellen, Deckel vollmachen, einen auf die Lampe gießen. Im vergangenen Jahr enterte KURTs Gastro-Tester noch die Astra Stuben, diesmal lockte das urig-schöne Alt Gifhorn am Fuße des Weinbergs. Und dann war ja irgendwie auch noch Fußball-WM. Nun ja.

Gifhorn, ein Mittwoch im Spätherbst. Draußen: kalte, klare Luft. Da atmet man gern. Um 13.40 Uhr betreten meine Begleitung und ich das Alt Gifhorn am Weinberg. Drinnen: letzte Vorkehrungen. Heute trifft die deutsche Nationalmannschaft im WM-Gruppenspiel auf Japan. HDMI-Kabel werden geprüft, Lautstärken geregelt, die besten Plätze belegt.

Binnen weniger Minuten füllen sich die Reihen. Es scheint fast gewöhnlich, nachmittags in die Kneipe zu gehen. Schade, denke ich mir, dass die Männer nicht Dreiteiler und Zylinder tragen und Zigarren paffen. Das hätte was Anständiges. So gleichen mir viele im Outfit: gemütlich. Ich komme im grauen XXL-Pullover wie Stromberg beim Bowling-Abend. Sieht so Deutschland 2022 aus?

Ohne Verve, ohne Leidenschaft schaukelte man sich der WM entgegen. Vermutung: Es ging dem deutschen Fußball, nein, dem Weltfußball schon mal besser. Seit Wochen dominieren Katar, die Menschenrechtsverletzungen dort, groß angekündigte und klein durchgesetzte Boykotte sowie das blöde Gesabbel der TV-Experten die Gespräche. Immer wieder die Zahl: Tausende von Toten. Es ist ein schmaler Grat zwischen Kondolieren und Masturbieren. Manche finden sich ganz toll in der Position des Boykotts, so wie man den Iran, Nestlé oder Germany‘s Next Top Model boykottiert, haben aber noch nie einen echten Fußballplatz vom Spielfeldrand erblickt.

Zum Griffeln und für zwischendurch: Erdnussflips und Salzbrezeln sind im Alt Gifhorn ein klassischer Snack.

Foto: KURT Media

Gleich geht‘s los. Moderatorin Esther Sedlaczek mit einem schönen grünen Anzug, so grün wie der Rollrasen in Katar. Bastian Schweinsteiger valiumt ins Mikro – schnarch. Die japanische Hymne dagegen entsprechend aufbauend und würdevoll. Die Aufstellung folgt. Müller spielt, erste Enttäuschung, zweites Bier. Wenige Minuten im Spiel, İlkay Gündoğan nach einem Fehlpass laut einigen Typen aus der Ecke nur „der Türke“. Meine Begleitung guckt bestürzt. Als Gündoğan dann zum 1:0 trifft, jubel ich laut für die deutsche Integrationsgesellschaft. Außerdem spendiert das Alt Gifhorn dafür eine Rutsche Freibier. Tut der Stimmung im Laden erwartungsgemäß gut.

Halbzeit-Meinung eines Stammgasts auf der Toilette: „Süle und Schlotterbeck, das sind meine Sündenböcke. Zwei Pflaumen, die durchgeschleppt werden.“ Kann man so sehen. Ich befrage einen zur WM-Laune, der sagt: „Mir gefällt nicht, dass eine WM so ein Politikum wird.“ Strittig.

Das Alt Gifhorn ist nun richtig heiß gelaufen. In der Küche brodelt die Currywurst. Ich halte mich vorerst an Flips und Salzbrezeln. Ein irres Tempo fahren die Bedienungen, Biere werden im Sekundentakt gezapft, jemand bestellt sogar einen Milchkaffee. Klirrende Gläser, das Surren des Zapfhahns, das Klickgeräusch, wenn der Kugelschreiber seine Mine ausfährt und einen neuen Strich auf dem Bierdeckel macht – Kribbeln für meine sensiblen Ohren.

Anpfiff zweite Hälfte. Bei Jamal Musiala sind sich alle einig: Der hätte sein Tor verdient, der ist die Zukunft und trotzdem bereit, uns schon in der Gegenwart zu beglücken. Was ein geiler Schwan. Man möchte ihn Wunderkind nennen, lässt es aber, weil man weiß, was das für ein ungesunder Druck ist. Dann der Doppelschock, namentlich Ritsu Dōan und Takuma Asano. Plötzlich steht es 1:2 aus Sicht der deutschen Nationalelf. Trainer Flick fickerig. Sieht aus, als würde er am Rand der Tanzfläche mit anschauen müssen, wie der beste Freund seine Jugendliebe zu A-has „Take On Me“ durch die Gegend wirbelt. Die Niederlage ist besiegelt.

Fassungslos ob der Leistung der deutschen Nationalmannschaft: Leon Goretzka (von links), Tagesschau-Sprecher Jens Riewa und Malte Schönfeld üben sich im Umgang mit der 1:2-Niederlage gegen Japan.

Foto: KURT Media

Wütend wird Schnaps bestellt. Leere Zigarettenschachteln werden zerknüllt, neue gekauft. Menschen satteln auf eisgekühlte Rum-Cola um. Halte ich für keine gute Idee. Wann hat ein Tag das letzte Mal gut geendet, als man um 17.30 Uhr einen Longdrink bestellte? Ein alter Witz, der mir in diesem Zusammenhang einfällt: Lieber ein wackliger Wirtshaustisch als ein fester Arbeitsplatz – ha ha! Diskutiere mit meinen Thekennachbarn das Für und Wider von Klettverschlussschuhen. Gehe zum 14. Mal auf die Toilette. Mir platzt beinahe die Birne, so warm ist es.

Im Laufe des Spiels Spanien – Costa Rica, Anpfiff 17 Uhr, verliert sich ein wenig die Spur der Bestellungen. Meine Begleitung schmeißt eine Lokalrunde, lädt hier mal jemanden auf ein Bier ein, dort auf einen Havana-Cola. Kluger Einfall: die Bestellung der bierbegleitenden Speisen. Uns werden Frischkäse-Jalapeños und gefüllter Backcamembert mit Preiselbeeren und Ketchup serviert. Die gefüllten Schoten jagen mir einen gehörigen Schrecken ein: Wie scharf sind diese Teile denn? Mein lieber Scholli. Irgendwie aber auch geil. Eine Bekannte unterstützt inzwischen, den Bierdeckel zu füllen.

Ein richtiger Schotenhauer: Die Frischkäse-Jalapeños treiben KURTs Tester Malte Schönfeld Tränen in die Augen.

Foto: KURT Media

Gegen 21 Uhr ist für mich der Abend vorbei. Denke ich zumindest. Nur um sensationell kurze zehn Sekunden verpasse ich den Schienenersatzverkehr von Gifhorn nach Braunschweig; der Busfahrer hatte keine Lust, auf den verspäteten Zug zu warten. Es folgt eine lange Stunde am dunklen Bahnhof. Als ich später in meiner Wohnung ankomme, schmerzen mir die Füße, die Augen, die Arme. Deutschland? So egal. Die Niederlage und alles, was da gefühlig dranhängt, kümmert mich nicht die Bohne.

Einige Tage später spricht mich meine Begleitung an. Sie hatte das Alt Gifhorn um 0.04 Uhr verlassen und unsere Rechnung beglichen. Zehn Stunden Kneipe hinterlassen ihre Spuren. Sie röchelt wie ein Gauloises-Markenbotschafter. Von Fußball hat sie noch immer keine Ahnung – das Alt Gifhorn können wir trotzdem herzlich empfehlen.

Alt Gifhorn
Am Weinberg 1, Gifhorn
Di. – Fr. 17 bis 23 Uhr


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