Letzte Ruhe

Das Trauern und Trösten beim Abschied auf Abstand - Vier Bestatter aus unserer Region berichten vom letzten Weg in Zeiten der Pandemie

Marieke Eichner Veröffentlicht am 05.06.2021
Das Trauern und Trösten beim Abschied auf Abstand - Vier Bestatter aus unserer Region berichten vom letzten Weg in Zeiten der Pandemie

Andreas Günter, Bestatter in Gifhorn und Braunschweig, beobachtet neue Kondolenzformen. Er bedauert, dass der Leichenschmaus als Trauerritual entfällt. Umso gefragter ist der Bestatter als Trauerbegleiter.

Foto: Çağla Canıdar

Wenn es gegenwärtig einen Menschen aufzumuntern gilt, fällt oft der Satz: „Ich würd‘ Dich ja gerne umarmen, aber...“ Nach mehr als einem Jahr suchen wir immer noch Wege, emotionale Nähe auf Distanz zu fühlen. Nirgends zeigt sich dieses Problem deutlicher als im Trauerfall. Was passiert mit Menschen, die Nähe brauchen, aber auf Abstand bleiben müssen? Wenn Angehörige auswählen müssen, wer bei der Trauerfeier Abschied nehmen darf? KURT hat bei den Bestattern Andreas Günter, Patriz Brünsch, Gerhard Jahn und Margret Schiesgeries nachgefragt: Wie hat Corona die Bestattungskultur – das Trauern und Trösten – in Gifhorn verändert?

„Man benutzt immer mehr den digitalen Weg“, stellt Andreas Günter fest. Der Bestatter aus Gifhorn versucht, Trauergespräche auf die Telefonberatung zu reduzieren. „Bis hin zu Bildern per Mail von Dingen, die man für die Trauerfeier und Bestattung aussuchen muss.“ Nur noch in seltenen Fällen trifft er die Angehörigen persönlich. „Früher wurde das Vorgespräch in großer Familienrunde geführt, die Entscheidungen lasteten auf mehreren Schultern.“

Vertrauen aufzubauen fiele schwerer, bedauert Andreas Günter. „Manchmal führt man mehr ein Trauer- als ein Beratungsgespräch. Dann muss man einfach nur zuhören. Als Bestatter ist man an der Trauer beteiligt.“ Doch das könne man nicht oder nur schwer über den Bildschirm vermitteln.

Besonders belastend sei es, wenn Angehörige ihren geliebten Menschen schon im Sterbeprozess nicht begleiten konnten, so Andreas Günter. Außerdem blieben Trauerfeiern meist auf den kleinsten Familienkreis beschränkt. „Sicherlich lässt sich das nach draußen vor die Tür übertragen – aber die Angehörigen drinnen sitzen dann trotzdem allein.“ Der Bestatter konnte beobachten, dass sich neue Ausdrucksweisen der Kondolenz entwickeln: „Manche legen die Hand aufs Herz und nicken den Angehörigen zu.“

„Schade, dass es auch im Anschluss keine Kaffeetafel mehr gibt“, sagt Andreas Günter. „Der Austausch, den Verstorbenen noch mal in die Mitte zu nehmen – das ist ein wichtiges Trauerritual“, betont er. Umso wichtiger sei es da, den schwierigen Prozess des Abschiednehmens durch gute seelsorgerische Arbeit so angenehm wie möglich zu gestalten – durch Beratung, Betreuung und Begleitung. „Es ist nicht einfach, aber wir sind sehr bemüht. Und die Menschen sind dankbar für das, was wir ermöglichen.“

Patriz Brünsch will Gespräche weiterhin persönlich führen. Der Bestatter aus Grassel findet, das Trauern auf Abstand mache den Abschied nicht unbedingt schwieriger – Sterben gehöre zum Alltag.

Foto: Çağla Canıdar

Patriz Brünsch, Bestatter aus Grassel, führt weiterhin persönliche Gespräche – mit Abstand, Maske und im kleinen Rahmen mit der minimalen Anzahl von Personen. „Wir wollen das Gefühl vermitteln: Wir sind da – gerade in dieser besonderen Zeit.“

Der Bestatter erklärt, wie der letzte Weg aussieht, wenn bei Verstorbenen eine Corona-Infektion vorliegt: „Ein schwerer Moment für die Familien. Eine Abschiednahme am offenen Sarg ist dann leider nicht möglich.“ Keine Herrichtung, kein Waschen, kein Bekleiden der Verstorbenen. Sie werden so, wie sie aufgefunden wurden, auch zur letzen Ruhe gebettet.

Trauern auf Abstand mache den Abschied nicht unbedingt schwieriger, meint Patriz Brünsch. „Man muss nur neue Formen finden, neue Möglichkeiten, sich nahe zu sein.“ Bei Bestattungen beobachtet er intensivierten Blickkontakt. „Die Familien sehen die Anteilnahme, wenn sie an den Mittrauernden vorbeigehen. Ich habe das als großen Trost für die Angehörigen empfunden.“

„Manchmal müssen Hinterbliebene mit sich ringen, weil sie nicht jedem, der Abschied nehmen will, das ermöglichen können“, seufzt Patriz Brünsch. „Sie wissen um die Verbundenheit, müssen aber einen Strich ziehen – das hat viel gemacht mit den Menschen.“ Und dennoch: „Wir haben es geschafft, dass es zu einem guten Abschied kam, auch in ungewöhnlichem Rahmen.“

Liebevolle Empathie sei dabei unerlässlich, erläutert Patriz Brünsch – das gehe schon am Telefon los: „Ich bin sowieso ein emotionaler Mensch und hier im ländlichen Raum kenne ich die Angehörigen und Verstorbenen. Da ist mitunter eine gewisse Nähe und Vertrautheit schon da.“

Gerhard Jahn versucht‘s digital – aber das ist Älteren oft nicht möglich. Der Neubokeler Bestatter ist heute mehr Seelsorger als Dienstleister.

Foto: Çağla Canıdar

Das Sterben gehöre nun mal zum Alltag dazu, so der Bestatter aus Grassel: „Umso mehr wünsche ich mir, dass alle am Abschied eines Menschen teilnehmen können.“

Gerhard Jahn, Bestatter aus Neubokel, weiß: „Es soll digitaler werden – und das wird es auch.“ Aber: „Wir haben viel mit älteren Leuten zu tun – die sind für diese Medien nicht offen.“ Daher versucht er, wenigstens das Erstgespräch persönlich zu führen – mit Hygienekonzept versteht sich. „Die Leute wollen kein Bild von mir sehen. Die wollen wissen: Wer ist mein Bestatter.“

Der Kontakt sei wesentlich weniger und kürzer als früher. „Auf dem Dorf kennt man sich. Aber wo man früher mal eine halbe Stunde zusammen sitzen geblieben ist, fehlen heute die persönlichen Gespräche.“ Klar ginge es per Mail schneller, „aber dann schreibt man doch wieder dreimal hin und her“.

Aufgrund der Kontaktreduzierung kümmert sich Gerhard Jahn vermehrt um Blumenbeigaben, Traueranzeigen und mehr. „Früher sind die Angehörigen selbst in den Blumenladen gegangen, heute suchen sie ein Gesteck per Bild aus“, erklärt er. „Alle sind bestrebt, ihre Kontakte zu reduzieren, also wird alles mit einer Stelle – mit uns – geklärt.“

Die Betreuung sei ähnlich geblieben, das Miteinander habe sich verändert, findet der Bestatter. „Wir führen nähere Gespräche, sind dichter an der Tatsache des Todes. Früher waren wir eher Dienstleister, jetzt kommt man durch die geringe Personenanzahl eher ins Gespräch. Da gab es eine Verschiebung zu mehr Seelsorge.“

Auch Gerhard Jahn betont die Wichtigkeit des Leichenschmauses für die Trauerbewältigung. „Das merkt man, das hört man: Da haben die Angehörigen mit zu kämpfen, dass es kein Kaffeetrinken gibt.“ Der Bestatter bedenkt: „Da, wo man früher eine Schulter anbieten konnte, ist das heute nicht mehr möglich. Es geht alles nur mit Worten.“

Margret Schiesgeries bemerkt, dass vor allem die Teilnehmerzahl bei Trauerfeiern die Angehörigen verunsichert. Für die Bestatterin aus Müden waren Beisetzungen im engsten Familienkreis früher die Ausnahme.

Foto: Çağla Canıdar

Auch Margret Schiesgeries, Bestatterin aus Müden, bemerkt die Verunsicherung der Angehörigen, wenn es um die Anzahl der Teilnehmer bei der Trauerfeier geht. „Die ist abhängig von den Kapellengrößen“, erklärt sie. „In den Annoncen steht dann immer, dass die Bestattung im engsten Familienkreis stattfindet. Bei manchen war das schon vor Corona so.“ Trotzdem gibt sie zu bedenken: „Das ist eine doofe Situation für Angehörige: Wer kommt mit zur Trauerfeier, wer muss draußen vor der Tür bleiben?“ Zur Trauerfeier muss eine Teilnehmerliste geführt werden, eine Kondolenzliste liegt hingegen nicht aus, gesungen wird nicht, die Musik kommt vom Band. Dass Beisetzungen nur im engsten Kreis geschehen, sei früher bei ihr eher eine Ausnahme gewesen, berichtet Margret Schiesgeries.

„Wenn man auf Abstand ist, dann muss man die richtigen Worte finden“, betont die Bestatterin. „Und manchmal um Verständnis bitten.“ Das sei schon problematisch, „mit manchen ist man persönlich bekannt, aber man kennt ja nicht alle gleich gut“.

Der schlimmste Fall sei für sie, wenn alle Gespräche, der gesamte Kontakt nur noch über Video stattfinden könne und nichts mehr persönlich gehe. Da würde sie lieber Gespräche draußen im Freien stattfinden lassen. Denn: „Manches lässt sich am Telefon klären – aber eben nicht alles.“

Zur Abholung von Verstorbenen müsse sie sowieso vor Ort sein, wirft Margret Schiesgeries ein. „Man muss ja auch ins Haus der Verstorbenen, man muss da halt hin – und machen, was zu tun ist.“


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