Glauben & Zweifeln

Alles muss raus - Die zweifelhafte Botschaft auf Wahlplakaten

Martin Wrasmann Veröffentlicht am 23.09.2021
Alles muss raus - Die zweifelhafte Botschaft auf Wahlplakaten

Ich bin Martin Wrasmann – Sie kennen mich.

Foto: Michael Uhmeyer

Keine Laterne ohne Botschaft, die Kommunalwahlen liegen hinter uns, die Wahl zum Bundestag vor uns. Werbestrateginnen und Strategen unterschiedlicher Couleur haben die Parteien beraten und die Versuche gestartet, die Programmatik einer Partei auf eine Kurzformel zu bringen. Dabei ist mitunter Absurdes, Unverständliches wie auch Prägnantes und Kreatives entstanden. Wie jedoch muss eine Kurzformel aussehen, dass sie die Menschen in Hirn und Seele erreicht? Was sind die Kriterien einer gelungenen Kurzformel?

Eine solche Kurzformel sollte verständlich sein. Sie muss das Wesentliche vom Zweitrangigen unterscheiden helfen; die verwendete Sprache sollte die des zeitgenössischen Gebrauchs sein; es geht also um zupackende, griffige wiederholbare Formeln; und diese sollten selbsterklärend sein. Die Formel „Deutschland gemeinsam machen“, wie es derzeit plakatiert wird, wirft eher Fragen auf. Was soll da eigentlich gemacht werden? Köche denken bei diesem Slogan vielleicht eher an Brei. Eine Partei hat diesen Slogan so verarbeitet: „Gemeinsam. Kinder. Machen.“ Verstehe es, wer will, verständlich ist es nicht.

Die Formel sollte sich an normale und vielbeschäftigte Leute richten, die sich bei weitem nicht nur für Politik und Lebensphilosophie interessieren. In Kurzformeln soll man nicht schon wieder doch alles ausdrücken wollen, es dürfen sogar Aspekte fehlen, sogar substantielle.

Sie sollte eine Grundidentität desjenigen, der die Botschaft verfasst, zum Ausdruck bringen. „Neue Deutsche? Machen wir selber“, plakatiert eine weitere Partei, die dafür als Vorbild wohl das Idealbild der Frau im Nationalsozialismus hat. Die deutsche Mutter, die ihre Aufgabe, so der Nazi-Jargon, „in der Reproduktion des deutschen Volkskörpers“ hat. Ab 1938 winkte dafür das Mutterkreuz, im Volksmund auch „Karnickelkreuz“ genannt. Die Formel entlarvt das Bei- und Blendwerk, welches das eigentlich Wichtige im Laufe der Zeiten überwuchert hat. Deshalb müssen Kurzformeln mobil bleiben und sind daher eher kurzlebig – manchmal Gott sei Dank.

Eine Kurzformel kann die Lesenden dazu anstiften, für sich selbst und seine und ihre Lebensbezüge eine Kurzformel zu setzen. Ich liebe die folgende Geschichte: Im Religionsunterricht für angehende Gesellen im robusten Gewerbe fleischverarbeitender Berufe fragte einer die Lehrerin: „Sagen Sie mal, wer ist eigentlich diese Maria?“ Gemeint war die Mutter Jesu. Die Antwort der Pädagogin kommt schnell, klar und ohne Zögern: „Doppelklick auf Gott.“ Drei Worte, die, wie man hörte, funktioniert haben. Der Fleischergeselle hatte genickt. Keine Schwafelei, voll auf den Punkt. So mancher Theologe hätte so an die 100 Wörter gebraucht.

Vernünftiges Denken sollte für die kurzen Ansagen Voraussetzung sein: „Rente hoch, Rentenalter runter“ – klar auf den Punkt gebracht von einer weiteren Partei, auch wenn ich dieser Formel nicht zustimmen muss.

Satire darf auch Bestandteil der Wahlformeln sein, wenn sie nicht für einen blutleeren Hedonismus Platz machen muss: „Irgendwas“ oder „Dafür und Dagegen“ oder „Wähle Mandy, sie ist sehr Kluk“ – wie eine weitere Partei plakatiert.

„Zukunft wird nicht auf Profit gebaut, Gemeinwohl-Ökonomie mit Weitblick, statt blinder Wachstumswahn“ – ein Wahlspruch, der weder verständlich noch prägnant oder leuchtstark, wohl aber kurzlebig ist; wie es wohl auch diese Partei sein könnte.

„Freiheit beginnt im Kopf“ – sagt eine andere Partei im Blick auf einen Freiheitsbegriff, der sich wohl nur rational versteht und dem ich entgegenhalten würde: Begrenzung beginnt im Kopf, Freiheit beginnt im Herzen. Und hier ist die wichtigste Botschaft zur diesjährigen Bundestagswahl, die Aneinanderreihung von Wahlaussagen:

Weil die Freiheit nicht nur im Kopf beginnt, gab es nie mehr zu tun: was nur gelingt, wenn wir unteilbar solidarisch sind und anerkennen, dass für Deutschland alles drin ist, wenn wir Deutschland gemeinsam machen, mit Sicherheit, denn unser Land kann viel, wenn man es lässt und damit die Richtung stimmt. Dies alles geschieht aus Liebe zur Freiheit und wir (Politik) sind bereit, weil Ihr es seid. Warten wir nicht länger, Veränderung geht nur gemeinsam und Zukunft braucht Verbündete. Mach mit, damit sich wirklich etwas ändert, aus Respekt vor Deiner Zukunft. Und: Ehrlich wählt am längsten.

Verstehen Sie es als Rätsel (Welcher Spruch gehört zu welcher Partei?) – oder als das umfassendste Programm aller Zeiten.

Ich bin Martin Wrasmann – Sie kennen mich.

Martin Wrasmann, Pastoralreferent emeritus der St. Altfrid-Gemeinde in Gifhorn, schreibt die monatliche KURT-Kolumne „Glauben & Zweifeln“. Beipflichtungen wie auch Widerworte sind stets willkommen. Leserbriefe gerne an redaktion@kurt-gifhorn.de.


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