Raum für Notizen

Was habt Ihr ‘24 getan? – Unsere Kolumnistin Mia Anna Elisabeth Timmer berichtet von den politischen und existenziellen Sorgen einer jungen Erwachsenen

Mia Anna Elisabeth Timmer Veröffentlicht am 24.11.2024
Was habt Ihr ‘24 getan? – Unsere Kolumnistin Mia Anna Elisabeth Timmer berichtet von den politischen und existenziellen Sorgen einer jungen Erwachsenen

Mit großer Sorgen blickt Mia Anna Elisabeth Timmer in ihrer Kolumne „Raum für Notizen“ auf die politische Lage.

Foto: Bastian Till Nowak

Wahl-O-Mat gebe ich bei Google ein, die vorgezogene Bundestagswahl wird meine erste sein. Ich bin ratlos, was ich wählen soll. Am 6. November zerbrach die Ampel-Koalition. Im Januar will der Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellen, einige Wochen später sollen Neuwahlen folgen. Und ich bleibe ratlos.

Wie soll sich überhaupt eine Regierung bilden, die uns vertritt? Also eine Regierung ohne Populismus, Lügen, Feindbilder und fragwürdige Ideologien – ich meine eine starke, ehrliche Regierung, die uns alle wieder eint. Wer möchte denn noch ehrlich für uns einstehen – ohne Geldgier, ohne menschenverachtendes Gedankengut, ohne Faschismus.

In den USA haben sie es ja auch verkackt. Da wurde ein verurteilter Straftäter, Sexist und Rassist gewählt – schon fast eine Kunst, das alles in einer Person zu vereinen. Bei uns gipfelt das oft nicht in einer Person, ein solches Abbild leisten viele Parteien mühevoll gemeinsam – immerhin etwas, das sie verbindet.

Davor möchte ich flüchten – weit weg. Aber wohin? Zerfällt Europa, dann kann ich nirgendwo hin. Angenommen wir treten dank der blau getarnten Braunen aus, ja, dann ist mein Pass wertlos – freie Grenzen Fehlanzeige. Aber vielleicht kommt ja Putin und macht mich zum Flüchtling. Ich will es niemals wahrhaben: Muss ich meine Heimat wegen eines Narzissten auf Nationalsteroiden eines Tages aufgeben?

Ich will keine Trümmerfrau sein, ich will nur an meinem Schreibtisch sitzen und fragwürdige Texte tippen. Doch jetzt wird‘s ernst, jetzt muss ich erwachsen werden, wir alle müssen uns unserer Verantwortung bewusst sein. Statt Zwanzigern voller Studentenpartys, Karriereleitern und vielleicht einer unvorhergesehenen Schwangerschaft bekomme ich drohenden Krieg, schmerzhafte Wirtschaftskrisen, menschengemachten Klimawandel, fürchterlichen Sexismus, Hass und Hetze.

Streiten wir uns noch darüber, ob‘s den Klimawandel gibt, wenn das Hochwasser kommt und die Wälder brennen? Was bringt mein Einsatz, wenn‘s ums Wohl der großen Konzerne geht? Werde ich je eine Rente kriegen? Oder geh ich doch am Krieg zugrunde? Habe ich noch einen Job, wenn‘s die Pressefreiheit vielleicht nicht mehr gibt? Wer kümmert sich darum, dass unser Schulsystem endlich wieder einen Wert hat? Was werden meine Kinder ertragen müssen? Wen interessieren meine erschlagenden Sorgen überhaupt?

Wie hätte ich zu Beginn des 20. Jahrhunderts gehandelt, als die Nazis auf dem Vormarsch waren – und was hättet Ihr getan? Überlegt bitte nicht zu lang, die Antwort brauchen wir genau jetzt.


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