Musik

Von einem, der auszog, in New York zu jazzen – Der gebürtige Gifhorner Dierk Peters spielt das Vibraphon seit er 16 ist

Matthias Bosenick Veröffentlicht am 13.12.2020
Von einem, der auszog, in New York zu jazzen – Der gebürtige Gifhorner Dierk Peters spielt das Vibraphon seit er 16 ist

Der Musiker Dierk Peters in seiner Wahlheimat New York, irgendwo in der Nähe vom Brooklyn-Army-Terminal im November 2019. Sein musikalisches Herz schlägt seit Jahren für das Vibraphon.

Foto: Chloé Marchal

Wie viele gebürtige Gifhorner leben eigentlich in New York? Dierk Peters jedenfalls ist einer von ihnen: ein gefeierter Jazz-Vibraphonist, der dort ein Musiker-Netzwerk fand, aber auch von Deutschland aus Alben aufnimmt – dieser Tage erscheint eines mit seinem Freund Janning Trumann – und Konzerte gibt. Der 34-Jährige erzählt davon, auf einem Klavier Schlagzeug zu spielen, von Freunden als Inspiration und dem Leben in Brooklyn. In Gifhorn indes verlebte er kaum vier Wochen seines Lebens, aber das war nicht seine Entscheidung.

„Gifhorn kenne ich nicht wirklich“, bekennt Dierk Peters lachend. „Meine Mutter meinte, ich habe dort vier Wochen meines Lebens gewohnt, dann sind wir nach Winsen an der Luhe gezogen.“ Nicht einmal Kindheitserinnerungen hat er daher an seine Geburtsstadt, aber: „Ich bin einmal mit meiner Schwester runtergefahren, um das ehemalige Appartement meiner Eltern zu sehen.“ Bei dieser Gelegenheit sei er jedoch lediglich „durchgereist, nicht richtig dagewesen“. Dabei stammt seine Familie aus der Gegend, seine Mutter kommt aus der Nähe von Göttingen, arbeitete in Gifhorn, siedelte aber 1986 mit seinem Vater nach Winsen um, aus beruflichen Gründen.

Dierk Peters hochkonzentriert in seinem Element – am Vibraphon – bei einem Konzert im Loft in Köln im Oktober 2018.

Foto: Peter Tümmers

Und da Winsen niemand kennt und es nahe bei Hamburg liegt, gibt Dierk allgemein Hamburg als seine Herkunft an, „das ist einfacher“. Gifhorn ist lediglich sein Geburtsort – und New York wiederum seit vier Jahren sein Wohnort.

Und das kam so: „Ich bin aufgewachsen in Winsen“, setzt Dierk an. Von dort aus zog er nach dem Abitur zum Studieren nach Köln, „fast zehn Jahre habe ich dort gelebt“, und erhielt ein Stipendium in den USA. „Das war eine einmalige Chance, New York kennenzulernen“, schwärmt Dierk. „Ich habe dort meinen Master gemacht und mich in die Stadt verliebt.“ Seit vier Jahren lebt er dort, davon die ersten zwei als Student und nun „auf eigene Faust“.

Dierk Peters kommt aus dem Schwärmen über New York nicht heraus: „Für Jazz-Musik ist es der Wahnsinn, die Dichte an Clubs, Kultur, Musikern und Künstlern ist immens.“ Zu seinem Start hatte er das Glück, sich mit dem Stipendium in der Tasche nicht sorgen zu müssen: „Ich hatte ein bisschen Arbeit und Zeit, alles kennenzulernen – das war eine wahnsinnig schöne Zeit, Konzerte jeden Abend, man lernt Leute kennen, bildet ein Netzwerk – das Auslandsstudium wurde zu meiner neuen Homebase.“

In seiner Wahlheimat ergaben sich für Dierk viele Chancen, „ich hatte das Gefühl, dass eine ganze Menge möglich ist“. Die richtigen Leute getroffen zu haben, gab ihm Bestätigung. Vom Live-Spielen zu leben indes sei in Europa „nicht wesentlich leichter“ als in den USA, stellt er dabei fest. Auch in Köln musste er unterrichten, um sich die Miete leisten zu können. Als Lehrender sei es in New York für ihn jedoch leichter, da Musikunterricht in den Vereinigten Staaten besser entlohnt werde. Mit dem Ergebnis, dass er ein „angenehmes“ Maß an Zeit übrig hat, um frei zu musizieren. Vom Spielen leben zu können bleibt aber Utopie: „Ich habe noch nicht herausgefunden, wie das funktioniert“, lacht er, „und die meisten Kollegen auch nicht“.

Seit vier Jahren lebt Dierk Peters in New York, der Times Square ist das kulturelle Zentrum. Für ihn ist die Stadt ein Quell der Inspiration.

Foto: Pexels/ Alexandru Vlad

Zum Vibraphon – ein gerade einmal rund 100 Jahre altes Instrument, eine Art Marimba mit Metallplatten und Resonanzröhren, das man stehend mit Schlägeln spielt – als sein Instrument kam Dierk über das Schlagzeug, das er mit sechs, sieben Jahren zu spielen begann. „Ich war in der Lüneburger Heide in meiner Jugend zum Glück der einzige Trommler“, erinnert er sich. „Nie besonders gut, aber gut genug für kleinere Beschäftigungen.“

Mit 12, 13 Jahren erforschte er mit Leonhard Kuhn den Jazz – mit ihm ist Dierk noch heute befreundet. Leonhard ist inzwischen ein von München aus agierender Jazz-Gitarrist, der unter anderem in der Jazzrausch-Bigband spielt. Im Rahmen der musikalischen Frühförderung, die Dierk in Norddeutschland genoss, stieß er dann mit 16 auf das Vibraphon: Sein gymnasialer Tutor Wilfried Bokelmann – Kopf der Jazz-IG Lüneburg – ließ ihn „hautnah“ erleben, „was es kann und ist. Er hat mir die ersten Schritte beigebracht“.

Für Dierk ergab sich schnell die Erkenntnis, dass er am Vibraphon das, was er auf dem Schlagzeug gelernt hatte, quasi aufs Klavier überträgt. In den Schulpausen übte er mehr und mehr daran, ließ das Schlagzeug bald ganz weg. „Das Vibraphon ist ein flexibles Instrument“, findet Dierk, „ich habe die Freiheit, darauf alles Mögliche zu machen.“ So könne er es perkussiv spielen, aber auch, sobald er vier Schlägel verwendet, „Melodien spielen wie ein Gitarrist“. Er kann also wahlweise die Rolle als rhythmischer Begleiter einer Band einnehmen oder die melodiöse des Sängers oder Saxophonisten. Dierk Peters: „Ich habe für mich noch kein Instrument gefunden, das das kann.“ Beim Xylophon etwa empfindet er die Tonlage als zu hoch, zudem sei es wie die Marimba zu kurz im Anschlag, um längere Töne zu spielen, und beim Vibraphon wiederum entfalle das rein Perkussive. Er schließt: „Mit dem Vibraphon kann ich wie beim Synthesizer warme Flächen legen – es ist anders.“

Haben „Ambrosia“ eingespielt: Dierk Peters am Vibraphon, Kontrabassist David Helm, Akkordeonist Laurent Derache, Schlagzeuger Fabian Arends, Klarinettist Stefan Karl Schmid und Trompeter Bastian Stein.

Foto: Peter Tümmers

Nicht nur auf Bühnen, auch ins Studio brachte Dierk sein Vibraphon: Unter eigener Regie nahm er damit inzwischen fünf CDs auf, drei mit dem Quintett Offshore aus Köln, dem er seit elf Jahren vorsteht, eine CD im Quartett-Format mit dem Projekt Botter, das er gemeinsam mit dem Saxophonisten Julian Ritter ebenfalls von Köln aus leitet, sowie sein Solo-Album „Ambrosia“, das er im vergangenen Jahr veröffentlichte. Dafür komponierte er Musik für ein Sextett, mit einem bemerkenswerten Konzept: Jedes vertretene Instrument stammt aus einer anderen Instrumentengruppe, nämlich Schlagzeug, Bass, Akkordeon, Klarinette, Trompete und Vibraphon. Kompositorisch eine Herausforderung, mit einem sehr überraschenden Ergebnis. Dierk nickt: „Man weiß beim Zuhören nicht genau, was da passiert.“ Manche Passagen könnten etwa auch von einem Synthesizer stammen. Sein Plan war, die „ziemlich komplexen Vorgänge so herunterzubrechen, dass jeder etwas mitnehmen kann, dass es nahbar bleibt, dass ein Ohrwurm da ist, unterfüttert mit Spielereien und Tricks“. Das ist ihm gelungen, die Musik atmet, wirkt nicht von den sechs Instrumenten überladen, birgt Unerwartetes und fängt auch Hörer ein, die nicht zwingend auf Jazz aus sind. Kurzum: „Musik, die ich persönlich gerne hören wollen würde.“

Seinen beteiligten Kollegen ist Dierk Peters zudem für das Ergebnis ausgesprochen dankbar und verrät, dass die größte Schwierigkeit war, einen Akkordeonisten zu finden: Laurent Derache aus Paris war dann die Rettung. Die anderen vier – Bastian Stein, Stefan Karl Schmidt, David Helm und Fabian Arends – leben in Köln, und Dierk feiert sie dankbar als begnadete „Improvisatoren“.

„Und es gibt einen ganzen Haufen CDs mit mir als Begleiter“, ergänzt Dierk, insbesondere von Janning Trumann: „Ich schätze mich glücklich, dass ich in seinem Beuteschema bin.“ Jüngste Veröffentlichung ist das Album „Emotional Reality“ und kurz vor der Veröffentlichung liegt schon das nächste, noch unbetitelte Album mit den Janning Trumann 8, „letztes Jahr in diversen Kirchen im Norden eingespielt, mit Orgel, Bläsern und Vibraphon“, erzählt Dierk.

Im Norden Deutschlands, wohlgemerkt: Janning Trumann kommt aus Barum bei Uelzen. „Wir sind Freunde, seitdem wir 15, 16 sind“, erklärt Dierk. Sie lernten sich in der Gruppe von Wilfried Bokelmann in Lüneburg kennen, und Janning ist nicht der einzige aus der Zeit, zu dem Dierk Peters noch Kontakt hat: Charlotte Greve etwa lebt heute ebenfalls in New York – zufällig traf er sie, „das war witzig, nach 20 Jahren“.

Fragt man Dierk nach seinen musikalischen Vorbildern, führt er keine populäre Helden an: „Ich bewundere meine Kollegen aus meiner Generation hüben wie drüben, auch meine Kollegen aus meiner Band überraschen mich mit ihren eigenen Wegen.“ Er schwärmt von seinem Netzwerk in Köln und Berlin: „Die sind alle umtriebig, jeder forscht an etwas Neuem.“ Daher inspirieren ihn am meisten die Musiker, die „Neugier haben für Forschung und Neues“. So, dass sie es in Balance halten mit der Tradition, dass sie etwa improvisieren, aber auch in der Lage sind, zu spielen wie in den 40ern oder 50ern, als das Genre Jazz noch frisch war.

Dierk begeistert sich auch für die Fusion von Jazz und Elektronik, wenn Künstler „sehr komplexe kompositorische Methoden und elektronische Musik“ kombinieren. Exemplarisch führt er den Bassisten Petter Eldh an, der die Soundästhetik des Trap für improvisatorische Stücke nutzt. Oder Jochen Rueckert, ebenfalls aus New York, eigentlich bekannt für akustisches Trommeln, der als Nebenstandbein unter dem Alias Wolff Parkinson White elektronische Musik macht, die bestenfalls an Aphex Twin erinnert, nur „weitergedacht“, wie Dierk findet.

Vibraphonisten wiederum gebe es weltweit gar nicht so viele, und wenn man danach googelt, so Dierk, erhalte man vielleicht zehn Namen, und „jeder von ihnen ist definitiv hörenswert“. Wer das Vibraphon spielt, entfalte eine „gewaltige Power“. Er vergleicht etwa Bobby Hutcherson und Gary Burton: „Das klingt wie zwei verschiedene Instrumente.“ Ein weiteres Beispiel ist Stefon Harris, bei dem Dierk Peters in New York studiert, „der ist ein Freund und Mentor“. Und er führt Christopher Dell an – sowie seinen Nachbarn und Freund aus Brooklyn, Stefan Bauer. „Jeder hat einen komplett anderen Zugang zu dem Instrument“, betont Dierk. „Das ist inspirierend – man kann nur ein Pionier sein am Vibraphon, es gibt nichts, woran man sich messen muss.“ Noch ein Aspekt für Individualität als Vibraphonist ist, wie er lachend anführt: „Es gibt keinen Bedarf für uns.“

In Europa hält sich Dierk üblicherweise noch dreimal pro Jahr auf, „für Tourneen, Konzerte, Freunde und Familie“, doch sei er in diesem Jahr virusbedingt noch gar nicht wieder in Deutschland gewesen. „Ärgerlich“ sei dies, weil einige Touren abgesagt wurden oder gar nicht erst zur Planung kamen. Im Winter soll es aber einmal nach Deutschland gehen, „wenn alles gutgeht“, zu einem Auftritt in der Kölner Philharmonie mit dem Trumann-Oktett und einer lokalen Orgel.

Und er behält künftig Gifhorn im Auge – vielleicht ergibt sich in seiner Geburtsstadt dereinst die Gelegenheit, seinen Vibraphon-Jazz auf einer Bühne zu präsentieren.


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