KURT deckt auf
Untersucht endlich alle Schlammgruben! Gifhorns Kreisverwaltung und Landesbergamt schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu
Bastian Till Nowak, Marieke Eichner Veröffentlicht am 15.12.2020
Früher wurde noch nicht so viel Wert auf Umweltstandards gelegt wie heute – die Versäumnisse der Vergangenheit drohen uns nun einzuholen. Die Aufnahme dieser Bohranlage aus Holz entstand um das Jahr 1930.
Foto: Hänigser Teerkuhlenmuseum (Archiv)
52 Öl- und Bohrschlammgruben, die teils gesundheitsgefährdende Altlasten enthalten können, sind im Landkreis Gifhorn erfasst. Nur 6 davon wurden bisher untersucht – dabei würde die Erdölindustrie die Kosten tragen. Noch, denn in wenigen Monaten läuft die Antragsfrist ab; danach ist die Industrie raus aus der Verantwortung. Umfangreiche Recherchen der KURT-Redaktion machten darauf aufmerksam, Gifhorner Rundschau und Aller-Zeitung haben inzwischen auch berichtet – und eine von KURT gestartete Petition im Internet hat schon rund 150 Unterschriften vorzuweisen. Gifhorns Kreisverwaltung sieht allerdings nach wie vor wenig Handlungsbedarf: Nicht der Landkreis sei bei der übergroßen Mehrzahl der Schlammgruben in der Verantwortung, sondern das Landesbergamt. Dort sieht man das jedoch ganz anders. Derweil schlummern mögliche Altlasten weiter im Erdreich – und die Uhr tickt...
Schwermetalle, teils krebserregende Mineralölkohlenwasserstoffe und sogar radioaktive Stoffe könnten in den Schlammgruben stecken – und mit jedem Regen ins Grundwasser gespült werden. Industrie und Politik stellten sich der Verantwortung: Ein im Jahr 2015 geschlossener Vertrag zwischen dem Land Niedersachsen und dem Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung sieht vor, dass alle 473 zuvor erfassten Schlammgrubenverdachtsfälle untersucht werden können. Insgesamt 5 Millionen Euro stehen dafür bereit. Der Großteil des Geldes wurde bisher nicht abgerufen und fällt zurück an die Unternehmen, sollte es nicht benötigt werden. Letzter Termin: 30. Juni 2021.
Warum verzichtet der Landkreis bewusst auf die Übernahme der Kosten für die Überprüfung von Schlammgruben durch die Erdölindustrie? Das war die letzte Frage eines 15 Punkte umfassenden Katalogs, den unsere Redaktion der Gifhorner Kreisverwaltung vor der ersten Veröffentlichung zu diesem Thema in der KURT-Ausgabe Nov./Dez. 2020 zukommen ließ. Die Antworten kamen leider erst einen Tag nach Drucklegung. „Der Landkreis Gifhorn hat aus fachlichen Gesichtspunkten eine Priorisierung wegen der begrenzten Fördermittel der zu bearbeitenden Projekte vorgenommen, da auch eine gleichzeitige Untersuchung von 52 Bohrschlammgruben weder durch die Bodenschutzbehörde noch durch die begleitenden Landesbehörden zu leisten gewesen wären“, heißt es darin.
„Durch die landesweite Untersuchung von Bohrschlammgruben waren alle Kapazitäten der auf diesem Gebiet arbeitenden Ingenieurbüros ausgeschöpft“, erklärt Gifhorns Kreisverwaltung, weshalb man nur 6 von 52 Verdachsfällen für eine Untersuchung anmeldete. Gleichzeitig hat es der Kreis Cloppenburg aber geschafft, 29 von 32 Verdachtsfällen untersuchen zu lassen – und Diepholz sogar 42 von 46.
Den ölverschmierten schwarzen Peter versuchte Gifhorns Kreisverwaltung ans Landesbergamt weiterzuschieben: Nur bei 12 der Standorte liege die Zuständigkeit beim Landkreis Gifhorn, heißt es in der Antwort auf unsere Fragen. Für die 40 weiteren Schlammgruben sei das Landesbergamt zuständig, das jedoch protestiert: Landesweit gebe es nur 40 Schlammgruben unter Bergaufsicht und nur zwei davon im Landkreis Gifhorn, heißt es in einer Antwort von Landesbergamt-Pressesprecher Eike Bruns an die KURT-Redaktion.
Gibt es also 40 Schlammgruben im Landkreis Gifhorn, für die sich in der Vergangenheit schlicht niemand zuständig fühlte? Der Verdacht liegt zumindest nahe.
Die Gifhorner Kreisverwaltung schließt laut ihrer Antwort eine Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung aus – ohne jedoch zu wissen, was bei Untersuchung aller Verdachtsfälle zutage kommen könnte. „Grundlage für die Priorisierung ist die Lage der Standorte zu Wohnbebauungen sowie zu Trinkwasserschutz- und Gewinnungsgebieten“, heißt es.
Doch wozu überhaupt eine Priorisierung? Das fragt sich auch die Gifhorner Landtagsabgeordnete Imke Byl (Grüne): „Jeder einzelne Verdachtsfall muss untersucht werden. Genau jetzt stehen dafür noch Fördermittel von der Industrie zur Verfügung. Der Landkreis will diese anscheinend nicht nur verfallen lassen, sondern überlegt sogar erst noch, ob er überhaupt alle Verdachtsflächen untersuchen lassen will“, erklärt sie – und gipfelt: „Das ist wirklich fahrlässig!“
Auf der eigenes zu diesem Thema geschaffenen Website schlammgruben.de ruft KURT alle interessierten Bürgerinnen und Bürger zum Unterzeichnen einer Petition auf: „Gemeinsam fordern wir, sämtliche 52 Schlammgruben-Verdachtsflächen im Landkreis Gifhorn zu untersuchen“, heißt es dort. „Wir wünschen uns Klarheit über mögliche Verschmutzungen des Grundwassers und Gesundheitsgefährdungen der Bevölkerung. Sollten die Untersuchungen potenzielle Gefahren aufdecken, fordern wir Sofortmaßnahmen zur Beseitigung.“
Alle Verdachtsflächen im Landkreis Gifhorn hat KURT auf einer interaktiven Karte zusammengetragen – mitsamt sämtlichen frei verfügbaren Quellen unserer Recherche und einer Petition, mit der auch Sie unsere Kreisverwaltung auffordern können, alle ausstehenden Untersuchungen zu beantragen: schlammgruben.de