Stolpersteine

Unfruchtbar gemacht wegen „Schwachsinn“ - Erich Willigeroth wurde als Bewohner der Kästorfer Anstalten zwangssterilisiert

Steffen Meyer Veröffentlicht am 09.06.2022
Unfruchtbar gemacht wegen „Schwachsinn“ - Erich Willigeroth wurde als Bewohner der Kästorfer Anstalten zwangssterilisiert

Ein Stolperstein im Pappelweg in Kästorf erinnert an das Schicksal von Erich Willigeroth.

Foto: Mel Rangel

Für neun Gifhorner Opfer des Nationalsozialismus wurden im vergangenen Herbst Stolpersteine verlegt. Ihre Biografien stellt KURT in einer Serie vor. Diesmal geht es um Erich Willigeroth, der als Bewohner der Kästorfer Anstalten 1934 zwangssterilisiert wurde. Seine Geschichte schildert Dr. Steffen Meyer, Historiker und Archivar der Dachstiftung Diakonie, in einem Gastbeitrag.

Erich Willigeroth wurde am 24. Juli 1915 in Bad Grund geboren. Er hatte eine Schwester und zwei Stiefgeschwister. Sein Vater arbeitete als Bergmann.

Im Oktober 1927 ordnete das Amtsgericht Clausthal-Zellerfeld wegen „sittlicher Verwahrlosung“ Fürsorgeerziehung an. Vier Wochen später kam Erich Willigeroth in die Pestalozzi-Stiftung nach Großburgwedel, wo er einige Monate lebte. Aufgrund eines Beschlusses des Landesdirektoriums der Provinz Hannover verlegte man ihn am 28. Juli 1931 in das Jugenderziehungsheim Rischborn.
Am 7. und 8. März 1934 fanden in den Kästorfer Anstalten psychiatrische Untersuchungen statt, an der mehr als 30 Bewohner teilnahmen. Im amtsärztlichen Gutachten für Erich Willigeroth bescheinigt der untersuchende Psychiater Dr. Walter Gerson dem damals 18-jährigen Jungen „Schwachsinn mäßigen Grades mit Psychopathie (Haltlosigkeit, Gefühlsarmut)“. Wenige Tage später zeigte Anstaltsvorsteher

Das Erziehungsheim Rischborn um 1930.

Foto: Sammlung Archiv der Dachstiftung Diakonie

Pastor Martin Müller dem Kreisarzt in Gifhorn an, dass Erich Willigeroth an angeborenem Schwachsinn leide und nach dem psychiatrischen Urteil von Dr. Walter Gerson unter das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ falle.

Am 25. Mai 1934 ordnete das zuständige Erbgesundheitsgericht Göttingen die Unfruchtbarmachung an, die am 25. Juli 1934 im Allgemeinen Krankenhaus Celle durchgeführt wurde. Mit dem Hinweis, dass er noch einige Tage Schonung benötige, verließ Erich Willigeroth am 30. Juli 1934 das Krankenhaus und kehrte nach Kästorf zurück.

In den folgenden zwei Jahren kam er „in Dienst“, das heißt, Erich Willigeroth war im Rahmen der gesetzlich angeordneten Erziehungsmaßnahme bei umliegenden Bauern als landwirtschaftlicher Arbeiter tätig. Am 24. Juli 1936, dem Tag seines 21. Geburtstages, wurde Erich Willigeroth volljährig und aus der Fürsorgeerziehung entlassen. In einem Schreiben an den Provinzialverband kommt Vorsteher Müller zu dem Ergebnis, dass „aufs Ganze gesehen man bei dem primitiven und haltlosen Erich doch von einem guten Erfolg in der Fürsorgeerziehung sprechen kann.“

Erich Willigeroth blieb bei dem Bauern, bei dem er zuletzt tätig war, bis er am 1. Oktober 1936 seine Einberufung zum Arbeitsdienst erhielt und nach Neetze bei Lüneburg ging. Am 1. Oktober 1937 wurde er Soldat. Aus dieser Zeit ist ein Schriftwechsel mit dem Hausvater des Erziehungsheimes überliefert. Zuletzt schrieb Erich Willigeroth am 17. März 1940 einen Brief, der mit den Zeilen „Ich wünsche Ihnen weiterhin alles Gute und denken Sie auch gelegentlich an Ihren einsamen Soldaten“ endet. Über seinen weiteren Lebensweg geben Unterlagen Auskunft, die im Bundesarchiv in Berlin überliefert sind.

Dieses Foto von Erich Willigeroth stammt aus seiner Bewohnerakte.

Foto: Sammlung Archiv der Dachstiftung Diakonie

Erich Willigeroth erkrankte im Verlauf des Krieges an Tuberkulose und wurde in ein Lazarett eingeliefert. Dort blieb er mehrere Monate. Danach folgte eine mehrmonatige Kur in Schwarzenbach und im Sommer 1942 die Rückführung zu einem Ersatztruppenteil. Weitere Aufenthalte in Lazaretten und Heilstätten folgten, bis er schließlich am 16. November 1943 mit dem Vermerk „Dienstunfähigkeit“ in seinen Heimatort Bad Grund entlassen wurde.

Erich Willigeroth hat nach dem Krieg als Mechaniker, Holzhauer und Wachmann in einer Munitionsfabrik gearbeitet. Da sich sein Gesundheitszustand verschlechterte, verbrachte er im Sommer 1951 einige Wochen im Versorgungskrankenhaus Walsrode in der Tuberkulose-Abteilung. Nach seiner Entlassung lebte er einige Jahre in Bad Grund, von 1977 bis 1995 in Nörten-Hardenberg und anschließend in Bad Grund. Erich Willigeroth starb am 13. November 2000 in Herzberg am Harz.

Dieser Text ist Teil der Broschüre „Stolpersteine in Gifhorn“, kostenfrei erhältlich im Stadtarchiv und in der Stadtbücherei.

Die Forschung zu Opfern des Nationalsozialismus in und aus Gifhorn geht weiter. Hinweise sammelt das Kulturbüro der Gifhorner Stadtverwaltung:
Tel. 05371-88226
kultur@stadt-gifhorn.de


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