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Sogar auf dem OP-Tisch guckt er Champions League - Kim Kemnitz: Erst Jahre der Verletzungs-Odyssee, dann das erste Oberliga-Tor
Jens Neumann Veröffentlicht am 10.12.2020
Kim Kemnitz ist der dienstälteste Spieler im Kader des MTV Gifhorn – auch wenn er verletzungsbedingt häufig nicht auf dem Platz stand. Zuletzt schoss er sein erstes Oberliga-Tor. Das Happy End?
Foto: Sebastian Priebe/regios24
Er ist der Dienstälteste im Aufgebot unseres Fußball-Oberligisten MTV Gifhorn: Den Schwarz-Gelben ist er bereits seit Sommer 2006 treu – doch ebenso treu ist Kim Kemnitz gerade in den vergangenen Jahren das Verletzungspech geblieben. Im Interview mit KURT-Mitarbeiter Jens Neumann gibt der 29-Jährige Einblicke in seine schier unendliche Leidenszeit – und damit eben auch in seine Gefühlswelt.
Machen wir es unkompliziert und bleiben – wie gewohnt – unter Sportlern gleich beim Du. Kim, Du bist jetzt seit mehr als 14 Jahren beim MTV Gifhorn. Inwieweit kannst Du Dich noch an die Anfänge hier erinnern?
Ich hatte früher in der Jugend beim VfL Wolfsburg gespielt, unter anderem zusammen mit meinen heutigen Mannschaftskollegen Tobias Krull und Mario Petry. Dann bin ich als B-Jugendlicher zum Training in Gifhorn gefahren, habe unter Volker Streilein trainiert – und so fing hier mal alles an.
Im Sommer 2010, nach dem Abstieg aus der Niedersachsenliga in die Landesliga, bist Du dann in den Herrenkader aufgerückt und warst beim Neuaufbau unter Trainer Willi Feer dabei.
Ja, damals habe ich noch im rechten offensiven Mittelfeld gespielt. Da lief noch alles ganz normal, ich habe keine Probleme mit Verletzungen gehabt. Dann bin ich in der Saison 2014/2015 zum Elektrotechnik-Studium nach England gegangen.
Hast Du da weiterhin Fußball gespielt?
Ich habe beim Mittagessen immer direkt ins Stadion des AFC Wrexham geschaut, hätte dort auch spielen können. Aber das ist ein Profiverein, da hätte ich fünfmal pro Woche trainieren müssen. Neben dem Studium hatte ich jedoch nicht so viel Zeit. Also habe ich in der zweiten walisischen Liga gespielt – das klingt hochklassig. Ich würde es vom Niveau her aber eher mit unserer Bezirksliga hier vergleichen. Ich habe gleich im ersten Spiel gemerkt: Fußball ist dort eine ganz andere Nummer, da wird viel härter gespielt. Ich muss schon sagen: Das war echt eine geile Zeit.
Im Sommer 2015 bist Du dann nach Deutschland zurückgekehrt. Wie ging es hier für Dich weiter?
Ich bin kurz vor dem Saisonende wieder hier gewesen. Ich bin an einem Samstag gelandet – und habe am Sonntag gleich wieder für den MTV Gifhorn gespielt. Anfang der zweiten Halbzeit habe ich mir einen Muskelfaserriss zugezogen – und damit ging meine Serie an Verletzungen los.
Gefühlt war es ja eine „Never-Ending-Story“ für Dich, oder?
Auf jeden Fall! Ich war verletzt, habe zwei Wochen lang trainiert, dann wieder ein paar Spiele gemacht – und mich wieder verletzt. So ging das immer und immer wieder. Vielleicht habe ich das nicht richtig eingeschätzt. Aber so ist das eben: Wenn Du Fußballer bist, willst Du auch spielen.
Zunächst war es der Oberschenkel, der Dir andauernd Probleme bereitete. Woran lag es?
Ich war extra bei einem Spezialisten in Berlin, der sich meine Muskelstruktur angeguckt, die Beine vermessen hat. Er hat gemeint: Ich müsste einen Schuss wie ein Pferd haben, so viel Dampf steckt in meinem Muskel. Allerdings hat der Spezialist auch gesehen, dass es eben nicht nur ein Muskelfaserriss war, sondern dass ich mir auch die Sehne im Oberschenkel angerissen hatte. Also musste ich eine längere Pause machen.
Es dauerte ewig, bis Du wieder auf dem Platz gestanden hast...
...oh ja, und dann kam gleich das Drama mit dem Rücken hinzu. Ich habe mir während des Spiels einen Bandscheibenvorfall zugezogen. Wir konnten aber nicht mehr auswechseln, also habe ich durchgespielt. Als ich nachher in der Kabine saß, konnte ich mir nicht mal mehr alleine die Socken anziehen. Bei den späteren Untersuchungen hat man dann herausgefunden, dass die Muskelfaserrisse von Rückenproblemen ausgelöst wurden – es ist vorher aber auch keiner auf die Idee gekommen, sich den Rücken anzugucken.
Schon seit 2006 gehört Kim Kemnitz zum MTV-Kader. Sein Spielerpass belegt es.
Foto: Privat
Aber auch davon hast Du Dich nicht unterkriegen lassen und Dich wieder zurückgekämpft. Endlich warst Du mal längere Zeit verletzungsfrei.
Bis der Trainingsunfall im vergangenen Jahr kam, bei dem ich mir das Knie komplett aufgerissen habe – ausgerechnet in der letzten Minute des Abschlussspiels. In dem Moment habe ich mir nur gedacht: Wieso immer ich? Auch wenn ich keinem etwas Schlechtes wünsche: Das hätte doch auch mal einem anderen passieren können!
Woran hattet jelegen?
Ich wurde gefoult, bin mit dem Knie in den Stollen von Tobias Krull geflogen. Als ich mit der Hand ans Knie gepackt habe, da habe ich in ein Loch gefasst. Beide Schleimbeutel waren geplatzt, die Kniescheibe hatte was abbekommen, die Patellasehne ebenfalls. Ich bin dann gleich im Gifhorner Krankenhaus operiert worden – und da ich nur örtlich betäubt wurde, konnte ich mir auf dem Handy des Anästhesisten ein Champions-League-Spiel live angucken, während ich operiert wurde. Mit dem Knie hatte ich seitdem keine Probleme mehr, da muss ich dem Gifhorner Krankenhaus ein großes Kompliment aussprechen.
Es folgte die nächste längere Verletzungspause, wieder warst Du zum Zuschauen gezwungen. Hast Du irgendwann gedacht: Jetzt reicht es mir, ich höre auf?
Ich habe selber mit mir gerungen. Ich habe mir gesagt: Ich mache die Vorbereitung diesmal mit. Und wenn wieder Wehwehchen auftreten, dann werte ich das als Zeichen, dass ich kürzertrete oder aufhöre.
Du hast die Vorbereitung im Sommer also durchgezogen – und warst trotzdem weiter hintendran. Wie schwer war das für Dich?
Ich bin eben nur ein Amateurfußballer. Für mich ist der Urlaub immer Gold wert, wenn man vorher hart gearbeitet hat. Und da Urlaub während der Saison aus meiner Sicht noch schlechter ist, bin ich sonst meistens in der Vorbereitung schon weg gewesen. Diesmal bin ich hier geblieben, habe in der Vorbereitung aber kein Testspiel auf meiner eigentlichen Position gespielt – und saß dann im Pokal-Halbfinale und Pokalfinale nur auf der Bank. Das war schon eine harte Nuss, damit musst Du erst einmal umgehen können. Zumal mich im Vorfeld des Finals eben viele Leute darauf angesprochen haben.
Bis zum vierten Spieltag bliebst Du ohne Einsatzminute, obwohl Du verletzungsfrei warst. Dann bist Du für den rotgesperrten Arne Jaeger in die Startelf gerückt – und hast seitdem keine Minute mehr verpasst. Mehr noch: Du hast gegen Lupo Martini sogar Dein erstes Oberliga-Tor geschossen. Wie groß ist die Angst, dass Du Deinen Stammplatz nach der Corona-Zwangspause wieder verlieren könntest? Wie geht es im neuen Jahr weiter?
Ich bin immer Optimist. Ich werde weiter meine Leistung bringen und bleibe hoffentlich verletzungsfrei. Ich habe mich immer wohlgefühlt beim MTV Gifhorn, die Höhen und Tiefen hier mitgemacht – das ist schon eine Herzensangelegenheit für mich. Es steht ja jetzt schon fest, dass wir vor dem 10. Januar nicht mal mehr trainieren dürfen – aber wir haben zurzeit andere Probleme als den Sport. Ich denke, der Verband wird nur die Hinrunde werten, bevor es mit der Auf- und Abstiegsrunde weitergeht. Dann wären wir in der Aufstiegsrunde und hätten somit alles richtig gemacht.