Kunst

Kunstwerke können nicht kommunizieren, sie halten Monologe: KURT-Interview mit Christian Riebe, der nach mehr als 30 Jahren wieder im Künstlerhaus Meinersen ausstellt

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 28.09.2022
Kunstwerke können nicht kommunizieren, sie halten Monologe: KURT-Interview mit Christian Riebe, der nach mehr als 30 Jahren wieder im Künstlerhaus Meinersen ausstellt

Eine Arbeit ohne Titel von Christian Riebe entstanden in diesem Jahr. Sie wird bei der Ausstellung „Die Rückkehr der Götter“ im Künstlerhaus Meinersen zu finden sein.

Foto: Christian Riebe

Es ist mehr als 30 Jahre her, dass Christian Riebe als Stipendiat im Künstlerhaus Meinersen zu Gast war. Seitdem stellte er in London, Mailand und Tokio aus, gründete immer wieder neue Musikprojekte und die Gruppe Local Fist, die in Hannover stillgelegte Läden für eigene Zwecke und Ideen nutzte. Außerdem lehrte Christian Riebe Malerei von 2003 bis 2005 an der FH Hannover. Mit der neuen Ausstellung „Die Rückkehr der Götter“ sind nicht nur Arbeiten aus der Meinerser Zeit, sondern auch jüngere Zeichnungen und Objekte zu sehen. Christian Riebe wurde 1963 in Lübeck geboren und wohnt in Hannover. Vor seiner Ausstellung befragte ihn KURT-Volontär Malte Schönfeld. Hier nun das vollständige Interview, die Antworten gab Christian Riebe per Mail.

Als Sie 1991 nach Meinersen kamen – können Sie sich noch daran erinnern, mit welchen Ideen Sie ins Künstlerhaus eingezogen sind?

Mit meinen Standard-Ideen sozusagen. Das Stipendium selbst ähnelte ja eigentlich einer Art Landverschickung – im besten Sinne. Ich kam frisch aus der Hochschule übergangslos in eine wirklich ländliche Umgebung. Man saß da plötzlich zusammen mit anderen Insassen, die ebenso verblüfft waren, auf einmal in der Verbannung arbeiten zu müssen. Das war schon eher eine interessante Prüfung als eine Chance. Die Prüfung war: Kann man sich irgendwo hin versetzen lassen – und trotzdem weiterarbeiten wie gewohnt?

Welche Arbeiten sind während des Stipendiums entstanden?

Eine Reihe großformatiger Zeichnungen, die sich alle irgendwie ähneln: ziemlich leer und zerknittert.

Hatten das Dorf Meinersen und das Künstlerhaus Auswirkungen auf Ihre Kunst?

Ich muss zugeben, dass ich im Nachhinein keine nennenswerten Auswirkungen erkennen kann. Allerdings bin ich oft lange und ziellos in der Umgebung Meinersens herumgewandert. Und auf den Zeichnungen aus dieser Zeit gibt es ein paar eher „landwirtschaftliche“ Motive, zum Beispiel einen großen schwebenden Pilz, einen Hochstand und einen Stapel Treckerreifen.

Schaut man Ihre Arbeiten der frühen 1990er an, so haben Sie viel mit Graphit, Kreide und Lack gearbeitet, häufig in kleinen Formaten. Was hat Sie an diesen Materialien interessiert?

Bleistift, Kunstharzlack und billiges, in Schichten verleimtes Papier waren sozusagen die subproletarische Alternative zu Ölfarbe, Eitempera und Leinwand. Das professionelle Handwerkszeug hat mich eigentlich immer abgestoßen, denn es riecht nach „Arbeit im Sitzen“ und Boesner-Sortiment, also gehobenem Künstlerbedarf. Es riecht nach „Atelier“, und das ist eines der Wörter, die ich bis heute irgendwie fürchte. „Künstler“ gehört übrigens auch dazu.

In einem Interview mit dem Kunsthistoriker Michael Stoeber haben Sie einmal folgendes gesagt: „Ein akzeptables Bild muss sich nach meinem Verständnis selbst widersprechen können. Und es muss das sogar soweit tun, dass schließlich eine Art totaler Ambivalenz entsteht.“ Gilt das auch für Sie als Künstler und das Arbeiten, müssen auch Sie mit einer Idee auf Widerstand stoßen, so dass ein Spannungsfeld und damit erst Kunst entstehen können?

Möglicherweise. In dem Zusammenhang meinte ich aber eher die radikale Souveränität künstlerischer Arbeit, die immer dann Schaden nimmt, wenn man sie gradlinig einer konkreten Absicht oder Botschaft unterordnet.

„Totale Ambivalenz“, also provokativ vorgeführte Mehrdeutigkeit, funktioniert dann ein wenig wie Sabotage an der landläufigen Vorstellung, Kunstwerke könnten einer ordentlichen Kommunikation dienen und irgendeine allgemeinverständliche Botschaft überbringen. Ich finde das nicht. Kunstwerke können nicht „kommunizieren“, sie halten Monologe. Und je unverständlicher diese Monologe für uns sind, desto souveräner kann ein Kunstwerk leuchten, sozusagen.

Ihre Kunstwerke sind ästhetisch und inhaltlich Collagen aus Stilen, Techniken und Materialien. Motivisch, sagen Sie, beziehen Sie sich auf allgemeine Kulturgeschichte, auf Volkskunst, alte Gebrauchsgrafik, Schautafeln und Buchillustration. Dabei gehtʼs auch immer um das Erfinden von Details, das Hinzudichten von Eigenem. Was ist das Spannende am historischen Alltag und vor allem dem sanften Fiktionalisieren von Geschichte?

Gute Frage, auf die es zu viele Antworten gäbe. Zunächst entspricht die „Flucht aus der Gegenwart“ wohl meinem Misstrauen gegenüber der Moderne. Ich habe ihre Vorgaben und Vorschriften nie geteilt.

Die Rückkehr der Götter (Nr.5), 2021, 79 x 59 x 0,5 cm.

Foto: Christian Riebe

Als ich Lyotard und Baudrillard und ihre Entwürfe einer Postmoderne entdeckte, war das wie eine Erlösung, denn sie verwarfen die Vorstellung eines westlich dominierten Fortschritts in Richtung sich stetig perfektionierender Vernünftigkeit zugunsten eines Weltbildes ohne kulturelle Hierarchie. Mir hat das als Anarchist natürlich gefallen. Plötzlich waren jeder Stil und jede Sprache wieder verwendbar, auch historisch längst abgesagte. Damit war die Herrschaft zum Beispiel der Abstraktion oder der Konzeptkunst mit einem Schlag zum Teufel gefahren.

Eine andere Antwort wäre, dass ich auch der landläufigen Gegenwartskunst wenig abgewinnen kann und konnte. Ich betrachte sie immer noch von außen – so als würde ich nicht dazugehören. Und da wirkt sie, ehrlich gesagt, wie ein diffuser Haufen aus Anmaßung, Wichtigtuerei und geschwollenem Gerede. Sie bringt ständig Dinge hervor, die für mich überhaupt keinen Sinn ergeben. Ich muss wohl gestehen, dass ich mich eigentlich überhaupt nicht für Kunst interessiere. Dagegen haben mich Bilder immer interessiert, nur eben nicht solche, die in den Museen zeitgenössischer Kunst hängen. Mich interessieren da schon eher die kleinen Landschaften, die man auf alten Porzellantellern findet oder auf Keksdosen.

Aber es ist auch wahr, dass mich historische Themen interessieren – und zwar vorzugsweise die historischen Sümpfe und Verirrungen.

Man kann in Ihren Arbeiten auch immer wieder Text erkennen – mal länger, mal kürzer. Was ist bei Ihnen die Aufgabe des Textes?

Der war von Anfang an da, ohne dass ich viel darüber nachgedacht hätte. Wahrscheinlich habe ich mich an den Keksdosen und Sachbüchern damit infiziert, also an den Dingen, die ich als Vorlage verwende.

Die Rolle der Schrift in meinen Arbeiten ist recht kompliziert. Erstens ruiniert sie natürlich schön die hochkulturelle Anmutung eines Bildes und lässt es dahin absinken, wo Plakate und Schautafeln zu Hause sind – man könnte sagen: in den Alltag. Und zweitens spielen die Texte eine Rolle im erwähnten „Sabotage-Spiel“. Denn man erwartet von lesbarer Beschriftung ja instinktiv Erklärung und deutliche Botschaften. Genau das machen die Texte bei mir aber nicht. Sie passen nie wirklich, sondern legen nur eigene undeutliche Spuren. Darüber hinaus ist es so, dass mich Bücher und Autoren immmer viel nachdrücklicher beeindruckt haben als die Bildende Kunst.

Ist der Entstehungsort Ihrer Kunstwerke bedeutsam? Wo arbeiten Sie?

Ich glaube, dass der Entstehungsort keine besondere Rolle spielt. Ich arbeite in einer ordentlich großen Werkstatt in einem Gewerbegebiet im Norden von Hannover. Zwei Drittel der Fläche sind aber Musikstudio, und nur ein Drittel dient der Herstellung von Kunstwerken.

Arbeit ohne Titel, 2022, 86 x 118 x 5 cm

Foto: Christian Riebe

In verschiedenen Musik-Projekten haben Sie seit Mitte der 1990er Jahre ebenfalls veröffentlicht, vor wenigen Tage erschien mit „godshop“ eine neue LP von Golden Jet. Welche Abzweigungen können Sie künstlerisch in der Musik nehmen, die Ihnen vielleicht in einer anderen Ausdrucksform versperrt bleiben?

Die Frage ist interessant und bräuchte eigentlich wieder zu viele Antworten. Man könnte beide Kunstformen stundenlang miteinander vergleichen.

Es ist wohl so: Ich kam in das Kunststudium aus einer Szene, die man damals den „schwarzen Block“ nannte, also aus der linken autonomen Szene. Deshalb war Kunst für mich immer auch eine Art von Aktivismus. Sie sollte – um es dumm und böse zu sagen – möglichst viel Schaden am bürgerlichen Common Sense anrichten. Ich habe dann enttäuscht einsehen müssen, dass Kunst eigentlich eine beschaulich harmlose Angelegenheit geworden war. Bilder hängen immer wie unverbindliche Angebote an den Wänden; man kann problemlos wegsehen.

Mit der Musik ist man da besser dran: Sie funktioniert, wenigstens, wenn sie live gespielt wird, immer noch wie eine Art von physisch präsenter Agitation. Und sie diktiert ihre eigene Zeit.

Trotz Ihrer langen künstlerischen Laufbahn: Wenn man Sie auf den großen Portalen sucht, wird man erstaunlich wenig fündig. Kaum YouTube, kaum Spotify, kaum Instagram – wie kuratieren Sie Ihre eigene Sichtbarkeit?

Gar nicht. Ich bin einfach unglaublich schlecht darin, mich anzubieten und zu vermarkten. Was die Musik betrifft, so haben wir niederschmetternde Erfahrungen mit einem großen Indie-Label hinter uns und veröffentlichen inzwischen bescheiden selbst, unter anderem auf Bandcamp, natürlich mit dem Ergebnis, dass uns kaum jemand finden kann. Grundsätzlich ist es so: Die Arbeit, wenn man sie wirklich ernstnimmt, braucht dermaßen viel Zeit und Konzentration, dass für Öffentlichkeitsarbeit einfach kein Platz bleibt.

Im September und Oktober dieses Jahres werden Sie wieder im Künstlerhaus Meinersen ausstellen dürfen, Titel: „Die Rückkehr der Götter“. Zeichnungen und Objekte werden zu sehen sein. Wie hat sich Ihre Arbeit im Vergleich zu Ihrem ersten Besuch verändert, wie Ihre Sicht auf die Welt?

Meine „Sicht auf die Welt“ hat sich beschämenderweise kaum verändert, glaube ich.

Meine Arbeit dagegen schon: Zur Zeit des Meinersen-Stipendiums lag mir zum Beispiel noch viel an der Dynamik des Zeichnens. Ich dachte, es käme entscheidend auf den Moment der Hervorbringung an: Welche Handschrift ist die richtige? Wie lässt sich ein Motiv möglichst spektakulär an die Wand fahren? Was kommt heraus, wenn eine Zeichnung offensichtlich gerade misslingt – und man dann trotzdem verbissen weiterarbeitet? Wird dann alles schwarz? Ich hielt so ein extremsportliches Ringen mit dem Bild für absolut unverzichtbar. Inzwischen ist das ziemlich abgekühlt. Eigentlich arbeite ich jetzt wie ein Illustrator oder ein Filmausstatter – so als müsste ich meine Ideen ganz sachlich illustrieren oder bei ihrer Verfilmung für die passenden Kulissen sorgen. Ich weiß noch nicht, ob ich damit zufrieden sein soll.

Herr Riebe, zuletzt ein kleiner Fragenhagel, der sich allgemein auf Kunst bezieht. Kann ein Kunstwerk je fertig sein?

Ja, sicher. Warum nicht?

Trauern Sie dem Punk hinterher?

Ja. Schließlich war Punk der letzte große kulturelle Aufbruch.

Würden Sie sich als Antikapitalisten bezeichnen?

Ja.

Wird Kunst durch die Hinzunahme einer politischen Agenda oder Ideologie stärker oder schwächer?

Unbedingt schwächer.

Geht es in der Kunst um Angriff oder Verteidigung?

Keine Frage, die sich kurz beantworten ließe. Ich würde sagen: um beides, ausschließlich und in hohem Maße.

Spielt Geld eine Rolle?

Wohl gezwungenermaßen, ja. Kapitalismus bedeutet schließlich, dass sich die Welt insgesamt in einen Supermarkt verwandelt. Darin ist alles Ware, jeder ein Kaufmann oder Kunde, und die alles verbindende Substanz ist Geld. Diese Verwandlung ist jetzt abgeschlossen, und es ist gar nicht mehr möglich, den Supermarkt ungestraft zu verlassen.

Spielt denn Politik eine Rolle?

Nein, Politik ist für Leute, die zur Wahl gehen und abends die Tagesschau sehen. Kunst spielt sich denn doch weit darüber ab.

Spielt Kunst eine Rolle?

In der Kunst? Ich weiß nicht. Wie gesagt finde ich den Begriff etwas peinlich. Außerdem ist er inzwischen überaus schwammig geworden: Kunst ist heute einerseits eine Art soziale Dienstleistung und andererseits reine Dekoration. Auch Kochkunst ist mit drin und alle möglichen Arten und Abarten von Kreativität. Der Oberbegriff „Kunst“ geht auseinander wie eine feucht gewordene Papiertüte.

Und zuletzt: Spielt Liebe eine Rolle?

Äh,...

Ausstellung von Christian Riebe:
„Die Rückkehr der Götter“

Eröffnung: 16. September, 19 Uhr

Ausstellung: 17. September bis 9. Oktober
Do., Sa. & So. 15 bis 18 Uhr

Künstlerhaus
Hauptstraße 2, Meinersen
kuenstlerhaus-meinersen.com


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