Letzte Ruhe

Gifhorner Steinmetz übt einen der ältesten Handwerksberufe der Welt aus

Christoph Peter Ehrlich Veröffentlicht am 09.05.2020
Gifhorner Steinmetz übt einen der ältesten Handwerksberufe der Welt aus

Markus Seil ist Steinmetz mit Leidenschaft – der Gifhorner ist einer der wenigen Handwerker seines Berufs in Deutschland.

Foto: Çağla Canıdar

Seit mehr als 50 Jahren gibt es sie schon: Steinmetzerei Seil. Im Jahr 1967 gründete der Steinmetzmeister Edi Seil das Unternehmen in seiner Garage an der Freiherr-vom-Stein-Straße. Sein Sohn Markus Seil übernahm die Metzerei 1996, nur vier Jahre nach dessen Umzug an die Lüneburger Straße. Er blickt zurück auf eine ereignisreiche Betriebsgeschichte – in einer Branche, die einem zunehmenden Wandel ausgesetzt ist und doch seit eh und je einen beständigen und traditionellen Platz in unserer Gesellschaft einnimmt.

Er ist einer von zwei Steinmetzen in ganz Gifhorn – Markus Seil ließ es sich nicht nehmen, vor 24 Jahren in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Heute dreht sich Markus Seils Arbeitsalltag überwiegend um die wachsenden individuellen Kundenwünsche, die vermehrt im künstlerischen oder sogar digitalen Bereich landen.

„Mein Vater war der erste Steinmetz in der Region Gifhorn, der die Nadeltechnik beherrschte“, betont Markus Seil stolz. Per Hand wird mit einer diamantbesetzten Nadel in mehreren tausend leichten Stößen die Oberfläche des polierten Steins abgetragen. Auf diese Weise entstehen filigrane Portraits oder gar ganze Landschaftsbilder auf den Grabsteinen. Bekannter noch sind die betenden Hände oder Rosenblätter.

Dieses Marmorwerk fertigte Seniorchef Edi Seil in den 90er Jahren. Es war Teil eines Grabsteins.

Foto: Çağla Canıdar

Kaum zu glauben: Sogar QR-Codes sind auf Grabsteinplättchen inzwischen angesagt. Hinter diesen Codes sind Links eingebettet, die Informationen zum Verstorbenen bereithalten. Mit einer Codescanner-App kann so der Besucher auf einer Webseite zum Beispiel Fotos des Verstorbenen ansehen, aus seinem Leben lesen oder gar seine Lieblingsmusik anhören.

„Ich habe nicht solch ein ruhiges Händchen wie mein Vater“, gesteht Markus Seil. „Dafür aber wurde meine Tochter in ganzer Breite von der Muse geküsst.“ Stefanie Froitzheim hat die Zeit im Mutterschutz genutzt, um sich dem künstlerischen Bereich der Steinbearbeitung zu nähern. Spezialisiert auf die Nadeltechnik wird sie demnächst ihrem Vater bei diesen Arbeiten zur Seite stehen. Lange vor Stefanies Zeit, als Edi Seil die Steinmetzerei gründete, lief vieles noch privat ab: In der Garage wich das Auto den Werkzeugen zur Steinbearbeitung und der Garten wurde langsam zu einer gut gefüllten Ausstellungsfläche. Wie ein Drittel aller in Deutschland bestehenden Steinmetzbetriebe wurde auch die Steinmetzerei Seil als Ein-Mann-Unternehmen geführt. Das Geschäft lief ganz gut – ähnlich wie beim Bestatter gilt auch für den Steinmetz der oft gehörte Satz: Gestorben wird immer.

Die bekannten filigranen Rosen werden mittels einer diamantbesetzten Nadel auf dem Stein verewigt.

Foto: Çağla Canıdar

Damals machte Sohn Markus Seil die ersten Schritte in Richtung Steinmetzkunst: Von 1983 bis 1986 lernte er im Parsauer Granitwerk Lichtnack den Industriesteinmetz und besuchte in Königslutter eine von bundesweit nur fünf Berufsschulen für Steinmetze und Bildhauer. Daraufhin folgte zunächst eine für ihn schwere Zeit bei der Bundeswehr – obwohl er in Wesendorf stationiert war, hat er in den 18 Monaten kaum nach Hause kommen können. Nach dem Dienst an der Waffe lebte er weiterhin im Elternhaus und half im Betrieb seines Vaters aus. 1992 sollte das Unternehmen dann endlich umziehen, raus aus dem Privatbereich. Ein geeignetes Grundstück an der Lüneburger Straße lag günstig. Der Kauf für 180.000 D-Mark war beschlossen, als Edi Seil plötzlich ins Krankenhaus musste: Verdacht auf Lungenkrebs. Mehrere Monate fiel der damalige Geschäftsführer aus. Ein Kauf wäre zu diesem Zeitpunkt unsicher gewesen – Markus Seil fand selbst, dass er noch zu unerfahren für eine solche Verpflichtung war. Also wurde stattdessen gepachtet.

Letztlich stand die Diagnose des Vaters fest: Silikose. Diese Erkrankung, auch Quarzstaublunge genannt, ist eine typische Steinmetzkrankheit. Nach einigen Monaten kehrte Edi wieder zurück. Deutlich geschwächt beschlossen sie gemeinsam, dass Markus seinen Steinmetzmeister machen sollte, damit er bald das Unternehmen übernehmen könne. 1994 ging er wieder zur Berufsschule in Königslutter und erwarb nach anderthalb Jahren den begehrten Meistertitel. Seitdem ist er der Betreiber von Grabmale-Seil in Gifhorn. Seniorchef Edi Seil verstarb im Dezember 2006.

Das Wappen mit dem Pommerschen Greif fertigte Markus Seil an der Meisterschule in Königslutter.

Foto: Çağla Canıdar

Aufgrund der Beständigkeit des alten Handwerksberufs möge angenommen werden, er sei besonders krisensicher – zumindest so lange, bis die Pille für das ewige Leben erfunden ist. Doch die Branche muss seit einiger Zeit einer drohenden Existenzkrise trotzen.

Im Zuge der sich wandelnden Bestattungskultur kommen die klassischen Grabsteine zusehends aus der Mode. Urnengräber und individuelle Bestattungen – zum Beispiel im Friedwald – werden immer beliebter. Im 19. Jahrhundert passten noch Mausoleen, große Gräber und Erdbegräbnisse zum gesellschaftlichen Bewusstsein. Heute orientieren sich viele eher an den Fragen, welche Bestattungsform denn zu welchem Menschen in individueller Hinsicht passe und welche Wünsche und Bedürfnisse die Trauernden und Hinterbliebenen haben. Darunter fallen nicht zuletzt auch die Bestattungskosten.

Markus Seil und Tochter Stefanie Froitzheim arbeiten in Zukunft gemeinsam in der Steinmetzerei – sie hat ein Händchen für die Nadeltechnik.

Foto: Çağla Canıdar

Hinzu kommt der Wandel seit den 90ern: Die Industrialisierung der Steinbearbeitung stellte sich als große Konkurrenz heraus. Immer mehr Steine wurden im Ausland günstig gefertigt und große deutsche Grabsteinhersteller schlossen für immer ihre Tore. Das Handwerk des Steinmetzes sieht sich seitdem immer mehr auf die Tätigkeit der Endmontage degradiert.

Als eines der ältesten Handwerke der Menschheit konnte der Beruf des Steinmetzes trotz jeglicher Änderungen in der Gesellschaft bestehen. Laut dem Jahresbericht 2017 des Bundesverbandes Deutscher Steinmetze waren gerade einmal 750 Auszubildende in mehr als 5100 Betrieben zu verzeichnen. Diese teilen sich aber noch mal in vier spezielle Berufsbilder auf, von denen der Entwurf, die Herstellung und das Aufstellen von Denkmälern, Grabsteinen und Grabanlagen lediglich ein Bruchstück darstellt.


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